Haftet der Praxisinhaber für Fehler der Arbeitnehmer?
Ina ReinschMitarbeitende in Arztpraxen tragen große Verantwortung, sie arbeiten am Patienten und bedienen teure Geräte. Fehler können tragisch sein und immens teuer werden. Doch muss der Praxisinhaber dafür haften?
Die Reinigungskraft einer Gemeinschaftspraxis für Nuklearmedizin hatte es nur gut gemeint. Sie war an einem Sonntag außerhalb ihrer Arbeitszeit zufällig an der Praxis vorbeigekommen, als sie einen Alarmton hörte. In der Praxis stellte sie fest, dass das MRT Alarm schlug. Um es auszuschalten, drückte sie statt des hierfür vorgesehenen blauen Knopfes den roten Schaltknopf „magnet stop“ und löste dadurch eine Notabschaltung aus. Das Magnetfeld brach zusammen. Es dauerte eine Woche, bis ein Techniker das MRT wieder zum Laufen brachte. Der Schaden betrug rund 50.000 Euro. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) stufte das Verhalten zwar als grob fahrlässig ein. Da die Höhe des Schadens aber mehr als das Hundertfache eines Monatslohns der Reinigungskraft betrug, die als Minijobberin nur 320 Euro verdiente, beschränkten die Richter ihre Haftung auf zwölf Monatsgehälter (28.10.2010, Az. 8 AZR 418/09).
Fälle wie dieser treiben Praxisinhaberinnen und -inhabern die Tränen in die Augen. Der Radiologe blieb auf über 45.000 Euro Schaden sitzen. Dass Mitarbeitende einen Schaden verursachen, kommt jedoch gar nicht so selten vor. Die Ursachen können in zu großem Arbeitseifer, aber auch in einem schlichten Moment der Unaufmerksamkeit, in Übermüdung oder Arbeitsüberlastung liegen. Dabei stellt sich immer die Frage: Wer haftet eigentlich, wenn Beschäftigte in der Arztpraxis einen Fehler machen?
Der Arzt haftet mit, wenn er die MFA nicht richtig eingewiesen hat
Juristen beantworten die Frage gerne mit einem vagen: Es kommt darauf an. Und zwar darauf, wie schwer der Fehler wiegt und wer der Geschädigte ist. Je nachdem, ob der Mitarbeitende dem Chef selbst, einem Kollegen oder einem Patienten einen Schaden zufügt, gelten nämlich unterschiedliche Regelungen.
Hat der Arzt selbst den Schaden, etwa weil die MFA in der Praxis ein teures medizinisches Gerät beschädigt, ist der Arbeitnehmer dann zum Schadensersatz verpflichtet, wenn er gegen eine rechtliche Pflicht verstoßen hat und sein Handeln vorsätzlich oder fahrlässig war. Das kann schnell passieren. Zum Beispiel durch das Herunterladen von Schadsoftware am Praxiscomputer. Anders als im sonstigen Schadensrecht muss hier aber der Chef beweisen, dass die Mitarbeiterin oder der Mitarbeiter vorsätzlich oder fahrlässig gehandelt hat. Trifft den Praxisinhaber ein Mitverschulden, muss er einen Teil des entstandenen Schadens mittragen. Das kann beispielsweise dann der Fall sein, wenn er die MFA an einem Gerät nicht richtig eingewiesen hat oder er es wie im Falle der Schadsoftware versäumte, eine entsprechende Firewall zu installieren.
Der MRT-Fall zeigt allerdings, dass manche Schäden gerade in Arztpraxen immens hoch sein können. Darf man den Mitarbeiter damit belasten? Die Arbeitsgerichte haben die Problematik erkannt und die Haftung des Arbeitnehmers beschränkt, wenn er seinem Arbeitgeber durch eine betrieblich veranlasste Tätigkeit einen Schaden zufügt. Denn nicht immer haben Mitarbeiter Einfluss auf die Arbeitsabläufe oder können sich aussuchen, welche Geräte sie gerade bedienen möchten. Die Gerichte entscheiden daher jeden Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände (siehe Kasten).
Warum eine Versicherung so wichtig ist |
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Welchen individuellen Haftungsanteil der Arbeitnehmer bei mittlerer Fahrlässigkeit an dem entstandenen Schaden übernehmen muss, bestimmen die Gerichte in jedem Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände. Die Quote richtet sich unter anderem danach, ob der Arbeitgeber den Schaden versichern konnte, nach der Höhe des Verdienstes des Mitarbeitenden, seinem Vorverhalten und seinen sozialen Verhältnissen. Es ist daher keinesfalls gesagt, dass der Arbeitnehmer den Schaden immer zur Hälfte begleicht. Oft ist es auch weniger. Ob der Schaden versicherbar ist, spielt bei der Bestimmung des Haftungsumfangs eine große Rolle. Besteht eine Versicherung, wie zum Beispiel eine Betriebshaftpflichtversicherung, muss der Arbeitgeber diese zuerst in Anspruch nehmen. Hat der Arbeitgeber keine zumutbare und übliche Versicherung abgeschlossen, muss er sich so behandeln lassen, als bestünde sie. |
Was bedeutet diese Beschränkung der Arbeitnehmerhaftung konkret?
- „Handelt der Arbeitnehmer vorsätzlich, haftet er voll, das heißt, er muss seinem Chef den gesamten Schaden ersetzen“, erklärt der Münchner Fachanwalt für Arbeitsrecht Manfred Schmid. Das ist allerdings selten der Fall, die meisten Schäden werden durch Unachtsamkeit verursacht.
- Bei leichter Fahrlässigkeit haftet der Arbeitnehmer daher gar nicht. Das sind Fälle, in denen es aufgrund einer kurzen Unaufmerksamkeit zu einem Schaden kommt.
- „Liegt mittlere Fahrlässigkeit vor, wird der Schaden unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer aufgeteilt“, weiß der Anwalt. „Bei der Berechnung der Haftungsquote spielt hier unter anderem eine Rolle, ob es sich um eine gefährliche Tätigkeit handelt, wie hoch der Schaden ist und wie viel der Mitarbeiter verdient.“
- Handelt der Mitarbeiter dagegen grob fahrlässig, haftet er in der Regel voll. „Es gibt aber Ausnahmefälle, in denen die Ersatzpflicht gemindert wird und es auch hier zu einer Quotelung des Schadens kommt“, weiß Schmid. Das sind Fälle wie im Beispiel der Reinigungskraft, in denen der Verdienst des Mitarbeiters und der entstandene Schaden in einem groben Missverhältnis zueinander stehen und es zu einer Existenzgefährdung des Mitarbeiters kommen würde.
Wer haftet, wenn Kollegen geschädigt werden?
Manchmal sind jedoch auch Kollegen die Geschädigten. Hier gilt: Für Personenschäden springt die gesetzliche Unfallversicherung ein – vorausgesetzt natürlich, der Mitarbeiter hat den Schaden nicht vorsätzlich verursacht. Sachschäden wie etwa eine kaputtgegangene Brille oder ruinierte Kleidung muss hingegen der Arbeitgeber ersetzen. Ansonsten gelten auch hier die Grundsätze über die Beschränkung der Arbeitnehmerhaftung. Der Mitarbeiter muss sich nicht finanziell ruinieren.
Was gilt, wenn Mitarbeitende Patienten schädigen?
Und wenn Patienten den Schaden haben? Sie ein falsches Medikament erhalten oder sich durch eine erkrankte Mitarbeiterin infizieren? Der Arbeitnehmer haftet hierfür persönlich und unbeschränkt. Auf Haftungserleichterungen kann er sich gegenüber dem Dritten nicht berufen. Er kann sich im Innenverhältnis zu seinem Arbeitgeber aber von dem Schaden freistellen lassen, soweit er nicht vorsätzlich gehandelt hat.
Auch hier gelten die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze über die Beschränkung der Arbeitnehmerhaftung: Bei leichter Fahrlässigkeit muss also der Arzt den Schaden komplett übernehmen, bei mittlerer Fahrlässigkeit wird der Schaden aufgeteilt. Selbst bei grober Fahrlässigkeit muss der Mitarbeitende bei hohen Summen den Schaden meist nicht komplett selbst tragen.