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Medizinrecht

Die 1944 geborene Patientin, eine Geschäftsfrau aus Göttingen, fiel im März 2006 auf ihr Gesäß und begab sich deshalb in die ambulante Behandlung eines Chirurgen in Göttingen. Dieser diagnostizierte einen Knochenhautreizzustand an der Steißbeinspitze und behandelte die Klägerin mit mehreren Infiltrationen.

Beschwerden steigerten sich während der Behandlung

Aufgrund sich verschlimmernder Beschwerden suchte die Patientin im April 2006 das vom erstbeklagten Mediziner geleitete therapeutische Institut in Bochum auf. Nach der Anfertigung eines MRT der Lendenwirbelsäule und des Iliosakralgelenks wurde die Klägerin erneut mit mehreren Injektionen behandelt. Wenige Tage darauf behandelte ein anderer Arzt die nach wie vor unter erheblichen Beschwerden leidende Klägerin bei einem Hausbesuch wiederum mit schmerzstillenden Infiltrationen.

Mehrmonatiger Klinikaufenthalt

Im weiteren Behandlungsverlauf mit mehrmonatigen stationären Aufenthalten stellte sich heraus, dass bei der Patientin eine schon länger zurückliegende Kreuzbeinfraktur bestand. Zudem hatte sich die Patientin mit dem Staphylococcus aureus Bakterium infiziert. Durch die Infektion erlitt sie multiple Abszesse, ein multiples Organversagen mit zeitweilig lebensgefährlichem Verlauf und musste sich mehrfach Revisionsoperationen unterziehen. Die Patientin leidet noch heute unter Narbenschmerzen, Mobilisations- und Bewegungseinschränkungen.

Die Frau fühlte sich von beiden Ärzten grob fehlerhaft behandelt. Sie und die für sie eintretende Krankenversicherung aus Dortmund haben deshalb auf materiellen Schadensersatz beziehungsweise Schmerzensgeld geklagt.

Sachverständiger bestätigt Fehler der Ärzte

Nach der Einholung mehrerer medizinischer Sachverständigengutachten hat das Landgericht Bochum der klagenden Patientin 100.000 Euro Schmerzensgeld, ca. 12.000 Euro materiellen Schadensersatz und der klagenden Versicherung ca. 530.000 Euro Schadensersatz für die Kosten medizinisch notwendiger Folgebehandlungen zugesprochen. Die Berufungen beider Beklagten gegen die landgerichtlichen Urteile sind erfolglos geblieben. Nach ergänzender Befragung der medizinischen Sachverständigen hat der 26. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm laut einer aktuellen Mitteilung der Pressestelle die erstinstanzlichen Urteile in vollem Umfang bestätigt.

Grober Behandlungsfehler durch Arzt

Dem die Patientin zuerst behandelnden Zweitbeklagten sei, so der Senat, zumindest ein grober Behandlungsfehler unterlaufen, der seine vollständige Mithaftung für die Gesundheitsschäden der Patientin begründe. Der Zweitbeklagte hafte, weil er seine wenigen Tage zuvor begonnene Injektionsbehandlung fortgeführt habe, ohne eine Steißbeinfraktur durch bildgebende Verfahren abzuklären. Habe er noch zu Behandlungsbeginn auf eine bildgebende Diagnostik verzichten dürfen, sei diese einige Tage darauf angezeigt gewesen, weil sich die Beschwerden der Patientin nicht dauerhaft verringert hätten. Bei dieser Sachlage sei es zwingend geboten gewesen, der Frage einer Steißbeinfraktur nachzugehen. Das Unterlassen der weiteren bildgebenden Verfahren sei deswegen grob behandlungsfehlerhaft. Aufgrund der Steißbeinfraktur sei die vom Zweitbeklagten fortgeführte Infiltrationstherapie kontraindiziert gewesen. Dieser Schaden und die weiteren Folgeschäden der Klägerin seien dem Zweitbeklagten aufgrund der mit der grob fehlerhaften Behandlung verbundenen Beweislastumkehr zuzurechnen.

Fehlerhafte Diagnose

Der Erstbeklagte hafte, weil seine Mitarbeiter bei der Auswertung des MRT eine Fraktur bzw. einen Frakturverdacht fehlerhaft nicht diagnostiziert hätten. Auch zur Kontrolle der Lage von Injektionsnadeln gefertigte CT-Aufnahmen seien fehlerhaft bewertet worden, weil die sichtbare Fraktur nicht erkannt worden sei. Zudem sei eine aufgrund der Fraktur kontraindizierte Injektion fehlerhaft in den Frakturspalt gesetzt worden.

Die Diagnosefehler und auch die Injektion in den Frakturspalt seien grobe Behandlungsfehler. Aufgrund der mit der grob fehlerhaften Behandlung verbundenen Beweislastumkehr hafte der Erstbeklagte ebenfalls in vollem Umfang. Bei beiden Beklagten sei nicht auszuschließen, dass die jeweils in ihrem Verantwortungsbereich durchgeführten Injektionen die Infektion der Patientin bewirkt hätten. Deswegen seien beiden die weiteren Folgeschäden der Klägerin zuzurechnen.