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Onkologie

Studiendaten können verunsichern, sowohl Patienten als auch Ärzte. Zum einen, weil sie streng evidenzbasiert tatsächliche Risiken aufdecken, die den eigenen Lebensstil oder die eigene Verordnungspraxis infrage stellen. Zum anderen aber auch, wenn sie verkürzt dargestellt oder überinterpretiert werden und so Risiken wahrgenommen werden, für die es in Wahrheit keinen Nachweis gibt. Oft betreffen solche Verunsicherungen Ernährungsstudien. Das liegt daran, dass Ernährung prinzipiell alle betrifft, aber auch an den methodischen Gegebenheiten; randomisiert-kontrollierte Ernährungsstudien sind die absolute Ausnahme, meist sind es Beobachtungsstudien mit ihrem inhärenten Kausalitätsmanko. 

Studien zu Milchkonsum und Krebsrisiko kritisch hinterfragen

Ein Beispiel ist der Zusammenhang zwischen Milchkonsum und dem Risiko für Brustkrebs. Eine Auswertung der Adventist Health Study-2 ergab 2020, dass Frauen, die täglich rund einen Viertelliter Milch tranken, ein etwa 50 Prozent höheres relatives Risiko hatten zu erkranken, als Frauen, die nur wenige Milliliter Milch pro Tag zu sich nahmen. Das klingt dramatisch und betrifft viele, denn eine Tasse Milch ist im Alltag leicht konsumiert. Tatsächlich erreichen den Krebsinformationsdienst des Deutschen Krebsforschungszentrums nach eigenen Angaben häufig Anfragen zum Krebsrisiko durch Milch. 

Erster Schritt bei Studien-Unsicherheiten ist der Blick in die Daten selbst. In der Adventist Health Study-2 wurden 53.000 weibliche Mitglieder einer protestantischen Freikirche in den USA und Kanada nach Ernährung und Lebensstil befragt, um Risikofaktoren für Brustkrebs zu identifizieren. Im Beobachtungszeitraum von acht Jahren wurde bei zwei Prozent der Frauen Brustkrebs diagnostiziert, entsprechend 1.057 inzidente Fälle. Verglichen wurden die 90. und die 10. Perzentile des Milchkonsums in der Studie. Die relative Risikoerhöhung war ähnlich für Vollmilch und für fettarme Milch, und sie war nicht linear verteilt mit einem deutlicheren Risikoanstieg bei niedrigen Milchverzehrmengen. Für Käse oder Joghurt auf Milchbasis fand sich keine Erhöhung. 

Die Population der Studie war durchaus speziell: 38 Prozent der Teilnehmerinnen ernährten sich vegetarisch, acht Prozent vegan. Eigentliches Ziel der Studie waren adjustierte Risikodaten für Soja- respektive Kuhmilch. Der Austausch der medianen Verzehrmengen von Kuhmilchnutzerinnen durch die von Sojamilchnutzerinnen war mit einer relativen Reduktion des Brustkrebsrisikos um 32 Prozent assoziiert.

Bisherige Analysen zu Milch-Krebs-Risiko bleiben ohne Auswirkung auf Ernährungsempfehlungen

In der evidenzbasierten Medizin gelten Metaanalysen von randomisierten kontrollierten Studien als Goldstandard. Metaanalysen von Beobachtungsstudien sind dagegen mit deutlich mehr Vorsicht zu genießen – zumindest illustrieren sie aber die Bandbreite der Studiendaten. In einer Metaanalyse aus dem Jahr 2021 wurden 36 Beobachtungsstudien mit Aussagen zum Zusammenhang zwischen dem Konsum von Milch und Brustkrebs mit insgesamt über einer Million Teilnehmerinnen zusammengefasst. Die Ergebnisse zeigen unterschiedliche Effekte für verschiedene Milchprodukte. Nichtfermentierte Milchprodukte allein betrachtet hatten keinerlei Einfluss auf das Risiko für Brustkrebs (Hazard Ratio: 0,99); Milchprodukte insgesamt betrachtet reduzierten das Brustkrebsrisiko, insbesondere in Bezug auf Östrogen- und Progesteronrezeptor-positive Tumoren. Dies galt jedoch nicht für Milchprodukte mit hohem Fettgehalt (3–5 %); diese erhöhten das Risiko eher, wenn auch nicht statistisch signifikant.

Onkologische Fachgesellschaften raten Brustkrebspatientinnen, sich nach den DGE-Empfehlungen für die Allgemeinbevölkerung zu ernähren – auch bei Milch.

Insulin-like growth factor 1

Als Mechanismus einer möglichen Brustkrebs-Risikoerhöhung werden erhöhte Konzentrationen von humanem und bovinem IGF-1 diskutiert. Letzterer steigt unter der in den USA erlaubten Behandlung von Milchkühen mit rekombinantem bovinem Somatotropin an; in der EU ist die Verwendung dieses Hormons seit Jahrzehnten verboten.

Quelle:

Fraser GE et al. Int J Epidemiol. 2020;49:1526—1537

He Y et al. BMC Cancer. 2021;21:1109