Inflation – das unbekannte Risiko für die Volksgesundheit
Serviceredaktion A&WDass Inflation durchaus ein Gesundheitsrisiko sein kann, leuchtet ein. Naheliegend ist die Vermutung, dass sich Verbraucher nur noch qualitativ minderwertigere Lebensmittel leisten können, häufig mit hohem Fettgehalt. Daraus resultierendes Übergewicht gilt als Volkskrankheit. Dass die Inflation aber auch die medizinische Versorgung bedroht, bedenken die wenigsten Außenstehenden.
Ärzte als Unternehmer mit Preisbindung
Arbeitnehmer erhalten im Rahmen von Tarifverträgen oder durch selbst ausgehandelte Gehaltserhöhungen regelmäßig einen gewissen Inflationsausgleich. Unternehmer, die einen höheren Preis für den Wareneinsatz entrichten müssen, erhöhen die Verkaufspreise. Wie sieht es aber bei den niedergelassenen Ärzten aus? Wie werden dort die höheren Ausgaben kompensiert? Die Antwort in Zusammenhang mit der jüngsten Preisexplosion seit 2021 lautet “gar nicht”.
- Die letzte signifikante Honoraranpassung seitens der Ersatzkassen erfolgte im Jahr 2015. Spätere Steigerungen basierten lediglich auf dem Termin-Service-Gesetz und der Impfkampagne.
- Die Gebührenordnung Ärzte (GOÄ) für die privatärztliche Abrechnung wurde letztmalig im Jahr 1996 angepasst, damals um 3,6 Prozent.
(Quelle: kvh-Journal)
Ärzte sind Unternehmer, die andere Menschen beschäftigen. Für den Zeitraum von Januar 2021 bis Dezember 2023 sieht der Tarifvertrag für Medizinische Fachangestellte (MFA) eine Lohnsteigerung von zwölf Prozent vor. Das sind Gelder, die verdient werden müssen (Quelle: der-niedergelassene-arzt.de). Dass Arztpraxen an den Grenzen ihrer Kapazitäten laufen, ist auch den Patienten bekannt. Mehrwöchige Wartezeiten für einen Facharzttermin sind die Regel, nicht die Ausnahme. Es stellt sich also die Frage, wie diese Lohnsteigerungen finanziert werden sollen. Eine Option wären Einsparungen – bleibt die Überlegung, an welcher Stelle. Eine andere Option, und das ist die wahrscheinlichere, bedeutet rückläufige Erträge für den Arzt.
Die Möglichkeit der Preiserhöhung, wie sie andere Unternehmer ausschöpfen können, bietet sich der Ärzteschaft nicht. Neben den Gehältern für die MFA stellt die Praxismiete den zweiten großen Kostenblock dar. Die folgende Grafik veranschaulicht die Entwicklung für Gewerbeflächen in Frankfurt am Main für den Zeitraum Januar 2019 bis Januar 2023.
Praxiskosten weit über der Inflationsrate
Das Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung (ZI) hat in einer Studie die Entwicklung der gesamten Praxis- und Personalkosten sowie der sonstigen Ausgaben für den Zeitraum zwischen 2017 und 2022 der Inflationsrate gegenübergestellt. Das Ergebnis gibt einen Anhaltspunkt dafür, weshalb immer mehr Ärzte eine Anstellung wählen, anstatt eine eigene Praxis zu führen:
Auf der Grundlage der vom Statistischen Bundesamt ermittelten Inflationsrate von 7,5 Prozent für Juli 2022 hat das ZI folgende Projektion für die einzelnen Kostenblöcke entwickelt:
- Eine Inflationsrate von 7,5 Prozent bedeutet für eine durchschnittliche Arztpraxis Mehrkosten von 12.500 Euro pro Jahr.
- Davon entfallen auf Personal 7.100 Euro, ein Plus von 30 Prozent gegenüber 2017.
- Die Gesamtkosten sind in diesem Zeitraum um 27 Prozent gestiegen.
Laut ZI beträgt der Anteil der Personalkosten an den Gesamtkosten 56 Prozent. Der Punkt Personal ist allerdings im Zusammenhang mit der Inflationsproblematik nichts, worüber sich diskutieren ließe. Der Beruf der oder des MFA gilt als “Engpassberuf”. Die Zahl der offenen Stellen stieg von Juli 2019, damals 6.700, auf 9.600 im Juli 2022 – ein Plus von 42 Prozent. MFAs haben bei der Wahl des Arbeitsplatzes faktisch die freie Auswahl, Arbeitgeber kommen um eine entsprechende Vergütung nicht umhin.
Energiepreis-Explosion: Keine Unterstützung für Hausärzte
Gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) wies der Deutsche Hausärzteverband darauf hin, dass es für Hausärzte keinerlei finanzielle Unterstützung seitens des Bundes gibt. Während Kliniken in allen Belangen finanzielle Unterstützung aus Berlin erhalten, bleibt diese für die Ärzteschaft vor Ort aus. Steigende Personalkosten, explodierende Energiepreise und angekündigte Null-Runden seitens der Ersatzkassen lassen die Forderung des Hausärzteverbandes nach einem Hilfspaket für die niedergelassenen Ärzte laut werden (Quelle: rnd.de).
Was für die MFAs gilt, hat auch bei den Hausärzten Gültigkeit: Die Zahl der unbesetzten Stellen steigt stetig an. Fehlten laut Kassenärztlicher Bundesvereinigung (KBV) im Jahr 2019 noch 3.300 Niederlassungen, stieg die Zahl im Jahr 2021 schon auf 4.100.
Steigende Inflation führt zu schrumpfenden Einnahmen. Ärzte sind, wie bereits erwähnt, Unternehmer. Dem Weg in die Selbstständigkeit geht in der Regel eine Ertragskalkulation voraus. Diese ist in den letzten zwei Jahren regelrecht zusammengebrochen. Die Folge ist der Mangel an niedergelassenen Ärzten mit der Folge einer medizinischen Unterversorgung oder drohenden Unterversorgung der Bevölkerung. Eine Studie der KBV aus dem Jahr 2021 zeigte folgende Zahlen:
- Festgestellte medizinische Unterversorgung der Bevölkerung in 17 Planungsbereichen.
- Drohende medizinische Unterversorgung der Bevölkerung in 119 Planungsbereichen.
Der Schwerpunkt des Mangels lag bei Hausärzten und hier wiederum überwiegend in ländlichen Regionen. “Der Hausarzt muss die gleiche finanzielle Vergütung erhalten, wie ein Radiologe”, so Roland Stahl, Sprecher des DHV gegenüber dem Redaktionsnetzwerk.
Das vereinfachte Zulassungsverfahren für die Landarztquote ist ein Schritt, eine aktive Unterstützung durch den Bund zur Kompensation der überdurchschnittlich steigenden inflationsbedingten Kosten muss ein weiterer sein.
Berufsbedingte Inflation vs. private Inflation
Was die Inflation bei niedergelassenen Ärzten betrifft, kann man festhalten, dass die ausschlaggebenden Faktoren überall die gleichen sind: Miete, Personal, Heizkosten und Strom. Etwas anders sieht es aber bei der persönlichen Inflation aus, auch bei Medizinern. Ein Arzt führt auch ein Privatleben, welches mit Kosten verbunden ist.
Und wie bei jedem anderen Privathaushalt orientieren sich die Kosten am Lebensstil. Lebensmittel unterliegen unterschiedlichen Teuerungsraten. Wer viel Fleisch ist, muss mit höheren Ausgaben rechnen, als ein Vegetarier. Wer mit dem Auto zum Arbeitsplatz – beispielsweise in die Praxis – fährt, leidet unter der Preisexplosion an den Tankstellen. Wer wissen möchte, wie hoch seine persönliche Inflationsrate ausfällt, kann das schnell und unkompliziert mit diesem Inflationsrechner ermitteln.