Chemotherapie bei älteren Patienten gut abwägen
Constanze PolenzWissenschaftler haben festgestellt, dass toxische Nebenwirkungen der Chemotherapie die Lebensqualität und körperliche Funktionsfähigkeit älterer, gebrechlicher Krebspatienten stark beeinträchtigen.
Krebserkrankungen nehmen zu. Das liegt unter anderem daran, dass die Menschen älter werden. Deshalb sind auch immer mehr ältere Menschen von Krebserkrankungen betroffen. In Krebsstudien ist diese Altersgruppe eher unterrepräsentiert. Deshalb haben niederländische Wissenschaftler den Zusammenhang untersucht zwischen toxischen Chemotherapie-Nebenwirkungen ab Grad 3 bei Patienten ab 70 Jahren und der Langzeitauswirkungen auf ihre Lebensqualität und körperliche Funktionsfähigkeit.
Chemotherapiebedingter Toxizitätsgrad 3 bedeutet laut WHO-Definition, dass die Patienten ausgeprägte Nebenwirkungen haben, die es notwendig machen, die Chemotherapie zu unterbrechen oder sogar abzubrechen. Grad 4 sind schwere Nebenwirkungen, die eine Klinikeinweisung erforderlich machen und Grad 5 ist der Tod aufgrund der Chemotherapie.
Mehr Vorerkrankungen im Alter
Menschen in höherem Alter haben häufiger geringere Knochenmarkreserven, eine eingeschränkte Leber- und Nierenfunktion und Multimorbiditäten. Das Risiko, toxische Chemotherapie-Nebenwirkungen zu entwickeln, ist bei diesen Patienten erhöht. Gerade gebrechliche Patienten vertragen die Chemotherapie oft schlecht. In der Folge kann es dadurch zu Klinikaufenthalten oder Therapie-Abbrüchen kommen.
Die niederländischen Wissenschaftler haben für ihre Studie 276 Patienten mit bösartigen Krebserkrankungen rekrutiert und in die laufende „Triage of Elderly Needing Treatment” (TENT)-Kohorte aufgenommen. Die TENT-Studie, die seit 2015 läuft, hat das Ziel, die Versorgung älterer Patienten zu verbessern.
Die Teilnehmer waren im Mittel 74 (72-77) Jahre alt und mehr als die Hälfte (57 Prozent) von ihnen hatte Magen-Darm-Krebs. Alle Probanden hatten bisher noch keine Chemotherapie erhalten. Eine gleichzeitige Immuntherapie, Strahlentherapie, gezielte Therapie oder Operation waren zulässig. 196 Patienten erhielten eine kurative Chemotherapie und 195 eine Polychemotherapie.
Screening auf Gebrechlichkeit vor der Chemotherapie
Vor Beginn der Chemotherapie führten die Mediziner eine geriatrische Basisbeurteilung (CGA) durch und beurteilten die Gebrechlichkeit der Patienten. Dabei stuften sie mehr als die Hälfte der Patienten (145) als gebrechlich ein. 61 Prozent hatten eine und mehr Komorbiditäten und 53 Prozent hatten Defizite in zwei bis vier Bereichen.
Sechs und zwölf Monate nach Behandlungsbeginn bewerteten die Forscher anhand von Fragebögen bei den Teilnehmern die Funktionsfähigkeit der Teilnehmer bei Aktivitäten des täglichen Lebens, ihre Unabhängigkeit, ihre Lebensqualität, den Ernährungszustand, Komorbiditäten und ob sie Depressionen oder Angstzustände hatten. Die Nachbeobachtungszeit betrug ein Jahr oder bis zum Tod. Insgesamt überlebten 80 Patienten das erste Jahr nicht. Darunter signifikant mehr gebrechliche Patienten.
Toxische Nebenwirkungen Grad 3 und höher bei 160 Teilnehmern
65 Prozent der gebrechlichen Patienten entwickelten toxische Nebenwirkungen Grad 3 oder höher. Bei 48 Prozent dieser Patienten war es nötig, die Dosis zu reduzieren, 50 Prozent brachen die Chemotherapie frühzeitig ab und bei 60 Prozent der Patienten war eine Klinikeinweisung im ersten Jahr notwendig. Nach sechs und nach zwölf Monaten litten insgesamt 76 Prozent der gebrechlichen Menschen unter Einbußen ihrer Lebensqualität und körperlichen Funktionsfähigkeit. Die Mehrzahl der gebrechlichen Patienten, deren Lebensqualität und körperliche Funktionsfähigkeit erhalten geblieben war, hatten keine toxischen Nebenwirkungen.
50 Prozent der Patienten ohne Gebrechlichkeit bekamen toxische Nebenwirkungen Grad 3 und höher Bei 35 Prozent war es nötig, die Dosis der Chemotherapie zu reduzieren, 33 Prozent beendeten die Behandlung vorzeitig und 42 Prozent wurden im ersten Jahr ins Krankenhaus eingeliefert. Bei den Nachbefragungen nach sechs Monaten gaben 64 Prozent und nach zwölf Monaten 68 Prozent eine schlechtere Lebensqualität und Einbußen in der körperlichen Funktionsfähigkeit an.
Die Studienergebnisse legen nahe, dass Chemotherapie-bedingte toxische Nebenwirkungen Grad 3 und mehr bei älteren Patienten einen negativen Langzeit-Einfluss auf ihre Lebensqualität und körperliche Funktionsfähigkeit haben können. Vor allem bei gebrechlichen Patienten ist dadurch die Unabhängigkeit gefährdet. Die Studienautoren regen an, vor der Behandlung von älteren Patienten eine geriatrische Basisuntersuchung und ein Screening auf Gebrechlichkeit durchzuführen. Sie geben zu bedenken, vor einer Chemotherapie gut abzuwägen, ob sie Vorteile bringt und die Lebensqualität verbessert oder eher nicht.