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Wer empfiehlt, Aktien zu einem bestimmten Zeitpunkt zu verkaufen, muss auch sagen, wann Anleger die Papiere zurückkaufen sollten, um mit dieser Strategie besser zu fahren als mit einem Dauer-Investment. „Dieser Teil der Börsenweisheit kommt bei der Diskussion um Verkäufe im Mai oft zu kurz“, sagt Burkhard Wagner von Partners Vermögensmanagement in München. Nach den Worten des Vermögensverwalters setzt sich „Sell in May and go away“ fort mit den Worten „But come back on St. Leger’s Day“. Das ist der 15. September.

Saisonale Muster treten nicht jedes Jahr auf

In der Tat war und ist seit über mehr als 100 Jahren zu beobachten: Es gibt an den Börsen aus unterschiedlichen Gründen saisonal stärkere und schwächere Zeiten. Allerdings treten diese saisonalen Unterschiede zum einen längst nicht in jedem Jahr zu Tage, sondern erst über eine längere Frist. Zum anderen haben sich mit dem technischen und wirtschaftlichen Fortschritt auch die Zeiträume für saisonal starke und schwache Phasen etwas verschoben. „So ist die Bedeutung der Landwirtschaft als Wirtschaftstreiber in den vergangenen Jahrzehnten deutlich geschrumpft. Dienstleistungen und Digital-Wirtschaft tragen weitaus mehr zur Wertschöpfung bei“, sagt Werner Krieger von der GFA Vermögensverwaltung im badischen Herbolzheim. Seit etlichen Jahren gelten daher auch der restliche September sowie der Oktober als kritische Zeiträume, in denen DAX & Co. oft in den Keller rauschen.

In 21 Jahren funktionierte die Mai-Strategie nur vier Mal

Doch wie wäre ein Anleger in den Jahren seit 2003 gefahren, der sich an die veränderten Umstände angepasst hätte – also Ende Mai etwa den breiten US-Markt verkauft und ihn sechs Monate später Anfang November erneut gekauft hätte? „In gut drei Viertel der Jahre seit 2003 wären Anlegern mit dieser Strategie Rendite entgangen, weil der S&P 500 Ende Oktober höher stand als Ende Mai“, so die Bilanz von Vermögensprofi Wagner. Eine Auswertung des Autors ergab, dass Anleger, die Ende Mai verkaufen und Anfang November kaufen, gegenüber einem Dauer-Investor jährlich im Schnitt 2,8 Prozentpunkte an Rendite verloren hätten (s. Tabelle unten). Beim DAX kam diese Strategie auf sehr ähnliche Ergebnisse, da sich der Index fast parallel zu den US-Taktgebern entwickelt.

Mai-Strategie trägt ihre Früchte in schlechten Jahren

Was dabei auffällt: In den vier betreffenden Jahren stachen wichtigere Faktoren das Thema der Saisonalität aus. Die Zeiträume, in denen ein Verkauf Ende Mai Vorteile gebracht hätte, waren 2008, 2011, 2015 und 2022. „2008 hatten wir aufgrund der Finanz- und Bankenkrise den größten Bärenmarkt der letzten 20 Jahre, als die Indizes bis zu 60 Prozent verloren. Und 2022 kam es durch die Zinserhöhungen der Notenbanken ebenfalls zu einem Aktieneinbruch“, sagt Vermögensprofi Krieger. 2011 war das Jahr der Staatschuldenkrise im Euroraum, in dem die Solvenz von Griechenland und Italien zur Diskussion stand. 2015 schließlich atmeten die Aktienmärkte nach drei starken Jahren aus und holten Atem für den nächsten Aufschwung.

Langfristiger Trend hat größeres Gewicht als Saisonalität

In drei von vier Fällen sorgten also bedeutsame Ereignisse dafür, dass der Optimismus einem (ausgeprägten) Pessimismus wich und dem vorigen Aufwärtstrend fürs Erste ein Ende setzte. Damit aber ist letztlich ein anderer Faktor als die Saisonalität wichtiger für die Frage, ob zeitweilige Verkäufe von Aktien bzw. Fonds oder ETFs sinnvoll sind: der mittel- bzw. längerfristige Trend, der oft mit gleitenden Durchschnitten wie dem 40- oder 50-Wochen-Durchschnitt der Kurse ermittelt wird. „Gerät der Aktienmarkt unter diese gleitenden Durchschnitte, erholen sich die Kurse entweder rasch oder es kann für einige Zeit richtig ungemütlich werden“ sagt Burkhard Wagner. Letzteres war 2022 und – besonders ausgeprägt – im Jahr 2008 der Fall, als der DAX rund 60 Prozent an Wert verlor.

Gleitende Durchschnitte als Entscheidungshilfe

Fazit: Anleger, die „Sell in May“ anwenden, wollen sich mit dieser Strategie vor möglichen Schwächephasen zwischen Anfang Juni und Ende Oktober schützen. Die Analyse der letzten 21 Jahre zeigt jedoch, dass sie damit bei konsequenter Anwendung einen wesentlichen Teil der Rendite verpasst hätten. Eine bessere Absicherung vor (gravierenden) Abschwüngen wie 2008 und 2022 ist es, zu verkaufen, wenn der Kurs etwa des DAX den 40-Wochen-Durchschnitt am Ende der Handelswoche unterschritten hat. Es gibt jedoch einen Preis für diese Absicherung: Eventuell dreht der Kurs bald wieder über den gleitenden Durchschnitt. Dann muss der ETF teurer zurückgekauft werden – dies jedoch nur, wenn dieser längerfristige Trend nicht fällt.

So viel Rendite versäumten Anleger mit „Sell in May“ (SIM) in 21 Jahren *

Jahr

Verkauf 31. Mai 

Kauf 1. Nov.

Entgangene Rendite

Vermiedener Verlust

2003

964

1051

11,1 %

 

2004

1120

1130

0,1 %

 

2005

1191

1207

1,4 %

 

2006

1270

1378

8,5 %

 

2007

1482

1549

4,5 %

 

2008

1400

969

 

30,8 %

2009

919

1036

12,7 %

 

2010

1089

1183

8,6 %

 

2011

1345

1253

 

6,8 %

2012

1310

1412

7,8 %

 

2013

1631

1756

7,7 %

 

2014

1923

2018

4,9 %

 

2015

2107

2079

 

1,3 %

2016

2097

2126

1,4 %

 

2017

2412

2575

6,8 %

 

2018

2705

2712

0,3 %

 

2019

2752

3038

10,4 %

 

2020

3044

3270

7,4 %

 

2021

4204

4605

9,5 %

 

2022

4132

3872

 

6,3 %

2023

4180

4193

0,3 %

 

addierte Renditen

  

103,4 %

 

addierte Verluste

   

45,2 %

Verlust durch „SIM“ pro Jahr im Schnitt

   

2,8 %

*Basis: Index S&P 500 (ohne Dividenden) / Renditen wurden nicht kumuliert; Quelle: finance.yahoo.com; Recherche: Jürgen Lutz

Hinweis: Viele Portale im Internet wie onvista.de oder finanzen.net bieten kostenlos und einfach die Möglichkeit, zu Indizes wie DAX oder MSCI World gleitende Durchschnitte einzurichten.

Autor: Jürgen Lutz