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Medizin

Die Evidenzlage in der Kardiologie ist traditionell üppig, die 2023 herausgegebene Pocket-Leitlinie zum akuten Koronarsyndrom (ACS) belegt das eindrucksvoll: 72 Seiten umfassenden die kurz und knapp zusammengefassten Empfehlungen der European Society for Cardiology (ESC), die von der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie auf Deutsch herausgegeben worden sind. Hintergrund dieser Informationsfülle ist aber auch, dass in der überarbeiteten Fassung der zugrundliegenden ESC-Leitlinie zum Management bei akutem Koronarsyndrom alle Subtypen des ACS erfasst sind – eine Neuerung nach den Einzel-Leitlinien zu ACS ohne ST-Strecken-Hebung (2020) und ST-Strecken-Hebungsinfarkt (STEMI; 2017).

Inhaltliche Neuerungen der Pocket-Leitlinie zum akuten Koronarsyndrom (ACS)

Inhaltlich wurde nur wenig angepasst. Es gibt eine neue Einstufung bei der Empfehlung zum invasiven Management eines Koronarsyndroms ohne persistierender ST-Strecken-Hebung (NSTE-ACS), die frühe invasive Strategie bei Patienten mit hohem Risiko hat nunmehr nur noch eine Klasse-IIa- statt einer Klasse-I-Empfehlung.

Ebenfalls neu ist eine Klasse-IIa-Empfehlung für eine kürzere duale Plättchenhemmung als Alternative zur Basisempfehlung für die primäre antithrombotische Strategie, dass diese nach ACS für die Dauer von zwölf Monaten aufrechterhalten wird. Die sogenannte DAPT (dual anti-platelet therapy) umfasst ASS plus einen P2Y12-Hemmer. Bei Patienten, die unter dualer Plättchenhemmung drei bis sechs Monate lang frei von weiteren klinischen Ereignissen geblieben sind und kein hohes Risiko für ischämische Ereignisse aufweisen, sollte laut der aktualisierten Leitlinie ein Wechsel zur plättchenhemmenden Monotherapie, bevorzugt mit einen P2Y12-Hemmer, in Betracht gezogen werden.

Nach einem Herzstillstand mit unklarer Ursache, ohne persistierende ST-Streckenhebung im EKG wird eine routinemäßige sofortige Koronarangiografie bei reanimierten, hämodynamisch stabilen Patienten nicht empfohlen, auch diese Klasse-III-Empfehlung ist hinzugekommen. Und eine routinemäßige Revaskularisation auch von Koronarläsionen in Nicht-Infarkt-Arterien bei Mehrgefäßerkrankungen hat jetzt eine Klasse I-Empfehlung erhalten. Die komplette Revaskularisation soll gleich bei der Index-PCI-Prozedur oder innerhalb von 45 Tagen durchgeführt werden.

Evidenzbasierte Empfehlungen von der Diagnose bis zur Langzeitbehandlung des ACS

Die Leitlinie beginnt mit einer zentralen Abbildung, die das Kunststück vollbringt, alle Aspekte, die im Folgenden behandelt werden, in einer Übersicht zusammenzufassen. Sie verweist auf das ganze Spektrum des akuten Koronarsyndroms, das die instabile Angina pectoris, den NSTEMI und den STEMI umfasst. Für die Ersteinschätzung hält das Schema die passende Merkhilfe A-C-S bereit, die für abnormales EKG, klinischer Kontext und stabiler Patient steht. Das invasive Management (PCI, Fibrinolyse, Angiografie), die antithrombotische Therapie mit antithrombozytärer Therapie und Antikoagulation sowie Themen der Revaskularisation werden dargestellt sowie der Strauß der Maßnahmen zur Sekundärprävention, von Lipidsenkern über Kardio-Reha bis zur psychosozialen Unterstützung.

Insgesamt umfasst die Pocket-Leitlinie 14 Kapitel und zahlreiche schematische Übersichten. Nach der Einführung geht es um Triage und Diagnose, Erstmaßnahmen bei Patienten mit Verdacht auf ein akutes Koronarsyndrom inklusive Logistik der prähospitalen Versorgung, die Behandlung von Patienten mit akutem Koronarsyndrom in der Akutphase sowie die antithrombotische Therapie. Es folgen Abschnitte zu spezielleren Themen: Das akute Koronarsyndrom mit instabiler Präsentation, inklusive des kardiogenen Schocks als Komplikation des ACS, Behandlung von Patienten mit Mehrgefäßerkrankung, Myokardinfarkt mit nicht-obstruierten Koronararterien sowie weitere besondere Situationen. Außerdem gibt es eigene Kapitel zur Behandlung des akuten Koronarsyndroms während des Krankenhausaufenthalts, für technische Aspekte der invasiven Strategien und für die Langzeitbehandlung. Die letzten beiden Abschnitte widmen sich Patientenperspektiven sowie den Geschlechterunterschieden, wobei letzterer sich in einem Aufruf an Gesundheitsdienstleister und politische Entscheidungsträger erschöpft, sich der möglicherweise unterschiedlichen, will sagen nicht leitliniengerechten Behandlung von Frauen mit ACS bewusst zu sein und gezielte Anstrengungen zu unternehmen um sicherzustellen, dass auch Frauen eine evidenzbasierte Behandlung erhalten.

Quelle:

DGK Pocket-Leitlinie: Akutes Koronarsyndrom (Version 2023)

Byrne RA et al. European Heart Journal.2023;44,3720–3826; doi:10.1093/eurheartj/ehad191.