Wirtschaftsnachrichten für Ärzte | ARZT & WIRTSCHAFT
Klinik

Deutschlands Notaufnahmen platzen aus allen Nähten. Vom Polytrauma bis zum Komasäufer, vom Schlaganfall bis zum eingewachsenen Zehennagel: Wer am Wochenende oder nach Feierabend noch einen Arzt sehen muss (oder will), der geht in der Regel ins nächstgelegene Klinikum.
Dass die Notaufnahmen, wie der Name schon sagt, für Notfälle eingerichtet sind, scheint dabei mehr und mehr in Vergessenheit zu geraten. Bereits vor zwei Jahren kam ein Gutachten im Auftrag des Verbands der Ersatzkassen (vdek) zu dem Ergebnis, dass ein Drittel der jährlich elf Millionen ambulanten Notfälle in Praxen von niedergelassenen Ärzten behandelt werden könnten. Geändert hat sich seither allerdings kaum etwas.

Damals wie heute fordern Standesvertreter deshalb eine Eintrittsgebühr für Kliniken, um dieses „Konsumverhalten“ der Patienten zu unterbinden. Andreas Gassen, Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung spricht sich klar für eine „finanzielle Steuerung“ aus, wie sie in vielen anderen Ländern Europas bereits üblich ist.

Praxisgebühr war ein Rohrkrepierer

Bei allem Verständnis für das Vorbringen der Funktionäre (und die Überlastung der Klinikärzte) stellt sich jedoch die Frage, ob eine solche Gebühr tatsächlich den gewünschten steuernden Effekt hätte – zumal zu erwarten ist, dass deren Einführung (wie weiland bei der Praxisgebühr) mit erheblichem bürokratischen Aufwand verbunden wäre.

Zudem erhebt sich angesichts des Vorschlags massive Kritik. Patientenschützer bescheinigen den KV-Funktioneren eine Gesundheitspolitik auf Stammtischniveau – und auch die Politik reagiert eher skeptisch. Niedersachsens Gesundheitsministerin Carola Reimann (SPD) etwa wehrt sich gegen kostenpflichtige „Tickets“ für die Notaufnahme, sie plädiert vielmehr für besser Aufklärung. Zudem verweist sie auf Modellversuche bei denen sogenannte Vorschaltpraxen die Klinikärzte entlasten: Am Klinikum Braunschweig etwa seien werktags zwischen 10 und 14 Uhr zwei Hausärzte in der Notaufnahme tätig, die Patienten mit leichteren Beschwerden behandeln. An Wochenenden übernimmt diese Aufgabe der Kassenärztliche Bereitschaftsdienst.

Es muss etwas geschehen

Wie auch immer Politik und Standesvertreter das Problem lösen: Die Zeit drängt. Denn auch eine unlängst veröffentlichte Umfrage der Techniker Krankenkasse belegt: Die Notaufnahme ist die erste Wahl, wenn Menschen in Deutschland außerhalb der Praxisöffnungszeiten medizinische Hilfe benötigen. 37 Prozent der Menschen in Deutschland haben innerhalb der vergangenen drei Jahre mindestens einmal die Notaufnahme einer Klinik aufgesucht. In ambulante Notfallpraxen gingen lediglich 22 Prozent auf, 13 Prozent wählten den Notruf (112) und 11 Prozent wandten sich an den ärztlichen Bereitschaftsdienst unter der Nummer 116 117.

Betrachtet man die vergangenen zehn Jahre, so war in diesem Zeitraum mehr als jeder zweite Mensch in Deutschland (53 Prozent) mindestens einmal in der Notaufnahme eines Krankenhauses. Dort wurden nach eigenen Angaben nur sechs von zehn Patienten als tatsächlicher Notfall mit akutem medizinischen Handlungsbedarf eingestuft – bei vier von zehn Befragten gaben die Notfallmediziner hingegen Entwarnung.