Wann müssen angestellte Ärzte medizinischen Anordnungen ihres Chefs widersprechen?
Judith MeisterAngestellte Ärzte müssen Behandlungsvorgaben ihrer Chefs widersprechen (Remonstrationspflicht), wenn diese gegen medizinisches Basiswissen verstoßen. Das hat das OLG Köln in einem aktuellen Urteil bestätigt.
„Der Arbeitgeber kann Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung nach billigem Ermessen näher bestimmen (…)“. Diese Vorgabe macht § 106 S. 1 Gewerbeordnung. Sinngemäß gilt sie auch im Rahmen der Anstellung von Ärzten, obwohl diese kein Gewerbe betreiben, sondern – selbst als Arbeitnehmer – einem Freien Beruf nachgehen. Ärztliche Arbeitgeber dürfen ihren festangestellten Kollegen daher bestimmte Aufgaben zuzuweisen. Auch müssen diese bei der Behandlung eines Patienten den Anweisungen ihres Vorgesetzten Folge leisten.
Von dieser Regel gibt es allerdings wichtige Ausnahmen, wie ein aktuelles Urteil des Oberlandesgerichts (OLG) Köln belegt. Der Senat musste sich bei der Verhandlung der Frage widmen, inwieweit Oberärzte und Assistenzärzte einer Weisung widersprechen dürfen - oder sogar widersprechen müssen (OLG Köln, Az. 5 U 69/24).
Gynäkologischer Standardeingriff endet tragisch
Im konkreten Fall ging es um die Klage der Familie einer 49-jährigen Frau. Die Patientin litt unter starken Monatsblutungen und einem durch Myome vergrößerten Uterus. Aus diesem Grund stellte sie sich in einer Klinik für, um die eine ambulante Hysteroskopie durchführen und die Wucherungen entfernen zu lassen.
Bei dem Eingriff führten die Operateure zunächst eine Kürettage des Gebärmutterhalses durch, gefolgt von einer mehrfachen Einführung des Hysteroskops. Die Ärzte verwendeten dabei ein monopolares Resektoskop. Als Spülmittel für die Gebärmutter nutzten sie etwa 2,5 Liter destilliertes Wasser. Auf die sonst übliche Verwendung von Kochsalzlösung verzichteten die Ärzte auf eine Anweisung des Chefarztes an die OP-Schwestern.
Danach sollte bei den Eingriffen nur destilliertes Wasser verwendet werden, um eine Korrosion der verwendeten Geräte zu vermeiden.
Fehler mit tödlichen Folgen
Die Folgen dieser Entscheidung waren dramatisch. Die Patientin erlitt unter anderem einen Leberriss und einem Hirnödem und verstarb, ohne je wieder zum Bewusstsein gekommen zu sein.
Der Tod der Frau war nach Ansicht des später vom Gericht eingesetzten Sachverständigen durch die Verwendung der falschen Spüllösung verursacht, die aus fachlicher Sicht schlechterdings nicht nachvollziehbar sei. Schon Medizinstudenten werde beigebracht, in keinem Fall Wasser in den Körper eines Patienten einzubringen, da dies zu lebensgefährlichen gesundheitlichen Folgen führen kann.
Aus Sicht des Sachverständigen war das Wasser vorliegend wohl durch die Wunde in der Gebärmutter in den Blutkreislauf gelangt und hatte so das tödliche Ödem verursacht.
Wann Ärzte remonstrieren müssen
Das Gericht verurteilte die Operateure und die Klinik unter anderem zur Zahlung von Schmerzensgeld wegen einer grob fehlerhaften Behandlung. Dass das gewählte Vorgehen auf Weisung des Chefarztes erfolgt war, änderte daran nichts.
Selbst die Assistenzärztin konnte sich nicht darauf berufen, Anweisungen ihrer Vorgesetzten befolgt zu haben. Denn verstößt ein von einem vorgesetzten Arzt angeordnetes Vorgehen gegen medizinisches Basiswissen und begründet es erkennbar erhöhte Risiken für den Patienten, müssen Oberärzte ebenso wie Assistenzarzt remonstrieren. Andernfalls haften sie für die Folgen einer solch fehlerhaften Behandlung persönlich.