Neulandmethode: Ohne korrekte Aufklärung wird es für den Arzt teuer
A&W RedaktionFür Ärzte, die ihre Patienten nicht ausreichend aufklären, kann es teuer werden. Im schlimmsten Fall ist die Einwilligung zur Behandlung unwirksam und damit rechtswidrig. Auf dieser Basis stehen dem Patienten Schadenersatzansprüche zu, wie ein aktuelles Urteil zeigt.
Die Einwilligung einer Patientin in eine Operation mit einer Neulandmethode ist unwirksam, wenn sie nicht darauf hingewiesen wird, dass es sich um ein neues Verfahren handelt, bei dem unbekannte Risiken auftreten können. Die mit einer unwirksamen Einwilligung vorgenommene Operation ist rechtswidrig und kann Schadensersatzansprüche begründen. Das hat der 26. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 23.01.2018 entschieden und damit das erstinstanzliche Urteil des Landgerichts Siegen vom 05.05.2017 (Az. 2 O 1/15 LG Siegen) bestätigt.
Patientin forderte 50.000 Euro
Die heute 62 Jahre alte Klägerin aus dem Lahn-Dill-Kreis begab sich im April 2008 in ein Krankenhaus in Siegen, dessen Träger die Beklagte ist. Sie stellte sich wegen einer Belastungsharninkontinenz in der urodynamischen Sprechstunde vor. Der Klägerin wurde nach Diagnosestellung das operative Einbringen eines Netzes vorgeschlagen. Hierbei handelte es sich um eine im Jahre 2008 nicht allgemein eingeführte, sog. Neulandmethode. Nach einem weiteren ärztlichen Aufklärungsgespräch stimmte die Klägerin dem neuen Operationsverfahren zu. Der operative Eingriff erfolgte noch im April 2008. In der Folgezeit litt die Klägerin an einer Dyspareunie und einer restlichen Harninkontinenz. Bis zum April 2009 unterzog sie sich fünf weiteren Operationen, bei denen weite Teile des Netzgewebes entfernt wurden. Danach verblieben persistierende Schmerzempfindungen.
Unter anderem mit der Begründung, unzureichend über alternative Behandlungsmethoden und Risiken der Neulandmethode aufgeklärt worden zu sein, hat die Klägerin von der Beklagten Schadensersatz verlangt, insbesondere ein Schmerzensgeld in Höhe von mindestens 50.000 Euro.
Nach dem Einholen eines gynäkologischen Sachverständigengutachtens hat das Landgericht der Klage teilweise stattgegeben und der Klägerin ein Schmerzensgeld in Höhe von 35.000 Euro zugesprochen.
Berufung des Krankenhauses blieb erfolglos
Die Berufung der Beklagten gegen die erstinstanzliche Verurteilung ist erfolglos geblieben. Mit Urteil vom 23.01.2018 hat der 26. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm die erstinstanzliche Verurteilung bestätigt. Der Senat hat den gynäkologischen Sachverständigen erneut angehört und über die mit der Klägerin vor der Operation geführten ärztlichen Aufklärungsgespräche Beweis erhoben.
Der im Hause der Beklagten im April 2008 durchgeführte operative Eingriff sei rechtswidrig, so der Senat, und verpflichte die Beklagte zum Schadensersatz. Er sei nicht von einer wirksamen Einwilligung der Klägerin gedeckt gewesen, weil diese zuvor fehlerhaft über die unzureichende Erfahrung mit den möglichen Folgen des neuen Operationsverfahrens aufgeklärt worden sei.
Patientin hätte auf die offenen Fragen hingewiesen werden müssen
Zwar sei die Klägerin neben der Neulandmethode auch über ein standardisiertes, klassisches Operationsverfahren aufgeklärt worden. Ihre Aufklärung über die Neulandmethode sei allerdings unzureichend gewesen, weil die Klägerin nicht in hinreichender Weise auf die seinerzeit noch nicht abschließend bekannten Risiken der neuen Methode hingewiesen worden sei. Nach den Ausführungen des Sachverständigen habe das neue Verfahren im Jahre 2008 zwar als erfolgversprechender als die bisherige, klassische Methode gegolten. Allerdings habe es im Jahre 2008 in Deutschland noch keine belastbaren Informationen über konkrete Risiken der angewandten neuen Methode gegeben. Die klinische Erprobungsphase des seit dem Jahre 2005 zunächst in den USA eingesetzten Verfahrens sei noch nicht abgeschlossen gewesen. So sei auch noch nicht bekannt gewesen, dass das Einsetzen eines Netzes im Beckenbodenbereich massive gesundheitliche Probleme nach sich ziehen könne.
Bei dieser Sachlage habe die Klägerin explizit darauf hingewiesen werden müssen, dass es sich um ein neues, noch nicht abschließend beurteilbares Verfahren handele. Ihr hätte ausdrücklich verdeutlicht werden müssen, dass auch unbekannte Komplikationen auftreten könnten. Als Patientin habe sie in die Lage versetzt werden müssen, für sich sorgfältig abzuwägen, ob sie sich nach der herkömmlichen Methode mit bekannten Risiken operieren lassen wolle oder nach der neuen Methode unter Berücksichtigung der in Aussicht gestellten Vorteile und der noch nicht in jeder Hinsicht bekannten Gefahren. Diesen gesteigerten Anforderungen habe die Aufklärung im Hause der Beklagten nicht genügt (Az. 26 U 76/17).
Quelle: OLG Hamm