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Medizin
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Was ist eine Bradykardie?

Die Bradykardie zählt mit weltweit fast 50 Millionen Betroffenen zu den häufigsten Herzrhythmusstörungen. Typische Symptome sind Schwindel, Müdigkeit, Atemnot oder Ohnmacht. Wenn der Sinusknoten als Taktgeber des Herzens nicht richtig funktioniert oder die Weiterleitung der elektrischen Impulse in die Herzkammern nachhaltig gestört ist, ist die Implantation eines Herzschrittmachers empfohlen.

Herzschrittmacher: Über 60 Jahre Entwicklung

Die ersten Herzschrittmacher in Deutschland wurden 1961 implantiert. Sie hatten eine Größe von etwa 55 Millimeter Breite und 16 Millimeter Höhe und mussten einmal pro Woche von außen aufgeladen werden. Heute sind konventionelle Herzschrittmacher etwa so groß wie eine Streichholzschachtel. Der Einsatz erfolgt minimalinvasiv mit einem kleinen Schnitt, der unterhalb des Schlüsselbeins durchgeführt wird. In der so entstehenden Tasche unter der Haut wird das Aggregat eingesetzt, dessen drahtförmigen Elektroden anschließend über eine Vene bis in die rechte Hauptkammer beziehungsweise den rechten Vorhof geschoben werden.

Seit rund einem Jahrzehnt sind als Alternative kabellose Herzschrittmacher im klinischen Einsatz. Sie sind mit einer Größe von weniger als vier Zentimeter so klein wie eine Vitaminkapsel und werden daher auch Kapselschrittmacher genannt. Die Geräte werden mittels Herzkatheter über die Leistenvene in der rechten Herzkammer platziert und dort an der Herzwand fixiert. Da das Aggregat somit direkt vor Ort ist und keine transvenös zum Herzen führende Elektroden benötigt werden, sind Komplikationen wie Infektionen an der Haut, Sondenbrüche oder fehlplatzierte Elektroden nicht zu befürchten.

Wie implantierbare Defibrillatoren arbeiten

Bei einem plötzlichen Herzstillstand kommt es zu einem abrupten Verlust der Herzfunktion, meist infolge eines zu schnellen Herzschlags (Tachykardie) oder einer anderen Herzrhythmusstörung wie dem Kammerflimmern. Implantierbare Defibrillatoren erkennen solche lebensbedrohlichen Unregelmäßigkeiten im Herzschlag und bringen das Herz wieder zurück in seinen normalen Rhythmus.

Vorteile neuer Kapselschrittmacher

„Die kabellose Schrittmacher-Therapie zählt bereits seit etwa zehn Jahren zu den Routineeingriffen, die bei bestimmten Patientengruppen und an ausgewiesenen Zentren durchgeführt werden, erklärt Privatdozent Dr. Guram Imnadze, Oberarzt der Klinik für Elektrophysiologie/Rhythmologie am Herz- und Diabeteszentrum NRW in Bad Oeynhausen, das neben dem Deutschen Herzzentrum der Charité (DHZC) und der Medizinische Hochschule Hannover (MHH) darauf spezialisiert ist. „Unsere Erfahrungen zeigen, dass diese Kapselschrittmacher für bestimmte Patientengruppen wie etwa Dialysepatienten oder Patienten mit vorausgegangenen Schrittmacherinfektionen eine sehr geeignete Alternative zum konventionellen Schrittmachersystem darstellen. Typische Probleme, die in Verbindung mit den Elektroden auftreten können, können beim Kapselschrittmacher nicht auftreten.“

Laut einer Pressemitteilung haben PD Guram Imnadze und Dr. Thomas Eitz vom Herz- und Diabeteszentrum NRW (HDZ NRW), Bad Oeynhausen, nun erstmals einem Patienten ein neuartiges Defibrillator-System implantiert. Es eignet sich zur Behandlung von schweren Herzrhythmusstörungen in Verbindung mit Herzstillstand.

Im September 2023 hat mit Aveir VR die neue Generation der Kapselschrittmacher auch die CE-Zulassung erhalten. Grundlage sind die Daten aus der globalen Phase-2-Studie Leadless II. Das kurz danach auch in Deutschland erstmals implantierte System bietet für Imnadze zwei ganz wesentliche zusätzliche Vorteile: Die Mapping-Funktion bringe mehr Sicherheit, die höhere Batterieleistung bedeute für Patienten letzten Endes mehr Lebensqualität. „Für bestimmte Patientengruppen ist dieses neue System eine gute Alternative zu den bisherigen implantierbaren Defibrillatoren, die unseren Patientinnen und Patienten bereits eine hohe Sicherheit bieten, um einen drohenden Herzstillstand zu vermeiden und im Notfall mit der Auslösung eines elektrischen Schocks zu begegnen“, erklärte Prof. Philipp Sommer, Klinikdirektor der Klinik für Elektrophysiologie/Rhythmologie am HDZ NRW.

Mit der Mapping-Funktion kann noch vor dem Eingriff die optimale Position in der Herzkammer ausgelesen und exakt bestimmt werden, um das Verfahren besonders präzise und sicher durchführen zu können. Zudem kann das System - wie seine Vorgänger-Modelle auch - bei individuellem Bedarf neu positioniert werden. Durch dieses Mapping wird es möglich, die Anzahl der Repositionierungen zu minimieren und das Risiko für Verletzungen zu reduzieren, weil das Gerät für die Erhebung der Messwerte noch nicht fest mit dem Herzmuskel in Verbindung gebracht werden muss.

Imnadze hebt vor allem die besonders lange Lebensdauer der neuen Aggregate heraus: „Normalerweise steht nach etwa zehn Jahren ein Batteriewechsel an. Das bedeutet für unsere Patienten, dass sie sich dann einem neuen Eingriff unterziehen müssen.“ Die Lebensdauer der neuen Modelle schätzt der Hersteller Abbott auf mehr als 17 Jahre. Bei der neuen Generation der Kapselschrittmacher werde zudem eine Entfernung am Ende der Laufzeit möglich sein, ein spezielles Katheter-System steht hierfür zur Verfügung.

Jetzt auch für zwei Kammern

Die elektrodenlose Schrittmachertechnologie war lange ausschließlich Patienten vorbehalten, die eine Stimulation in der rechten Herzkammer benötigen. Auf diesen Einsatzzweck im rechten Ventrikel weist auch das „VR“ im Namen der neuen Generation hin. Was im Vorhof geschieht, erkennt ein solcher Schrittmacher nur indirekt über den Blutfluss und kann es nicht durch Impulse beeinflussen. „Die meisten Betroffenen sind jedoch auf Zwei-Kammer-Systeme angewiesen“, erklärt Imnadze. Solche kabellosen Systeme sind schon entwickelt, im Juni 2024 hat Abbott dafür das CE-Zeichen erhalten, im Juni 2023 bereits die Zulassung durch die US-amerikanische FDA. Das System heißt Aveir DR, neben dem Aveir VR kommt mit Aveir AR ein Schrittmacher für das rechte Atrium hinzu. Beide kabellose Schrittmacher synchronisieren sich über eine von Abbott i2i (implant-to-implant) genannte Technologie, die anders als zum Beispiel Bluetooth Hochfrequenzimpulse nutzt, um in Millisekunden Informationen über die natürliche Leitfähigkeit des Bluts zwischen den beiden Implantaten zu übertragen. Hintergrund ist, dass mit jedem Herzschlag Informationen ausgetauscht werden müssen – rund 40 Millionen mal im Jahr, und das ohne die Batteriekapazität zu sehr zu belasten.

Neben den Vorteilen gibt es bei diesen Zweikammer-Systemen laut Prof. Daniel Steven jedoch mehrere kritische Punkte zu beachten sind. So berge die Implantation des kabellosen Geräts im Vorhof durchaus Risiken: „Die Wandstärke des Vorhofs ist deutlich geringer als bei der Hauptkammer des Herzens“, mahnt der Leiter der Elektrophysiologie am Herzzentrum der Uniklinik Köln. „Der Schrittmacher wird mit einem Schraubgewinde befestigt, was zu Verletzungen der Vorhofhaut führen kann.“ Außerdem dürfte der neue Schrittmacher erheblich teurer werden als die etablierten Systeme. „Schon der Einkammer-Kapselschrittmacher ist um das Sechs- bis Siebenfache teurer als ein konventioneller Schrittmacher“, berichtet Steven.

Quelle:

Knops RE et al. N Engl J Med 2023;388:2360-2370