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Geldanlagen

Herr Kaim, was sind die wesentlichen Aufgaben der Geldpolitik?

© Foto: V-Bank/Kidron/Franz Kaim

Franz Kaim, Kidron Vermögensverwaltung 

Franz Kaim: Die grundsätzliche Aufgabe der Europäischen Zentralbank (EZB) besteht darin, für Preisstabilität im Währungsraum zu sorgen. Das heißt, die Notenbank sorgt dafür, dass die Inflation nicht deutlich über oder unter dem mittelfristigen Zielwert von rund zwei Prozent liegt. Eine weitere Aufgabe ist die Unterstützung der Wirtschaftsentwicklung im Euroraum.

Und beides steuert die EZB insbesondere über ihre Zinspolitik…

Kaim: Genau. Steigt die Inflation über das Zwei-Prozent-Ziel, dann muss sie die Zinsen, so wie in den vergangenen beiden Jahren, entsprechend erhöhen. Aktuell ist die Inflation auf dem Rückzug und dürfte sich weiter abschwächen, aber die Wirtschaft im Euroraum ist schwach. Deshalb hat die EZB damit begonnen, die Zinsen zu senken.

Wie hilft das der Konjunktur?

Kaim: Mit niedrigeren Zinsen verbilligen sich zum Beispiel Kredite und Finanzierungen, und zwar sowohl für Unternehmen als auch für Verbraucher. Die Idee ist es also, durch niedrigere Zinsen die Investitionstätigkeit der Unternehmen und den Konsum anzukurbeln.

Mitte Oktober hat die EZB den Leitzins zum dritten Mal gesenkt. Wie geht es nun weiter?

Kaim: Der neutrale Zinssatz für risikolose Anlagen dürfte etwa bei zwei bis 2,5 Prozent liegen. Aktuell haben wir einen Leitzins von 3,25 Prozent. Da wir in Deutschland in der Rezession sind und auch in anderen Ländern die Wirtschaft schwach läuft, ist dieser Zins zu hoch. Die EZB müsste die Zinsen schnell in Richtung des neutralen Niveaus ansenken. Ich erwarte deshalb weitere rasche Zinssenkungen.

Was ist von der US-Notenbank Fed zu erwarten?

Kaim: Interessanterweise ist die Situation dort eine ganz andere. Die Wirtschaft läuft gut und die Inflation erweist sich als hartnäckiger als in Europa. Deshalb wird die Fed das aktuelle Zinsniveau eher beibehalten. Der Spielraum für weitere Zinssenkungen ist derzeit begrenzt.

Wie erklärt sich dieser Unterschied in der Wirtschaftsentwicklung zwischen Europa und den USA?

Kaim: Ich denke, dass Europa und insbesondere Deutschland einen Standortnachteil gegenüber den USA hat. Entscheidende Faktoren sind der Fachkräftemangel und die relativ gesehen höheren Energiepreise. Hinzu kommt, dass die europäische Wirtschaft, anders als die konsumgetriebene US-Wirtschaft mit ihrem enorm großen Binnenmarkt, stärker von Exporten abhängig ist. Und hier leiden wir stark unter der Schwäche in China, aber sicherlich auch unter strukturellen Problemen. So sieht beispielsweise der Sachverständigenrat die langfristigen Wachstumsaussichten für Deutschland auf einem historischen Tiefststand.