Triage: Am Ende muss immer der Arzt entscheiden
A&W RedaktionDie zweite Corona-Welle baut sich auf, Klinikärzte müssen wieder deutlich mehr COVID-19-Patienten versorgen – und gegebenenfalls harte Entscheidungen treffen. Denn eine verbindliche Regelung zur Triage gibt es vorerst nicht. Das hat das Bundesverfassungsgericht entschieden.
Triage-Situationen sind der Albtraum jedes Arztes. Und zumindest in Italien wurden sie in diesem Jahr während der Corona-Pandemie schon mehrfach dramatische Realität. Die Bilder aus Bergamo und New York gingen um die Welt – und sorgten auch in Deutschland für Entsetzen.
Aktuell gibt es in der Bundesrepublik derzeit zwar keinen Mangel an Intensivbetten für COVID-19-Erkrankte. Dennoch beschäftigt die ethischen Fragen, wie ärztliche Leistungen bei knappen Ressourcen priorisiert werden können, nicht nur die Gelehrten, sondern auch potenziell Betroffene. Denn gesetzliche Vorgaben, wie Ärzte in einem solchen Katastrophenszenario handeln sollen, gibt es nicht. Der deutsche Ethikrat und verschiedene medizinische Fachgesellschaften haben zwar Empfehlungen publiziert, die aber sind nicht bindend. Damit besteht das reale Risiko, dass im Fall der Fälle vor allem Menschen mit Vorerkrankungen – und damit niedrigeren Überlebenschancen – keine Hilfe erhalten.
Wichtig, aber nicht eilig
Eine Gruppe von Patienten, die laut Robert Koch-Instituts das Risiko tragen, schwer an COVID-19 zu erkranken, erhob deshalb Verfassungsbeschwerde. Die Beschwerdeführer befürchten, medizinisch schlechter behandelt oder gar von einer lebensrettenden Behandlung ausgeschlossen zu werden, weil die Erfolgsaussichten einer intensivmedizinischen Behandlung bei ihnen schlechter seien. Dies verletze neben ihrer Menschenwürde auch ihr Recht auf Leben und Gesundheit. Im Eilverfahren verlangten sie daher, der Gesetzgeber müsse seiner Schutzpflicht für Gesundheit und Leben aller nachkommen und verbindliche Regeln zu Triage erlassen. Bis dahin, so die Forderung der Gruppe, solle die Bundesregierung ein Gremium einsetzen, das die Triage verbindlich regele.
Gesetzgeber muss aktuell nicht handeln
In Karlsruhe hatten sie mit diesem Ansinnenvor dem Bundesverfassungsgericht allerdings keinen Erfolg (BVerfG, Az. 1 BvR 1541/20). Zwar sei die Verfassungsbeschwerde nicht von vornherein unzulässig oder offensichtlich unbegründet, so das Gericht in seiner Mitteilung. Die Beschwerde werfe vielmehr die schwierige Frage auf, ob und wann gesetzgeberisches Handeln in Erfüllung einer Schutzpflicht des Staates gegenüber behinderten Menschen verfassungsrechtlich geboten sei und wie weit der Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers bei Regelungen medizinischer Priorisierungsentscheidungen reiche. Dies bedürfe einer eingehenden Prüfung. Eine solche sei im Eilverfahren aber nicht möglich.
Zudem führten die Richter aus, dass das momentan erkennbare Infektionsgeschehen und die intensivmedizinischen Behandlungskapazitäten in Deutschland es derzeit als nicht wahrscheinlich erscheinen lasse, dass die Situation der Triage eintrete.
Auch die Forderung der Beschwerdeführer nach der Benennung eines Gremiums durch die Bundesregierung, das die Verteilung knapper intensivmedizinischer Ressourcen vorläufig regelt, lehnte das Gericht ab. Das Argument: „Auch ein solches Gremium wäre nicht legitimiert, Regelungen mit der Verbindlichkeit einer gesetzgeberischen Entscheidung zu erlassen, auf die es den Beschwerdeführenden gerade ankommt.“