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Während sich 2022 und 2023 die Lebensqualität von Kindern und Jugendlichen nach der Pandemie noch verbesserte, stagniert sie nun. Das zeigen neue Ergebnisse der COPSY-Längsschnittstudie des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE).

Verschlechtert hatte sich die Lebensqualität von Kindern und Jugendlichen zu Beginn der Pandemie. Im Winter 2020/21 berichteten fast die Hälfte der jungen Menschen von einer verminderten Lebensqualität. Auch in der aktuellen und siebten Befragungsrunde der Studie, die im Herbst 2024 stattfand, war die Lebensqualität noch nicht wieder auf einem präpandemischen Niveau. 21 Prozent der Kinder und Jugendlichen berichteten von einer weiterhin geminderten Lebensqualität. 22 Prozent jungen Menschen leiden immer noch unter psychischen Auffälligkeiten. Das sind in beiden Fällen etwa fünf Prozent mehr als noch vor der Pandemie.

Angstsymptome, depressive Symptome und Einsamkeit bei Kindern und Jugendlichen

„Neben der Lebensqualität und allgemeinen psychischen Auffälligkeiten haben wir auch spezifische psychische Belastungen wie Angstsymptome und depressive Symptome untersucht und dabei einen sehr ähnlichen Verlauf festgestellt”, sagt Dr. Anne Kaman, stellvertretende Leiterin der Forschungssektion Child Public Health der Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, -psychotherapie und –psychosomatik, in einer Pressemitteilung des UKE, „Ein weiteres zentrales Thema ist die Einsamkeit bei Kindern und Jugendlichen: 21 Prozent der Befragten gaben an, sich einsam zu fühlen – vor der Pandemie waren es lediglich 14 Prozent.”

Die COPSY-Längsschnittstudie

Seit Mai 2020 führen die Forschenden um Prof. Dr. Ulrike Ravens-Sieberer, Leiterin der Forschungssektion “Child Public Health” am UKE, bundesweit umfangreiche Online-Befragungen zur psychischen Gesundheit von jungen Menschen und ihren Familien durch. Die repräsentative Stichprobe umfasst mehr als 1.000 11- bis 17-Jährige und 1.500 Eltern von 7- bis 17-Jährigen. Der Fragebogen beinhaltet unter anderem Fragen zum Umgang mit Krisen, psychischen Problemen, psychosomatischen Beschwerden, zum Medienkonsum und Familienumfeld.

Um die psychische Gesundheit von jungen Menschen nach der Pandemie mit der vor der Pandemie zu vergleichen, nutzen Forschende Referenzdaten aus der BELLA-Studie. Bei dieser wurden ab 2003 junge Menschen im Rahmen der Bundesgesundheitsberichterstattung am Robert-Koch-Institut befragt. Die aktuellste Befragungswelle der BELLA-Studie fand 2014-2017 statt.

Welche Sorgen belasten Kinder und Jugendliche aktuell?

72 Prozent der Befragten gaben im Herbst 2024 an, dass sie sich Sorgen wegen aktueller Kriege und Terrorismus machen. 62 Prozent der Kinder und Jugendlichen sorgte sich wegen wirtschaftlicher Unsicherheit, 57 Prozent wegen der Klimakrise. Nur noch 15 Prozent der Befragten gaben dagegen an, dass sie sich Sorgen wegen der COVID-19-Pandemie machten.

Auch soziale Medien spielen eine Rolle. 32 Prozent der befragten Kinder und Jugendlichen gaben an, dass sie in sozialen Medien regelmäßig mit belastenden Inhalten konfrontiert werden. 21 Prozent der Befragten fühlten sich gestresst, weil sie Erfahrungen mit Ausgrenzung und Abwertung in sozialen Medien machten. 23 Prozent gaben an, dass die Nutzung von sozialen Medien ihnen nicht gut tut.

Der Einfluss des sozialen Umfeldes auf psychische Beeinträchtigungen

In welchem Ausmaß die jungen Menschen von Ängsten und depressiven Symptomen betroffen sind, hängt auch vom sozialen Umfeld ab. “Wir konnten feststellen, dass Risikofaktoren wie sozioökonomische Benachteiligung die Wahrscheinlichkeit für psychische Probleme erhöhen, während Kinder und Jugendliche, die optimistisch und zuversichtlich in die Zukunft schauen und sich von ihrem sozialen Umfeld gut unterstützt fühlen, besser geschützt sind”, sagt Prof. Dr. Ulrike Ravens-Sieberer, Leiterin der COPSY-Studie, in einer Pressemitteilung des UKE Hamburg.

Selbstregulation als schützender Faktor für die psychische Gesundheit

Im Gespräch mit dem Science Media Center betont Studienleiterin Ravens-Sieberer die Bedeutung von Selbstregulation als wichtigen protektiven Faktor für die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen: „Ich glaube, wir können das erreichen, indem wir Gesundheitsförderung und auch Prävention flächendeckend und niedrigschwellig anbieten, zum Beispiel in Schulen, also hier Gesundheit und Bildung zu verknüpfen. Ich weiß, das ist ein schwieriger Weg. Das wird sich nicht schnell umsetzen lassen.“

Außerdem sei es wichtig, dass Kinder die Möglichkeit haben, selbst aktiv zu werden, wenn es ihnen schlecht gehe. „Das kann einerseits in einer Institution wie der Schule sein, weil wir dann alle erreichen oder aber ein guter Ansatzpunkt wäre auch in der Familie“, führt Ravens-Sieberer aus, „Wir sehen ganz deutlich, dass die Kinder, die über ein gutes Familienklima berichten, die einen strukturierten Tagesablauf haben, aber die sich auch geliebt und unterstützt fühlen und die viel Zeit mit ihren Eltern und in der Familie verbringen, besonders resilient und widerstandsfähig diesen Krisen gegenüber sind. Und ich glaube, das ist auch etwas, wo wir vielleicht Erziehungskompetenz für Eltern auch niedrigschwelliger verfügbar machen müssen und Hilfestellung und Beratung dabei.“

Nachholbedarf in der Kinder- und Jugendpsychiatrie

Auch in der Kinder- und Jugendpsychatrie gibt es Nachholbedarf. In den Jahren nach der COVID-19-Pandemie seien keinen neuen Plätze in Kinder- und Jugendpsychatrien geschaffen worden, so Prof. Dr. Marcel Romanos, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie e.V., der an der Studie nicht beteiligt war, im Gespräch mit dem Science Media Center. „Das System ist jetzt schon an der Belastungsgrenze. Wir haben natürlich, wie viele andere medizinische Fächer auch Nachwuchssorgen. Die Kinder- und Jugendpsychiatrie ist strukturell benachteiligt, weil sie immer noch nicht in der medizinischen Ausbildung als Pflichtfach vorgesehen ist. Das bedeutet, ob Sie im Rahmen Ihres Medizinstudiums Inhalte zu psychischen Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen erleben und kennenlernen, ist mehr oder weniger Zufall und von Standort zu Standort unterschiedlich.“

In einem Fachartikel im Bundesgesundheitsblatt aus dem März 2024 schlagen Forschende um Romanos Lösungen vor, wie die Versorgung von jungen Menschen mit psychischen Erkrankungen gesichert werden kann.

Quelle:

Die Ergebnisse der aktuellen Befragungsrunde der COPSY-Studie sind als Preprints veröffentlicht: Kaman, A, Ravens-Sieberer, U, et. al. Youth Mental Health in Times of Global Crises: Evidence form the Longitudinal COPSY Study, Preprint, 2024. und Kaman, A, Ravens-Sieberer, U, et. al. Mental Health of Children and Adolescents in Times of Global Crises: Findings form the Longitudinal COPSY Study from 2020 to 2024, Preprint, 2024.

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