Wirtschaftsnachrichten für Ärzte | ARZT & WIRTSCHAFT
Recht

Die Angst vor Regressen kennen alle Praxisinhaberinnen und -inhaber. Um so schöner war es, als 2019 mit dem Terminservice- und Versorgungsgesetz eine neue Regelung geschaffen wurde, nach der Ärzte bei einem Regress nicht mehr die Gesamtkosten, sondern nur noch die Differenz zwischen unwirtschaftlicher und wirtschaftlicher Leistung begleichen sollten. Festgeschrieben ist das Ganze in § 106b Absatz 2a des Fünften Sozialgesetzbuchs (SGB V). 

Einige Prüfungsstellen wendeten die Norm bei der Wirtschaftlichkeitsprüfung so an, dass Ärzte auch bei der Verordnung von Arzneimitteln, die in der gesetzlichen Krankenversicherung nicht verordnungsfähig waren, nur den Differenzbetrag zahlen mussten – eine großzügige Interpretation. Andere sahen das strenger und verlangten eine komplette Rückzahlung. Zu der Regelung in § 106b SGB V gibt es eine Rahmenvereinbarung für die Wirtschaftlichkeitsprüfung zwischen der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und dem GKV-Spitzenverband.

BSG: Der Gesetzgeber wollte keinen Systemwechsel

Zwei Fälle landeten nun vor dem Bundessozialgericht (BSG). Einer betraf eine kinderärztliche Gemeinschaftspraxis. Sie hatte die Arzneimittel Spasmo Mucosolvan Saft und Mucospas Saft zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung verordnet. Die Prüfungsstelle setzte einen Regress fest, da die verordneten Arzneimittel nicht zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung verordnungsfähig seien. Allerdings setzte sie nicht die vollen Kosten der Arzneimittel an, sondern rechnete als wirkstoffgleiche und zulässige Verordnungsalternative die Verordnung von Ambroxol gegen. Die Krankenkasse klagte dagegen.

Im zweiten Fall wehrte sich die Kassenärztliche Bundesvereinigung gegen einen Schiedsspruch des Bundesschiedsamtes. Der GKV-Spitzenverband hatte nämlich 2021 wegen der bestehenden Rechtsunsicherheiten kurzerhand die Rahmenvereinbarung gekündigt. In dem sich anschließenden Schiedsverfahren entschied das Bundesschiedsamt, dass die Kostendifferenz nur zu berücksichtigen sei, wenn die in Rede stehende Verordnung unwirtschaftlich, nicht aber unzulässig und somit von der Leistungspflicht der GKV ausgeschlossen sei. 

Das BSG hat nun in beiden Fällen entschieden, dass die für Ärzte günstige Differenzregelung nur dann gilt, wenn es sich um unwirtschaftliche Verordnungen im engeren Sinne handelt, wie zum Beispiel Verordnungen von unnötig teuren Medikamenten. Auf unzulässige Verordnungen findet die Regelung dagegen keine Anwendung. Das BSG gesteht zwar ein, dass der Wortlaut der Regelung nicht eindeutig ist und verschiedene Interpretationsmöglichkeiten zulässt. Die Richter stellten aber klar, dass in der gesetzlichen Krankenversicherung Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, Versicherte nicht beanspruchen können, Leistungserbringer nicht bewirken und Krankenkassen nicht bewilligen dürfen. Dieses grundlegende Prinzip habe der Gesetzgeber nicht ändern wollen. Wenn ein solcher grundlegender Systemwechsel erfolgen solle, müsse das im Gesetz klar zum Ausdruck kommen (05.06.2024, Az. B 6 KA 5/23 R und B 6 KA 10/23 R).

Die Kassenärztliche Bundesvereinigung hat Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) aufgefordert, für eine gesetzliche Klarstellung zu sorgen.

Kommentar: Hart, aber konsequent

Das BSG verfolgt mit den beiden Entscheidungen zur Differenzkostenregelung bei der Wirtschaftlichkeitsprüfung eine restriktive Auslegung der neuen Norm. Ärztinnen und Ärzte dürfen daher nicht auf Großzügigkeit hoffen, wenn sie Medikamente verordnen, die in der gesetzlichen Krankenversicherung nicht verordnungsfähig sind. Sie müssen nicht nur den Differenzbetrag zu einem verordnungsfähigen Medikament zahlen, sondern die Kosten der gesamten Verordnung tragen. Das ist hart, im System der gesetzlichen Krankenversicherung aber konsequent. Hier könnte nur der Gesetzgeber Abhilfe schaffen. (ir)