Bundestag verabschiedet neue Digitalgesetze - und erntet wieder Kritik
Marzena SickingDer Deutsche Bundestag hat zwei neue Digitalgesetze verabschiedet. Damit möchte man neue digitale Lösungen schaffen, um den Versorgungsalltag und die Forschungsmöglichkeiten in Deutschland zu verbessern. Die Kritik am Umgang mit den dazugehörigen Gesundheitsdaten reißt allerdings nicht ab.
Das „Gesetz zur Beschleunigung der Digitalisierung des Gesundheitswesens“ (Digital-Gesetz – DigiG)
Kernelement des Digital-Gesetzes ist die Bereitstellung der elektronischen Patientenakte (ePA) für alle gesetzlich Versicherten ab 2025. Dazu gehört auch die Einführung eines digital unterstützten Medikationsprozesses. Zudem wird das E-Rezept als verbindlicher Standard in der Arzneimittelversorgung eingerichtet.
Weiterer Schwerpunkt des Gesetzes ist die erleichterte Nutzbarkeit von Gesundheitsdaten für „gemeinwohlorientierte Zwecke“, z.B. durch Forschungseinrichtungen. Hierzu soll eine Gesundheitsdateninfrastruktur mit dezentraler Datenhaltung und einer zentralen Datenzugangs- und Koordinierungsstelle aufgebaut werden.
Die wichtigsten Inhalte des DigiG
- Die elektronische Patientenakte (ePA) wird ab 2025 für alle gesetzlich Versicherten eingerichtet – wer das nicht möchte, muss widersprechen (Opt-Out). Für privat Versicherte besteht ebenfalls die Möglichkeit, eine entsprechende ePA anzubieten. Arztbriefe, Befundberichte oder auch Entlassbriefe sind damit für Patienten und behandelnde Ärzte vollständig und leichter verfügbar.
- Um ungewollte Wechselwirkungen zu vermeiden, erhalten Patienten mit der ePA automatisch auch eine digitale Medikationsübersicht.
- Um Menschen, die kein Smartphone nutzen, den Zugang zur ePA zu erleichtern, wird es in ausgewählten Apotheken die Möglichkeit geben, entsprechenden Inhalte auszulesen. Wer seine ePA nicht über die ePA-App verwalten kann, bekommt zudem Hilfe bei den Ombudsstellen der Krankenkassen.
- Das E-Rezept wird als verbindlicher Standard etabliert
- Digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA) werden auf digitale Medizinprodukte der Risikoklasse IIb ausgeweitet
- Die Mengenbegrenzungen bei Telemedizin werden aufgehoben und auf Hochschulambulanzen, psychiatrische Institutsambulanzen und psychotherapeutische Sprechstunden ausgeweitet. Außerdem soll assistierte Telemedizin Patienten den Zugang erleichtern.
- Ein Digitalbeirat soll die gematik künftig mit Empfehlungen zu Fragen des Datenschutzes, der Datensicherheit, der Datennutzung und der Anwenderfreundlichkeit beraten.
Das neue Gesundheitsdatennutzungsgesetz – GDNG
Inhaltlich ist das der wichtigste Punkt: Eine zentrale Datenzugangs- und Koordinierungsstelle soll Forschenden den Zugang zu Gesundheitsdaten erleichtern und bürokratische Hürden abbauen. Wer sie nutzen will, muss sich an eine neu geschaffene Zugangsstelle wenden, die als zentrale Anlaufstelle für Datennutzende fungieren soll.
Weitere Inhalte des Gesetzes:
- Es dürfen ausschließlich Daten übermittelt werden, die zuvor automatisiert pseudonymisiert wurden.
- Die federführende Datenschutzaufsicht für länderübergreifende Forschungsvorhaben wird auf alle Gesundheitsdaten ausgeweitet.
- Das Forschungsdatenzentrum Gesundheit (FDZ) beim BfArM wird weiterentwickelt.
- Ob der Antrag auf Nutzung der Daten bewilligt wird, entscheidet sich künftig an der Frage, ob „im Gemeinwohl liegenden Nutzungszwecke“ vorhanden sind.
- Neue Möglichkeiten bei der Datenauswertung: Das FDZ kann pseudonymisierte Daten mit den Krebsregisterdaten sowie Daten weiterer gesetzlich geregelter medizinischer Register verknüpfen
- Für die Datenfreigabe aus der ePA gilt künftig ein Opt-Out-Verfahren. Wer sie nicht will, muss also proaktiv widersprechen.
- Es wird eine einfache Verwaltung der Widersprüche eingerichtet, damit Patientinnen und Patienten über die Freigabe ihrer Daten für die Forschung oder weitere Zwecke an das FDZ entscheiden können. Versicherte können ihren Widerspruch auch bei den Ombudsstellen der Krankenkassen erklären.
- Kranken- und Pflegekassen dürfen auf Basis von ihnen bereits vorliegenden Daten personalisierte Hinweise an ihre Versicherten geben, wenn dies dem individuellen Schutz ihrer Gesundheit.
- Leistungserbringer und deren Netzwerke werden befähigt, ihnen vorliegende Versorgungsdaten für Forschung, Qualitätssicherung und Patientensicherheit zu nutzen.
Psychotherapeuten befürchten Vertrauensbruch
Die Kritik an den Neuerungen reißt allerdings nicht ab. Dabei gibt es nicht nur datenschutzrechtliche Bedenken in Bezug auf die Weitergabe der anonymisierten Daten. Auch mit der elektronischen Patientenakte sind nicht alle Behandler glücklich. So der Vorsitzende des Verbandes des Deutschen Psychotherapeuten Netzwerkes (DPNW) Dieter Adler: „Wenn wir gegen diese Pflicht, unsere Gesundheitsdaten digital allen möglichen Kreisen zur Verfügung zu stellen, nichts unternehmen, können wir uns von der Vertraulichkeit in der Psychotherapie verabschieden.“ Man habe dann keine Kontrolle mehr darüber, wer die höchst vertraulichen Daten mitlesen könne: „Alle anderen Behandler, also auch der Augenarzt, der Zahnarzt, sogar der Apotheker, können diese extrem sensiblen Informationen einsehen. Wir kämpfen weiter für unseren Standpunkt: Inhalte aus einer Psychotherapie gehören nicht in eine elektronische Patientenakte!“
Weitere Beschlüsse in der EU zur Nutzung persönlicher Daten
Verschärft wird die Situation durch weitere EU-Beschlüsse, wie die Schaffung eines „Europäischen Raums für Gesundheitsdaten“. Dieser Raum soll Informationen über sämtliche ärztliche Behandlungen eines Bürgers in einer europaweit vernetzten und fernabrufbaren elektronischen Patientenakte (ePA) zusammenführen. Ob es für diese Nutzung eine Möglichkeit zum Widerspruch nach deutschem Modell geben soll, ist fraglich. Geplant ist in Brüssel, die elektronische Patientenakte zur Pflicht zu machen – ein Widerspruchsrecht ist ausdrücklich nicht vorgesehen.
Der Verband des Deutschen Psychotherapeuten Netzwerkes (DPNW) hat deshalb angekündigt, Rechtsoptionen zu prüfen und gegebenenfalls eine Verfassungsbeschwerde (BVG) oder eine Klage am Europäischen Gerichtshof anzustrengen.