Dividendensaison: Warum Ausschüttungen eher schaden als nutzen
A&W RedaktionVon März bis Mai ist wieder Dividendensaison in Deutschland: Die Aktiengesellschaften sollen 2024 knapp 55 Milliarden Euro ausschütten – ein neuer Rekord. Viele Aktienanleger glauben, dass dies eine besonders rentable Zeit sei.
Dabei handelt es sich bei Dividenden anders als beim Zins um ein Spiel nach dem Muster „Rechte Tasche, linke Tasche“, das den Investoren keinen zusätzlichen Ertrag bringt. Langfristig orientierten Anlegern und wachstumsstarken Unternehmen schaden sie sogar nachweislich.
Der (Irr-)Glaube an die besonders rentable Dividenden-Zeit wird von vielen Seiten genährt: zum einen von der ewigen Hoffnung der Anleger auf attraktive Investitionen, zum anderen von jenen, die an der Story von den angeblich so attraktiven Dividenden gut verdienen – etwa Fondsgesellschaften, ETF-Anbieter, Banken, Unternehmen und Finanzmagazine. Fragt sich aber, warum ausgerechnet einer der erfolgreichsten Investoren bei diesem angeblichen Sterntaler-Thema abwinkt: Warren Buffett hält aus mehreren Gründen nichts von Ausschüttungen.
Tatsache 1: Die Anleger bezahlen sich mit Dividenden selbst
Eine unwiderlegbare Tatsache wird in diesem Lobgesang kaum benannt: Dividenden sind kein Ertrag wie ein Zins, den die andere Vertragspartei an die Anleger ausschüttet und den diese zusätzlich zum investierten Kapital erhalten würden. Vielmehr bezahlen sich die Aktienanleger mit den Dividenden selbst: „Am Tag der Ausschüttung, auch Ex-Dividende genannt, sinkt der Aktienkurs eines Unternehmens um eben diesen Betrag“, sagt Michael Thaler von TOP Vermögen mit Sitz u.a. in Starnberg und München.
Daher verfügt ein Anleger nach Ausschüttung der Dividende über genauso viel Kapital wie zuvor. Ein Beispiel verdeutlicht das: Ein Anleger hält 1.000 XYZ-Aktien zu je 50 Euro. Am Tag der Ausschüttung, die 6 Prozent oder 3 Euro pro Aktie beträgt, werden ihm 3.000 Euro aufs Verrechnungskonto überwiesen. Im Gegenzug verringert sich der Wert der Aktien im Depot auf 47.000 Euro. „Die Summe von 50.000 Euro verändert sich bei sonst gleichen Bedingungen nicht“, sagt Vermögensprofi Thaler – ein Fall von „linke Tasche, rechte Tasche“. Mit dem Unterschied, dass jetzt nur noch 47.000 Euro produktiv arbeiten.
Wahrheit 2: Ausschüttungen schaden langfristig orientierten Anlegern
Dem steht nur scheinbar entgegen, dass Dividenden unterm Strich einen großen Teil des langfristigen Anlageerfolgs ausmachen. Das lässt sich anhand des DAX-Performance-Index (DAX-P) und des DAX-Kurs-Index (DAX-K) illustrieren: „Der DAX-P stand Anfang April bei rund 18.000 Punkten, der DAX-K bei 7.000 Zählern. Die Differenz erklärt sich mit den Dividenden“, sagt Stephan Albrech von der Albrech & Cie. Vermögensverwaltung in Köln. Das stimmt zu 100 Prozent. Wären aber die DAX-Dividenden nicht zur Berechnung des DAX-P reinvestiert worden, stünde auch dieser Index heute bei nur 7.000 Zählern. „Der Unterschied von gut 150 Prozent zum DAX-K entsteht, weil die Dividenden in den Performance-Index einberechnet, also reinvestiert wurden“, so Albrech.
Dieser Mechanismus greift auch bei einzelnen Anlegern. Ein hypothetisches Beispiel verdeutlicht die Folgen fürs Vermögen: Anleger A hat 50.000 Euro in eine Aktie investiert, die über 30 Jahre Jahr um 6 Prozent im Kurs zulegt und jedes Jahr den Zuwachs von 6 Prozent ausschüttet. Nach 30 Jahren hat der Anleger somit 90.000 Euro an Dividenden erhalten, zudem verfügt er über seine Anfangsinvestition von 50.000 Euro – insgesamt 140.000 Euro. Anleger B hat ebenfalls 50.000 Euro in die Aktie investiert. Die 6 Prozent werden dieses Mal aber nicht ausgeschüttet, sondern arbeiten produktiv in der Firma weiter. Ergebnis: „Nach 30 Jahren verfügt Anleger B über gut 287.000 Euro und somit über mehr als das Doppelte von Anleger A, auch wenn der Aktienkurs in diesem Fall ebenfalls nicht gestiegen ist“, so Vermögensprofi Albrech. Fazit: Wer sein Geld langfristig möglichst rentabel anlegen möchte, verzichtet auf Unternehmen oder Fonds/ETFs mit Dividenden.
Wahrheit 3: Erfolgreiche Unternehmen machen mehr aus ihrem Geld als Dividenden
Auch aus Sicht wachstumsorientierter Unternehmen sind Dividenden schädlich, denn sie mindern das Kapital, das rentabel investiert werden kann. Das ist wohl der Grund, warum Starinvestor Warren Buffett Ausschüttungen nicht mag. „Zum einen hat seine sehr erfolgreiche Holding Berkshire Hathaway seit 2008 keine Dividenden entrichtet. Zum anderen investiert er sein Kapital und das seiner Anleger höchst ungern in Unternehmen, die Dividenden ausschütten“, sagt Vermögensverwalter Michael Thaler. Der Gedanke dahinter: Unternehmen mit attraktiver Kapitalrendite verzichten auf Ausschüttungen, weil dieses Geld (deutlich) rentabler arbeiten kann, als auf Anlegerkonten herumzuliegen.
Auch hierzu ein Beispiel: Ein Unternehmen erzielt mit seinem Geschäftsmodell eine jährliche Rendite von 20 Prozent. Dann bedeutet eine Dividende von 6 Prozent, dass im folgenden Jahr nicht mehr 100, sondern nur noch 94 Prozent des Kapitals mit 20 Prozent rentieren. Nach dem Abzug der Dividenden werden bei sonst gleichen Bedingungen somit nur noch 112,8 statt 120 Einheiten (94 mal 1,2) erwirtschaftet. „Die Zahlung einer Dividende ist aus Sicht von Unternehmen rein wirtschaftlich nur dann sinnvoll, wenn sie ansonsten keine attraktiveren Renditen erzielen können“, sagt Vermögensverwalter Albrech. Solche Unternehmen aber sollten kluge Anleger besser meiden.
Anleger, die bei ihren Aktieninvestitionen auf die Zahlung von Dividenden verzichten, verfügen bei sonst gleichen Bedingungen am Ende über deutlich mehr Vermögen als Anleger, die Ausschüttungen beziehen. Unser Beispiel zeigt zwei Anleger, die jeweils in Aktien bzw. ETFs investieren, die eine jährliche Rendite von 6 Prozent erzielen. In dem einen Fall wird der entsprechende Betrag jedes Jahr ausgeschüttet (A), im anderen Fall reinvestiert (B). A hat nach 30 Jahren aus 50.000 Euro insgesamt 140.000 Euro gemacht, während B wegen des Zinseszins-Effekts auf 287.000 Euro kommt. Dass entspricht über 30 Jahren Erträgen von 90.000 Euro bzw. 237.000 Euro. Anleger B freut sich also über das 2,6-Fache dessen, was A erwirtschaftet hat. (juli)
Autor: Jürgen Lutz