Wirtschaftsnachrichten für Ärzte | ARZT & WIRTSCHAFT
Finanzen

Nur wenige Anleger glauben an höhere Aktienkurse in den nächsten Monaten sowie im gesamten Jahr 2024, wie verlässliche Auswertungen zum sogenannten Sentiment zeigen. Tatsächlich ist die Nachrichtenlage derzeit nicht die beste. Da sind zum einen die zahlreichen politischen Krisen und militärischen Konflikte, die zunehmend an die Europäische Union heranrücken. Zum anderen gestalten sich die wirtschaftlichen Aussichten in Deutschland recht verhalten. Warum also, fragen sich viele Anleger, sollten die Aktienkurse steigen?

Ängstliche Anleger ziehen falsche Schlüsse

Doch diese Meinung teilen nicht alle. Aus Sicht von Daniel Kolb von Heidelberger Vermögen ziehen Anleger, die so denken, die falschen Schlüsse. Der unabhängige Vermögensverwalter verweist darauf, dass politische Krisen den Markt zwar kurzfristig bremsen könnten, langfristig aber nur selten Auswirkungen darauf hätten. Zudem zeige der Blick in die Geschichte: „Die Aktienmärkte können auch bei oder trotz Krisen deutlich steigen. Das war in der Kuba-Krise 1962 so, als ein atomarer Schlagabtausch zwischen der Sowjetunion und den USA drohte. Oder beim zweiten Ölpreis-Schock 1979, als die Ayatollahs im Iran die Macht übernahmen.“

Drei Krisen mit steigenden Aktienkursen

In der Tat bildete die Kuba-Krise den Tiefpunkt einer mehrmonatigen Korrektur. Von da an stieg der amerikanische Markt in den nächsten vier Jahren um bis zu 70 Prozent an. Die zweite Ölkrise und der sich anschließende Erste Golfkrieg wurden von der Börse quasi gar nicht wahrgenommen: Der marktbreite S&P 500-Index, für den hierzu leicht zugängliche Daten vorliegen, verdreifachte sich bis zum Jahr 1987, ohne dass der Kurs vom November 1979 unterschritten worden wäre. Auch dem von den USA vorangetriebenen Zweiten Golfkrieg (Beginn im März 2003) folgten keine niedrigeren Kurse, sondern etwa eine Verdreifachung des Deutschen Aktienindex bis Ende 2007.

Langfristig entscheiden Gewinne, Zinsen und Trends

Belegt dies, dass es sich bei Börsianern um gefühllose Psychopathen handelt, die vom Leid anderer profitieren? „Wer diese moralisierende Meinung teilt, hat von der Funktionsweise der Börse nichts verstanden“, sagt Thilo Stadler von I.C.M. Independent Capital Management in Mannheim. Denn der langfristige Trend der Aktienmärkte hängt nicht von Krisen ab, sondern in erster Linie von der Entwicklung der Unternehmensgewinne sowie von deren Umsätzen. „Dabei geht es nicht nur um die absolute Höhe der Gewinne, sondern vor allem um das Ausmaß ihrer Veränderung – zum Besseren oder Schlechteren“, erklärt der unabhängige Vermögensverwalter.

US-Firmen überraschen mit positiven Zahlen

In dieser Hinsicht überraschen derzeit die Unternehmen in den tonangebenden USA positiv. So haben nach Informationen des Research-Hauses Factset 80 Prozent der US-Firmen im dritten Quartal 2023 höhere Erträge gemeldet als erwartet. Beim Umsatz waren es immerhin 60 Prozent. „Diese Kombination freut professionelle Anleger besonders, zeigt sie doch, dass die höheren Erträge nicht in erster Linie auf Einsparungen, sondern auf besseren Geschäften beruhen“, resümiert Stadler. Dadurch dass Unternehmen in den Vereinigten Staaten jedes Quartal ihre Zahlen melden und Dividenden ausschütten, zeichnen sich Veränderungen schnell ab.

Zenit bei den Zinsen scheint überschritten

Rückenwind dürften die Börsen bald von der Zinsfront bekommen. Die Inflation ist zwar noch erhöht, sinkt aber tendenziell. Von Seiten der Notenbanken stehen daher kaum Zinserhöhungen ins Haus. Im Gegenteil: „Bei den Zinsen scheint der Zenit überschritten, nachdem sie von August bis Oktober – die saisonal schwache Phase bei Aktien – noch einmal gestiegen sind“, ordnet Daniel Kolb die Lage ein. Auch hier ist die Veränderung wichtiger als die absolute Höhe der Zinsen: Sinkt bei sonst gleichen Bedingungen die Zinslast etwa von 5 auf 3,5 Prozent im Jahr, ist dies eine Verbesserung um 30 Prozent. Dieser Differenzbetrag kommt potenziell den Aktionären zugute.

Saisonal starke Phase hat gerade begonnen

Nicht zuletzt hat mit dem November die saisonal starke Phase am Aktienmarkt begonnen, die in der Regel bis zum Mai andauert. „Diese Statistik bietet zwar keine Garantie für die weitere Kursentwicklung, sie ist aber ein Indiz für die allgemeine Tendenz“, erläutert Vermögensverwalter Kolb. In der Tat haben die breiten Indizes in den ersten zwei Novemberwochen bereits ordentlich zugelegt. Zudem befinden sich die USA bei den Präsidentenwahlen in einem Vorwahljahr. Laut Statistik gehören diese Vorwahljahre bzw. die Zeit vor der Wahl – in diesem Fall bis November 2024 –zu den ertragreichsten Phasen am Aktienmarkt. „Addiert man all diese Faktoren, ist die Chance, dass die Kurse steigen, deutlich höher als das Risiko weiterer Verluste“, bilanziert Kolb.

Krisen und Kriege: So liefen die Aktienmärkte in den nächsten 5 Jahren
plus 76 % plus 67 % minus 14 % plus 55 % plus 56 %
Kiegseintritt der

USA, 2. Weltkrieg

Jan. 1942

Kuba-Krise

USA/UDSSR

Okt. 1962

Erste

Ölkrise

Okt. 1973

1. Golfkrieg

Iran. Revolution

Nov. 1979

2. Golfkrieg

USA/Irak

März 2003

Quellen: finance.yahoo.com / eigene Auswertungen, Recherche: Jürgen Lutz

Der Blick in die Börsengeschichte zeigt: Politische Krisen und Kriege konnten den Aktienmarkt nicht aufhalten – im Gegenteil. Fünf Jahre nach Beginn einer Krise bzw. eines Krieges hatten die Aktienmärkte in den hier genannten fünf Fällen im Durchschnitt 48 Prozent zugelegt, wobei wegen der besseren Zugänglichkeit der Daten der amerikanische Aktienindex S&P 500 zugrunde gelegt wurde. Etwaige Dividenden sind in dem Index nicht enthalten, sodass die tatsächlichen Zugewinne für Anleger höher lagen als die angegebenen Werte. Das einzige Mal, dass nach einem halben Jahrzehnt ein Verlust (von 14 Prozent) zu beklagen war, fiel mit der Zeit von 1968 bis 1974 in einen sogenannten Bärenmarkt, bei dem die Kurse per definitionem tendenziell fallen. In Zeiten längerfristig steigender Kurse wie derzeit wirken sich politische Krisen und Kriege offenbar weniger stark auf die Börse aus.

Autor: Jürgen Lutz