Wirtschaftsnachrichten für Ärzte | ARZT & WIRTSCHAFT
Praxis

Ärztinnen und Ärzte auf der ganzen Welt litten besonders unter der Coronapandemie. Sie entwickelten in dieser Zeit viermal so häufig ein posttraumatisches Belastungssyndrom (PTBS) im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung und damit auch öfter als vor der Pandemie.

Eine im Sommer veröffentlichte, systematische Übersichtsarbeit analysierte 57 Studien mit insgesamt 28.965 Teilnehmenden auf die Frage hin: Wie hoch war die Prävalenz eines PTBS in der Ärzteschaft während der Coronapandemie? Ein Team um Prof. Manish Sood vom kanadischen Ottawa Hospital Research In­stitute verglich dafür 17 europäische Studien – von denen die meisten aus Großbritannien und Spanien stammten, keine aus Deutschland – sowie 16 asiatische, 14 nord- und drei südamerikanische, vier afrikanische, zwei australische und eine weltweite Studie.

Was die weltweite Studie über PTBS bei Ärztinnen und Ärzten herausfand

Das Ergebnis: Unter den teilnehmenden Ärztinnen und Ärzten aus 25 Ländern lag die Prävalenz eines PTBS bei 18,3 Prozent! In der Allgemeinbevölkerung liegt sie in Deutschland bei vier bis fünf Prozent. Die Gründe für diese hohe Prävalenz sehen die Studienautoren im medizinischen Berufsalltag begründet. Während der COVID-19-Pandemie waren Ärztinnen und Ärzte häufig mit traumatischen Erfahrungen konfrontiert wie dem Tod von Patienten, lebensbedrohlichen Notfällen, schweren Erkrankungen und einer hohen Arbeitslast. Zudem waren sie stark gefährdet, sich selbst mit SARS-CoV-2 anzustecken. Alle Faktoren waren außergewöhnliche Belastungen, die ein PTBS auslösen können. Vor allem Fachgebiete, die sich mit der Erstversorgung von COVID-19-Patienten konfrontiert sahen, waren stark betroffen. So lag die Prävalenz bei Hausärztinnen und Hausärzten sogar bei 31,2 Prozent, bei Notfallmedizinern bei 23,4 Prozent.

Diese verschiedenen Risikofaktoren gibt es für PTBS

Aber nicht nur das Fachgebiet wirkte sich auf das Risko aus, ein PTBS zu entwickeln. So berichteten Ärztinnen öfter davon als Ärzte. Ein Erklärungsversuch wurzelt in der Beobachtung, dass Frauen stärker auf soziale Unterstützung setzen, um Stress zu managen. Da die sozialen Kontakte während der Pandemie sehr eingeschränkt waren, könnte sich dies negativ auf die Ärztinnen ausgewirkt haben. Die kanadischen Wissenschaftler wiesen aber daraufhin, dass noch weitere Forschung notwendig sei, um diesen Geschlechterunterschied zu erklären.

Ein weiterer Faktor, der sich negativ auf die PTBS-Prävalenz auswirkte, war der Stand der Karriere. So erkrankten Assistenzärzte häufiger als Fachärzte. Die Gründe vermuten die Forscher in den Arbeitsbedingungen für Assistenzärzte. Schon vor der Coronapandemie zeigten Untersuchungen, dass Assistenzärzte häufiger ein PTBS hatten als zum Beispiel Oberärzte.

Auswirkungen von PTBS auf Ärztinnen und Ärzte

Grundsätzlich steht PTBS bei Ärztinnen und Ärzten in engem Zusammenhang mit Burn-out. Betroffene Kolleginnen und Kollegen sind leistungsschwächer, können sich weniger gut um ihre Patienten kümmern und neigen mehr dazu, medizinische Fehler zu machen. Außerdem haben sie auch ein erhöhtes Suizidrisiko. Angesichts des derzeitigen weltweiten Ärztemangels verschärft die Zunahme von PTBS innerhalb der Ärzteschaft seit der Pandemie zusätzlich den Druck auf die Beschäftigten im Gesundheitswesen und schafft einen sich selbst verstärkenden Teufelskreis. Denn die Nachfrage nach Gesundheitsleistungen steigt, was zu mehr Burn-out und Fluktuation bei Ärzten führt und wiederum die Nachfrage erhöht. In ihrem Fazit fordern die kanadischen Wissenschaftler, dass künftig mehr Wert darauf gelegt werden sollte, die Gesundheit von Ärztinnen und Ärzten zu erhalten.

Merkmale einer posttraumatischen Belastungsstörung

Bei der Diagnose unterscheidet man zwischen einer akuten Belastungsstörung und einer posttraumatischen Belas­tungsstörung (PTBS). Erstere kann nur innerhalb des ersten Monats nach einem traumatischen Erlebnis diagnostiziert werden, die PTBS nach einem Monat. Typische Symptome der PTBS sind:

  • Vermeidung: Betroffene sind emotional abgestumpft, gleichgültig und teilnahmslos gegenüber anderen. Sie vermeiden Situationen, die an das Trauma erinnern.

  • Negative Veränderung der Kognition und Stimmung: Dies führt unter anderem zu Selbsthass oder extrem negativen Ansichten über die Welt sowie zu bleibenden Emotionen von Angst, Entsetzen, Wut, intensiven Scham- oder Schuldgefühlen. Es kann sich auch ein Gefühl der Entfremdung von anderen entwickeln. Die eigene Leistungsfähigkeit kann so stark reduziert sein, dass die Alltagsbewältigung kaum noch möglich ist.

  • Vegetative Übererregtheit: Betroffene leiden unter Schlafstörungen, Reizbarkeit, Wutausbrüchen, Konzentrationsproblemen, erhöhter Wachsamkeit und übermäßiger Schreckhaftigkeit.

  • Intrusionen: Traumatisierte erleben immer wieder unfreiwillig belastende Erinnerungen an das Trauma in Form von Flashbacks, aber auch Albträumen.