Wie wird der Praxiswert richtig ermittelt?
A&W RedaktionFür die Praxiswertermittlung gibt es keine rechtlich verbindliche Methode. Bundesgerichtshof und Bundessozialgericht haben aber für Klarheit gesorgt: Beide Instanzen halten das modifizierte Ertragswertverfahren für angemessen und sogar vorzugswürdig.
Was das genau bedeutet, erklärt Jürgen Bausenwein, Sachverständiger für die Bewertung von Arzt-, Zahnarztpraxen und Apotheken (BDSF).
Noch immer sorgt die Frage, wie man denn nun den Praxiswert ermittelt, für Verunsicherung bei betroffenen Praxisinhabern und potenziellen Käufern. Zwar gibt es dazu keine rechtlich verbindlichen Vorschriften zur Bewertung ärztlicher Unternehmen, aber doch einige Wegweiser, welche Methode bevorzugt werden sollte. Sicher ist: Der Umsatz allein reicht nicht aus, um den Praxiswert zu ermitteln. Auch andere Faktoren spielen eine Rolle. Vor allem der sogenannte „Goodwill“ ist schwer zu fassen. Um Streit zu vermeiden, ist es deshalb besser, sich auf bewährte Methoden erfahrener Gutachter zu verlassen.
BGH bevorzugt modifizierte Ertragswertmethode
So hat der Bundesgerichtshof (BGH) in seiner Entscheidung (vom 9.2.2011, Az.: XII ZR 40/09) das reine Ertragswertverfahren für die Bewertung einer Zahnarztpraxis als unzulänglich erklärt und auf die individuelle Berechnung des Unternehmerlohns verwiesen. Das Bundessozialgericht (BSG) hat darauf aufbauend in einem Urteil (vom 14.12.2011, Az.: B 6 KA 39/10) die modifizierte Ertragswertmethode für die Ermittlung von Praxiswerten als geeignet anerkannt. Tatsächlich wird dieses bei der Ermittlung der Praxiswerte in Gutachten besonders oft angewendet.
Das modifizierte Ertragswertverfahren bei der Praxisbewertung
Das modifizierte Ertragswertverfahren orientiert sich an dem IDWS 1 2008-Standard des Instituts der Deutschen Wirtschaftsprüfer. Es gilt zurzeit als das marktübliche Verfahren für die Bewertung von Arzt- und Zahnarztpraxen. Von herkömmlichen Ertragswertverfahren (auch IDWS 1) unterscheidet es sich durch eine arztpraxisgerechte Begrenzung des Kapitalisierungszeitraums und eine angemessene Berücksichtigung des Substanzwertes (materiellen Wertes). Der Kapitalisierungszeitraum soll die Nachhaltigkeit der zu bewertenden Arztpraxis symbolisieren und normieren.
Die 2 häufigsten Arten der Praxiswertermittlung
Dabei kann man die Arztpraxis unter zwei Aspekten beleuchten, die in der allgemeinen Bewertungslehre anerkannt sind:
Der eine Aspekt ist die „Praxis-Rekonstruktion“, also die Frage, wie lange es dauern würde, die bewertete Praxis in allen Einzelteilen zu reproduzieren. Das ist ein nicht zu unterschätzender Faktor bei der Praxisbewertung.
Der zweite Aspekt ist die „Goodwill-Verflüchtigung“, also der Zeitraum, innerhalb dessen ein Übernehmer die Beziehungen zu den Patienten der Praxis auf sich selbst überträgt und einen eigenen Goodwill (lesen Sie dazu auch den Beitrag „Wenn der immaterielle Wert richtig teuer wird”) aufbaut.
Viele Experten bevorzugen den Aspekt der Praxis-Rekonstruktion, das heißt, wie lange es dauern würde, eine adäquate Praxis aufzubauen. Eine übliche Aufbauphase erstreckt sich bei Haus- und Zahnarztpraxen über einen Zeitraum zwischen zwei und vier Jahren, bei Facharztpraxen zwischen drei und fünf Jahren und bei rein gerätemedizinischen Praxen mit stark überwiegender Überweiserstruktur rechnet man mit vier bis sechs Jahren. Dieser Aufwand lässt sich materiell bemessen und ist eine große Hilfestellung für die Praxiswertermittlung.
Was ist für die Ermittlung des Praxiswerts wichtig?
Im modifizierten Ertragswertverfahren wird darauf abgezielt, die für einen (theoretischen, durchschnittlichen) Erwerber einer Praxis damit zu erzielenden Mehrerträge in der Zukunft zu ermitteln und auf die Gegenwart abzuzinsen, d. h. zu diskontieren. Hierfür
werden die in der Vergangenheit generierten Erfolge und Gewinne der Praxis kritisch beleuchtet,
um individuelle, nicht auf einen Nachfolger übertragbare Erlöse und Kosten bereinigt,
in eine plausible Prognoserechnung überführt,
korrigiert um Zinsen, Fahrzeugkosten, kalkulatorische Abschreibungen und einen angemessenen Unternehmerlohn,
anschließend wird die Goodwill-Reichweite (der Kapitalisierungszeitraum) eingegrenzt,
der Kalkulationszins für die Diskontierung bestimmt,
mit diesen Variablen der ideelle Wert ermittelt,
der Substanzwert des Inventars berechnet
und mit dem ideellen Wert zum Gesamtwert der Arztpraxis zusammengeführt sowie ggf. um Forderungen und Verbindlichkeiten des Unternehmens ergänzt.
Der ermittelte materielle Wert, der mit dem Verkehrswert bei der Praxisabgabe gleichzusetzen ist, wird abschließend durch Heranziehung von Markt- und Erfahrungswerten auf Plausibilität überprüft.
Mittels des modifizierten Ertragswertverfahrens kann somit eine nachvollziehbare und in die Zukunft gerichtete Bewertung von Arzt-/Zahnarztpraxen durchgeführt werden. So kann ein realistischer Preis erzielt werden, dem eine fundierte Analyse zugrunde liegt.
Nur dem Gutachter glaubt man die Neutralität
Ganz ohne professionelle Hilfe geht es meistens trotzdem nicht: Da Verkäufer und Käufer sich vorwiegend beim Goodwill und der Bewertung des Inventars selten einig sind, muss für die Berechnung der Praxisbewertung auch bei ausreichendem Hintergrundwissen des Praxisinhabers meist ein entsprechender Gutachter oder Sachverständiger eingeschaltet werden.
(Autor: Jürgen Bausewein)