Warum die regionale Verordnungssteuerung teilweise irreführend ist
Serviceredaktion A&WKrankenkassen und KVen haben den gesetzlichen Auftrag zur Steuerung der ärztlichen Verordnungsweise. Doch zeigt die Praxis, dass die Steuerung im Hinblick auf nutzenbewertete Arzneimittel teilweise rechtswidrig oder zumindest irreführend ist.
An sich sind die gesetzlichen Verordnungsvorgaben einfach: Nach dem Qualitätsgebot muss die Versorgung in jedem Einzelfall dem allgemein anerkannten und aktuellen Stand der medizinischen Erkenntnisse genügen. Sind danach mehrere Therapieoptionen als gleichwertig zu betrachten, ist nach dem Wirtschaftlichkeitsgebot die für die Krankenkasse günstigere Option zu wählen. Umgekehrt gilt nach der Rechtsprechung, dass ein medizinischer Grund Mehrkosten rechtfertigt.
Bei der Konkretisierung dieser Vorgabe helfen Nutzenbewertungsbeschlüsse des G-BA. Stellt der G-BA in einem Nutzenbewertungsbeschluss einen Zusatznutzen gegenüber der zweckmäßigen Vergleichstherapie fest, so stellt dieser Zusatznutzen einen Grund dar, der im Sinne des Wirtschaftlichkeitsgebots Mehrkosten gegenüber der zweckmäßigen Vergleichstherapie rechtfertigt. Trotz des höheren Preises ist das Arzneimittel mit Zusatznutzen hier wirtschaftlich. Leider wird diese gesetzliche Folge bei der Verordnungssteuerung über Quoten und Hinweisschreiben der Krankenkassen nicht immer beachtet.
G-BA-Beschlüsse sind für alle verbindlich
Obwohl die G-BA-Beschlüsse als Teil der Arzneimittel-Richtlinien nicht nur für Vertragsärzte, sondern auch für Krankenkassen und KVen verbindlich sind, erfolgt immer wieder eine Verordnungssteuerung weg vom Zusatznutzen. Das ist unzulässig. Beispielsweise ist zu beobachten, dass Krankenkassen auch dann bevorzugt auf die Verordnung ihrer Rabattvertragsarzneimittel hinwirken, wenn diese – anders als deren Wettbewerber – keinen Zusatznutzen zeigen konnten.
Ein Rabattvertragsarzneimittel ist wegen des Rabatts aber nur dann gegenüber seinem Wettbewerber wirtschaftlich, wenn es bei der ärztlichen Therapieentscheidung auf einen Kostenvergleich ankommt. Dies ist jedoch nur der Fall, wenn die Arzneimittel therapeutisch gleichwertig sind. Bei der Beurteilung, ob eine solche Gleichwertigkeit vorliegt, sind die Beschlüsse des G-BA und seine unterschiedlichen Bewertungen zum Zusatznutzen zu berücksichtigen.
Der Zusatznutzen sticht einen etwaigen Kostenvorteil
Ebenso problematisch sind regionale Quoten, die vom Zusatznutzen wegsteuern. Zwar verpflichten Quoten nicht zur Verordnung eines bestimmten Arzneimittels. Das als Zielsubstanz angegebene Arzneimittel muss aber dennoch zumindest im Regelfall die nach dem Qualitäts- und Wirtschaftlichkeitsgebot zu verordnende Substanz sein. Das ist jedoch nicht mehr der Fall, wenn eine Quote weg vom Zusatznutzen hin zu den Arzneimitteln steuert, gegenüber denen der Zusatznutzen gezeigt wurde. Auch hier sticht der Zusatznutzen die Quote. Wirtschaftlichkeit bedeutet nicht nur Kostenvergleich, sondern Kostenvergleich bei Gleichwertigkeit.
Deshalb differenziert das AMNOG-System: Die Erstattungsbeträge werden auf der Grundlage des vom G-BA festgestellten Nutzens und Zusatznutzens verhandelt bzw. von der Schiedsstelle festgesetzt. Für den Fall, dass ein Arzneimittel keinen Zusatznutzen gegenüber der zweckmäßigen Vergleichstherapie zeigen konnte, gilt im Regelfall: „nicht besser, also nicht teurer“. Umgekehrt wird ein Zusatznutzen mit einem Zuschlag auf die Kosten der Vergleichstherapie belohnt, gegenüber der der Zusatznutzen gezeigt wurde.
Deshalb können neue Bewertungen eines Arzneimittels, in denen ein Zusatznutzen gezeigt wird, auch zu einer Preiserhöhung führen, wie dies zum Beispiel jüngst von der Schiedsstelle bei Dapagliflozin nach der positiven Nutzenbewertung im Therapiegebiet der Herzinsuffizienz entschieden wurde. Diese Mehrkosten begründen dann keine Unwirtschaftlichkeit, sondern sind durch den Zusatznutzen gerechtfertigt. Der Preis folgt dem im AMNOG-Verfahren gezeigten Nutzen.
Dr. Gerhard Nitz,
Fachanwalt für Medizinrecht