Behandlungsfehler durch Organisations- und Delegationsfehler – Was Ärztinnen und Ärzte wissen müssen
Dr. jur. Alex JanzenÄrztinnen und Ärzte tragen nicht nur die Verantwortung für ihre eigene medizinische Leistung, sondern auch für die Organisation der Praxisabläufe und die Delegation ärztlicher Aufgaben. Versäumnisse in diesen Bereichen können als Organisationsfehler oder Delegationsfehler gewertet werden – mit teils weitreichenden haftungsrechtlichen Konsequenzen, wie Dr. Alex Janzen im folgenen Beitrag erklärt.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (BGH) sind Ärzte dazu verpflichtet, in ihrer Praxis eine Organisationsstruktur zu schaffen, um die Versorgung der Patienten zuverlässig zu erfüllen. Diese Organisationsstruktur umfasst die Auswahl und die Überwachung des Praxispersonals, räumliche und medizinische Ausstattung der Praxis, das Einhalten eines zweckmäßigen Behandlungsmanagements, die Sicherheit von Patienten und des Personals in der Praxis etc.
Werden in der Organisationsstruktur zurechenbare Fehler begangen, spricht die Rechtsprechung vom Organisationsverschulden bzw. von Organisationsfehlern.
Beweislastverteilung für Behandlungs- und Aufklärungsfehler
Die hohe Praxisrelevanz von Organisationsfehlern zeigt sich insbesondere seit dem Inkrafttreten des Patientenrechtegesetzes im Jahr 2013. Mit diesem Gesetz schuf der Gesetzgeber mit § 630h BGB eine spezielle Norm für die Beweislastverteilung für Behandlungs- und Aufklärungsfehler. Nach § 630h Abs. 1 BGB wird ein Fehler des Behandelnden gesetzlich vermutet, wenn sich ein allgemeines Behandlungsrisiko verwirklicht hat, dass für den Behandelnden voll beherrschbar war und zur Verletzung des Lebens, des Körpers oder der Gesundheit des Patienten geführt hat.
Die Rechtsprechung zählt Organisationsfehler von Ärzten zu den voll beherrschbaren Fehlern im Sinne des § 630h Abs. 1 BGB, wenn diese Fehler auf der unzureichenden Organisation und Koordination des Behandlungsablaufs oder auf dem Einsatz von fehlerhaften Geräten bzw. auf den fehlerhaften Einsatz von funktionstauglichen medizinischen Geräten beruhen. Ein Organisationsfehler ist dann voll beherrschbar, wenn die Risiken, die bei einem Organisationsfehler verwirklicht worden sind, bei einer ordnungsgemäßen Organisation sicher hätten vermieden werden können.
Einsatz von medizinischen Geräten
Bei dem Einsatz von medizinischen Geräten hat der Behandelnde zu gewährleisten, dass der Einsatz von solchen Geräten sachgemäß und gefahrlos erfolgt. Erleidet ein Patient durch den Einsatz eines defekten medizinischen Geräts oder durch eine unsachgemäße oder gefährliche Bedienung eines funktionstauglichen medizinischen Geräts einen Schaden, muss der Behandelnde gemäß § 630h Abs. 1 BGB beweisen, dass der Defekt des medizinischen Geräts oder die unsachgemäße bzw. gefährliche Bedienung eines funktionstauglichen Geräts weder von ihm noch von seinem Personal zu vertreten ist. Dieser Beweis wird in der Praxis regelmäßig nur schwer zu führen sein, da die Rechtsprechung hohe Anforderungen an die Sicherheit und Kontrolle von medizinischen Geräten in einer Praxis aufgestellt hat.
So fordert die Rechtsprechung, dass der Behandelnde nur solche medizinischen Geräte verwenden darf, die dem Stand der Technik entsprechen. Ferner müssen die betreffenden Geräte durch qualifizierte Fachkräfte regelmäßig gewartet und überwacht werden, das Praxispersonal muss diese Geräte jederzeit ordnungsgemäß bedienen können.
Konstruktionsfehler medizinischer Geräte
Besondere Problematiken tauchen auf, wenn der Einsatz von fehlerhaften medizinischen Geräten oder eine fehlerhafte Bedienung von funktionstauglichen medizinischen Geräten auf Konstruktionsfehlern beruht, die der Behandelnde oder sein Praxispersonal auch bei einer ordnungsgemäßen Wartung und Überwachung des betreffenden Geräts nicht hätten erkennen können. Zwar wird häufig vertreten, der Behandelnde hafte nicht für den Einsatz von fehlerhaften medizinischen Geräten, wenn ein für den Behandelnden und für sein Personal nicht erkennbarer Konstruktionsfehler vorliegt. Allerdings müsste der Behandelnde in einem solchen Fall darlegen und beweisen, dass tatsächlich ein Konstruktionsfehler des eingesetzten medizinischen Geräts vorgelegen hat und weder er noch sein Praxispersonal diesen Fehler hätten erkennen können. Ein solcher Beweis kann regelmäßig nur mittels eines aufwändigen Sachverständigengutachtens geführt werden, sofern der Hersteller eines solchen Geräts den behaupteten Konstruktionsfehler nicht einräumt.
Einsatz von KI bei der Bedienung eines medizinischen Geräts
Weitere nicht minder komplexen Problematiken ergeben sich, wenn eine unsachgemäße oder gefährliche Bedienung eines medizinischen Geräts auf dem Einsatz von KI beruht. Auch in solchen Fällen wird vielfach vertreten, ein durch den Einsatz von KI verursachter Fehler führe nicht dazu, dass dieser nach § 630h Abs. 1 BGB dem Behandelnden zugerechnet werde, sofern die eingesetzte KI in der konkreten Behandlungsituation nicht voll beherrschbar gewesen sei. Bei einer solchen Argumentation wird verkannt, dass der Einsatz der KI auf einer Entscheidung des Behandelnden beruht und dieser deshalb auch die volle Verantwortung tragen muss, wenn er die KI während der Behandlung nicht hinreichend überwacht hat.
Organisation und Koordination des Behandlungsablaufs von Patienten
Ein anderer Bereich von Organisationsfehlern betrifft die unzureichende Organisation und Koordination des Behandlungsablaufs von Patienten. Der Behandlungsablauf wird in diesem Zusammenhang in einem weiten Sinn verstanden und umfasst auch die bei der Behandlung eingesetzten Materialien, die Einhaltung der Hygiene, einwandfreie Desinfektionsmittel und Infusionen etc. Wird seitens eines geschädigten Patienten ein Verstoß gegen die Hygienevorschriften substantiiert behauptet, muss der Behandelnde Maßnahmen darlegen, mit denen er im konkreten Fall geltende Hygienebestimmungen eingehalten hat. Unzureichende personelle Ausstattung einer Arztpraxis kann ebenfalls die Vermutung eines vollbeherrschbaren Behandlungsrisikos im Sinne des § 630h Abs. 1 BGB auslösen. Das Gleiche gilt für unzureichende Kommunikation und Koordination des Behandlungsablaufs in der Arztpraxis.
Delegation von ärztlichen Leistungen
Unter einer Delegation von ärztlichen Leistungen wird die Übertragung von bestimmten Aufgaben von Ärzten auf nichtärztliches Personal verstanden. Dabei verbleibt die Entscheidung, ob eine delegierte Maßnahme angewendet wird, stets bei dem übertragenden Arzt. Das nichtärztliche Personal, das die übertragene Maßnahme ausführen soll, kann lediglich darüber entscheiden, wie die betreffende Maßnahme durchgeführt wird. Zu beachten ist hier, dass die Ausübung der Heilkunde ohne eine Erlaubnis nach dem Heilpraktikergesetz nur den Ärzten vorbehalten ist. Von diesem Grundsatz wird allerdings eine Ausnahme für qualifiziertes medizinisches Fachpersonal gemacht, wenn dieses auf ärztliche Anordnung therapeutisch tätig wird. Bezeichnenderweise hat es der Gesetzgeber bis heute nicht für erforderlich gehalten, eine allgemeine Rechtsgrundlage für eine Delegation ärztlicher Leistungen an medizinisches Fachpersonal zu regeln.
Eine Delegation von ärztlichen Leistungen kommt nicht in Frage, wenn ein Arzt höchstpersönlich zur Leistung verpflichtet ist. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn es um den Kernbereich ärztlicher Leistungen geht. Sind ärztliche Leistungen einer Delegation zugänglich, hat der übertragende Arzt in Bezug auf das nichtärztliche Personal bestimmte Auswahl-, Anleitungs- und Überwachungspflichten. Werden diese Pflichten verletzt, wird ein Delegationsfehler des betreffenden Arztes nach § 630h Abs. 1 BGB vermutet.