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Finanzen

Liest man zum Jahreswechsel die Prognosen der Banken für die Finanzmärkte, fällt vor allem eines auf: die Beliebigkeit der Themen. Die einen blicken durch die Glaskugel auf die Konjunktur im neuen Jahr, die anderen rücken geopolitische Risiken in den Vordergrund, die dritten fokussieren sich auf Trends in einzelnen Branchen. Dabei sind es nur drei wesentliche Faktoren, die das Geschehen an den Finanzmärkten am meisten prägen.

Top-Faktor 1: Leitzinsen und Marktzinsen

„Die Jahre 2022 und 2023 haben es erneut gezeigt: Die Entwicklung der Leitzinsen wie auch der Marktzinsen für Staats- oder Unternehmensanleihen beeinflussen die Märkte am nachhaltigsten“, sagt Burkhard Wagner von der bankenunabhängigen Partners Vermögensmanagement AG mit Sitz in München. Neben den Aktienmärkten seien die Anleihen am stärksten betroffen, da sich deren Kurse spiegelbildlich zu den Veränderungen im Zinsniveau entwickeln. Auch die Märkte für Immobilien hingen wegen ihrer Abhängigkeit von Fremdkapital am Zins-Tropf. Last but not least reagieren Edelmetalle wie Gold auf Zinsveränderungen, da sie keine kontinuierlichen Erträge bringen, so der Vermögensverwalter.

2024 mit guten Chancen für viele Anlageklassen

Im Zinszyklus 2022/23 hatte die US-Notenbank Fed die Zinsen elf Mal auf 5,25 bis 5,5 Prozent erhöht. Die Europäische Zentralbank (EZB) hob die Zinsen in dieser Zeit auf 4,5 Prozent an. „An den Anleihemärkten führte das zu einem regelrechten Desaster: So hat ein viel beachteter ETF auf langlaufende US-Staatsanleihen von Anfang 2022 bis Sommer 2023 fast 50 Prozent verloren“, sagt Andre Koppers von der bankenunabhängigen Vermögensverwaltung Oberbanscheidt & Cie. mit Hauptsitz in Kleve. An den Aktienmärkten führten die Zinserhöhungen vor allem bei kleinen und mittelgroßen Aktien, die in stärkerem Maß auf Fremdkapital angewiesen sind als Big Caps, zu deutlichen Abschlägen. Die breiten Indizes büßten indes lediglich rund 20 Prozent ein. Nachdem nun die Inflation im Griff zu sein scheint, rechnen die Finanzmärkte für 2024 mit einigen Zinssenkungen. Das biete Chancen für viele Anlageklassen.

Top-Faktor 2: Gewinne und Umsätze der Unternehmen

Der großen Bedeutung der Zinsen zum Trotz entscheiden unterm Strich die Gewinne und Umsätze der Unternehmen über deren Aktienkurse. „Sprudeln die Gewinne stärker als erwartet, rechtfertigt dies höhere Kurse, da dadurch jede Aktie ein Stück weit wertvoller wird“, erklärt Burkhard Wagner. Sehr gern sähen es Anleger, wenn in einer Branche bzw. einem Unternehmen die Umsätze und die Gewinne steigen, da beides zusammen für ein gesundes Wachstum spricht. Ideal sei es, wenn die Umsätze spürbar zulegen, die Gewinne aber noch stärker steigen. „Dann wird das Unternehmen in einem guten Umfeld hoch profitabel geführt“, so Wagner.

Sinken aber die Gewinnaussichten wie durch die Zinserhöhungen 2022/23, könnten Unternehmen zeitweise durchaus 50 Prozent und mehr an Wert verlieren, wenn der Markt sie als verwundbar ansieht. Dies kann auch geschehen, wenn zunächst nur die Umsätze sinken. „Geht der Markt von einem dauerhaften Rückgang der Umsätze und der Gewinne aus, können manche Aktien über Jahre in der Versenkung verschwinden“, sagt Vermögensprofi Koppers.

Aktienmärkte sind 2024 nicht zu hoch bewertet

Das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) für den weltweit tonangebenden Index S&P 500 liegt bei einem nicht übertriebenen Faktor von 18. Dies beinhaltet die KGV der „Magnificient Seven“ wie Apple, Nvidia oder Meta Platforms, die 2023 gut gelaufen sind. Das KGV des gleichgewichteten S&P 500, in dem alle Aktien denselben Anteil haben, liegt mit 14 weit darunter, wie die Bank Goldman Sachs ermittelt hat. „Bei einem Wert von 14 ist selbst der seit Jahren starke US-Aktienmarkt nicht zu teuer. Dies gilt auch für Europa“, so Vermögensprofi Wagner. Nimmt der Optimismus der Anleger zu bzw. klettern die Gewinne, seien höhere Kurse wahrscheinlich.

Top-Faktor 3: Die Kauf-Lust der großen Anleger

Die niedrigsten Zinsen und die größten Gewinne nutzen aber nichts, wenn niemand Aktien kaufen würde. Doch das ist im Grunde niemals der Fall, da die Abermilliarden der Anleger irgendwo investiert werden müssen. Es ist dabei nicht das sprichwörtliche Lieschen Müller, das die Kurse bewegt. „Der wesentliche Motor für die Aktienmärkte sind institutionelle Investoren wie aktiv verwaltete Fonds oder Pensionskassen. Ob und mit welcher Überzeugung sie Aktien kaufen oder verkaufen, kann man an den Umsätzen dieser Titel erkennen“, erklärt Andre Koppers.

Nach den Mag 7 ziehen nun viele Aktien nach oben

Wurde der Aufschwung von Januar bis August 2023 von einer kleinen Auswahl – vorrangig von den „Magnificient Seven“ – getragen, zeigen sich seit November viele Aktien bzw. Branchen stark. Diese zunehmende Marktbreite sowie die starken Zugewinne seit November sind mittel- wie auch längerfristig ein positives Zeichen. Schließlich zeigt die Börsengeschichte: Zu einem dauerhaften Anstieg des Aktienmarktes kommt es nur, wenn (sehr) viele Aktien den Aufschwung tragen.

Warum Zinsänderungen für kleine Aktien besonders wichtig sind

Minus 60, 70 oder gar 80 Prozent: So hoch fielen die Kursverluste von Aktien wie Paypal, Adesso oder Shopify im Bärenmarkt von 2021/22 aus, um nur drei zu nennen. Verantwortlich dafür waren in erster Linie die drastischen Zinserhöhungen der Notenbanken von jeweils null auf 4,5 Prozent in der Euro-Zone und auf 5,25 Prozent in den USA. Sie trafen die sogenannten Small und Micro Caps viel stärker als den breiten Markt. Der Grund liegt darin, dass diese Aktien prozentual meist in viel höherem Maß auf Fremdkapital angewiesen sind als große Player. Letztere sitzen meist auf einem dicken Cash-Polster, mit dem sie sogar von höheren Zinsen profitieren können.

Ein hypothetisches Beispiel macht die Konsequenzen für kleinere Aktien deutlich: Ein Unternehmen zahlt für seine Kredite bei einem Zinssatz von einem Prozent jährlich 2,5 Millionen, der Gewinn liegt bei 25 Millionen. Steigt der Zins auf fünf Prozent, werden 12,5 Millionen Euro an Zinsen fällig. Das drückt den Gewinn auf 15 Millionen Euro oder auf 60 Prozent des vorherigen Gewinns. Blieben alle anderen Faktoren gleich, würde dies einen Rückgang des Aktienkurses um 40 Prozent rechtfertigen. Sinkt indes der Zins von fünf auf drei Prozent, muss das Unternehmen statt 12,5 nur noch 7,5 Millionen an Zinsen zahlen.

Autor Jürgen Lutz