Die Angst der Ärzte vor dem Fiskus
Ina ReinschViele Ärztinnen und Ärzte haben in der Corona-Krise unbürokratisch Hilfen vom Staat erhalten. Dabei erweisen sich manche Einschätzungen im Nachhinein als zu pessimistisch. Nun droht der Vorwurf des Subventionsbetrugs. Was Ärzte jetzt tun können und wie das Finanzamt reagieren wird.
Als die COVID-19-Fallzahlen im März 2020 auch in Deutschland in die Höhe schnellten, traf die Pandemie niedergelassene Ärztinnen und Ärzte mit voller Wucht. Viele plagten von einem Tag auf den anderen Existenzängste: Aus Sorge vor Ansteckung blieben die Patienten weg, wer gerade gekauft oder investiert hatte, war in Not. Der Bund hat unbürokratisch Hilfen bereitgestellt. Für die Corona-Soforthilfe beispielsweise 50 Milliarden Euro. Wer Unterstützung brauchte, musste lediglich ein Onlineformular ausfüllen – nicht selten war drei Tage später das Geld auf dem Konto.
Liquidität der Praxis in Gefahr
Eine Ärztin berichtet anonym, dass sie zunächst die Liquidität ihrer Praxis bedroht sah. Schließlich musste sie weiterhin Miete und Gehälter bezahlen. Sie beantragte die Soforthilfe und erhielt postwendend 9.000 Euro. Einige Wochen später stellte sie fest, dass es nicht so schlecht lief, wie sie zunächst befürchtet hatte. Doch nun war guter Rat teuer: Sollte sie das Geld zurücküberweisen?
So wie dieser Ärztin geht es vielen niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen in Deutschland. Sie fürchten inzwischen, dass die unbürokratisch bewilligten Hilfen im Nachhinein genauer überprüft und mit dem Steuerbescheid 2020 zurückgefordert werden könnten und der Fiskus dabei nicht halb so locker agiert, wie die Länder bei der Bewilligung. „Im Raum steht der Vorwurf des Subventionsbetrugs nach § 264 Strafgesetzbuch“, erklärt Dr. Peter Lüdemann, Steuerberater und Rechtsanwalt in der Kanzlei Lüdemann Wildfeuer und Partner in München. „Darauf steht eine Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren oder eine Geldstrafe.“ Auch berufsrechtliche Sanktionen seien möglich, sagt der Experte.
Soforthilfe, Schutzschirm und Kurzarbeit
Dabei waren zahlreiche Ärzte zunächst froh, rasch Hilfe zu erhalten. So stellte der Bund die Corona-Soforthilfe für Kleinstunternehmer, Soloselbstständige und Angehörige der freien Berufe bereit. Dieses Programm ist am 31. Mai ausgelaufen. Das Anschlussprogramm „Überbrückungshilfe“ wurde am 8. Juli gestartet. Daneben hat die Bundesregierung einen Schutzschirm für niedergelassene Ärztinnen und Ärzte verabschiedet (siehe auch ARZT &WIRTSCHAFT Heft 04/2020 S. 16-17). Über die Details verhandeln die Kassenärztlichen Vereinigungen mit den Krankenkassen.
Entschädigung beim Tätigkeitsverbot
Bei behördlich angeordneten Tätigkeitsverboten oder Quarantäne für Praxismitarbeiter gibt es eine Entschädigung nach § 56 Infektionsschutzgesetz.
Zudem haben zahlreiche Arztpraxen Kurzarbeit angezeigt. Sie ist grundsätzlich auch neben Leistungen aus dem vertragsärztlichen Schutzschirm möglich, da etwa Umsatzverluste aus privatärztlicher oder arbeitsmedizinischer Tätigkeit, die auch Vertragsärzte erbringen, nicht unter den Schutzschirm fallen. Außerdem besteht die Möglichkeit, einen KfW-Unternehmerkredit zu beantragen.
Doch staatliche Unterstützung gibt es nicht einfach so. Während etwa die Voraussetzungen für die Corona-Soforthilfe in der Hochphase der Pandemie kaum nachgeprüft wurden, damit die Hilfen schnell bei den Betroffenen ankamen, ist davon auszugehen, dass das Finanzamt mit der Steuererklärung 2020 genauer hinsehen wird. Falschangaben bei Antragstellung oder eine zweckwidrige Verwendung der Hilfen erfüllen grundsätzlich den objektiven Straftatbestand des Subventionsbetrugs. „Die Corona-Soforthilfe ist zum Beispiel nur für akute Liquiditätsengpässe des Unternehmens oder der Praxis gedacht, also für den Fall, dass die Einnahmen nicht ausreichen, die Kosten für die nächsten drei Monate zu decken“, betont Lüdemann. „Der Antragsteller muss gerade durch die Corona-Pandemie in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten sein, nicht bereits vorher und auch nicht erst ab Juni 2020. Außerdem reicht es nicht aus, dass der Antragsteller lediglich Umsatzeinbrüche erlitten hat. Die wirtschaftlichen Schwierigkeiten müssen existenzbedrohend gewesen sein.“
Blick in die Glaskugel: Wie schlimm wird die Krise werden?
Nun erforderte genau das von den Ärztinnen und Ärzten im Zeitpunkt der Antragstellung eine Prognose: Wie schlimm wird es wohl werden? Lüdemann sagt: „Man wird bei einer Überprüfung versuchen, nachzuvollziehen, ob die Prognose gerechtfertigt war. Dabei wird auch eine Rolle spielen, ob der Arzt die wirtschaftlichen Schwierigkeiten mit einem Kredit hätte überbrücken können oder Kurzarbeit beantragen konnte.“ Erst wenn das erfolglos bleibt, sei der Antrag auf Soforthilfe berechtigt, betont der Experte. Ob das allen Ärztinnen und Ärzten so klar war, darf bezweifelt werden.
Daneben ist nicht nur die Täuschung über die Antragsvoraussetzungen, sondern auch die zweckwidrige Verwendung einer an sich rechtmäßig erlangten Soforthilfe strafbar. „Von der Soforthilfe durften nur Betriebskosten bestritten werden, also Miete für die Praxis oder Gehaltszahlungen“, weiß Lüdemann. Ausgaben, die in den persönlichen Bereich fallen, wie die private Miete, zählen nicht dazu. Und strafbar ist beim Subventionsbetrug nicht nur die vorsätzliche Begehung, sondern auch leichtfertiges Handeln. Lüdemann: „Das ist in etwa vergleichbar mit grober Fahrlässigkeit. Wenn jedem normalen Menschen hätte klar sein müssen, dass die Beantragung oder Verwendung der Subvention fragwürdig ist, kann man wohl von leichtfertigem Handeln ausgehen.“ Hier droht immer noch eine Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren oder eine Geldstrafe.
Einschätzung des Experten: Allenfalls leichtfertig gehandelt
„Man muss beim Vorwurf des Subventionsbetrugs mit der Corona-Soforthilfe die gesamten Umstände berücksichtigen“, betont der Steuerrechtler. „COVID-19 ist eine neuartige Erkrankung, die es zuvor noch nie gegeben hat und die sich schwer einschätzen ließ und lässt. Hinzu kommt: Ärzte sind keine Betriebswirte, die Corona-Soforthilfe gab es auf extrem unbürokratische Weise, lediglich mit dem Ausfüllen eines vorgefertigten Formulars. Wer hier aus Angst etwas zu schnell mit der Beantragung war, dürfte sich meines Erachtens allenfalls im Bereich der Leichtfertigkeit bewegen.“
An eine flächendeckende Überprüfung jeder Subvention mag Lüdemann wegen mangelnder Kapazitäten der Finanzverwaltung nicht ganz glauben. Wohl aber daran, dass der Staat ein scharfes Auge auf die wirklichen Betrugsfälle mit der Corona-Soforthilfe haben wird. Ausgeschlossen sind größere Überprüfungen aber nicht. Zudem können sich die Finanzämter Zeit lassen. „Der Subventionsbetrug verjährt innerhalb von fünf Jahren, die leichtfertige Begehung innerhalb von drei Jahren“, so Lüdemann. Wer also nicht sofort überprüft wird, darf sich nicht auf der sicheren Seite wähnen, da kann auch noch Jahre später etwas kommen, zum Beispiel bei einer Betriebsprüfung.
Was können betroffene Ärzte jetzt tun?
„Wer merkt, dass er das Geld nicht gebraucht hat, weil er doch nicht in eine existenzbedrohende Situation geraten ist, sollte das Geld ohne Zinsen umgehend zurückzahlen“, appelliert Steuerberater Dr. Peter Lüdemann. Das sei auch eine moralische Verpflichtung. Die Gutgläubigkeit sollte dem Arzt dann auch abgenommen werden. Staatsanwaltschaftliche Ermittlungen hält er in diesem Fall für unwahrscheinlich. Wer die Hilfe dagegen verwendet hat, sollte Einkünfte und Ausgaben gut dokumentieren.