Chefs in Arztpraxen: Der Unterschied zwischen Männern und Frauen
Marzena SickingFrauen führen Arztpraxen oft besser als Männer und sind auch wirtschaftlich erfolgreicher, davon ist André Bernert, Geschäftsführer der Medical Management Partner, überzeugt. Warum das so ist, hat er in einem Gastbeitrag erklärt. Im folgenden Interview beantwortet der Arzt- und Zahnarztpraxis-Experte die Fragen, die uns dazu erreicht haben.
Nicht nur im Medizinstudium, auch unter Niedergelassenen nimmt die Zahl der Frauen zu. Das Bild der Medizinerin, die am liebsten nur angestellt und in Teilzeit arbeiten möchte, stimmt also nicht?
Bernert: Nach unserer Beobachtung ist der Wunsch, sich niederzulassen, ungebrochen und geschlechtsunabhängig. Es setzen sich allerdings andere Werte durch.
Welche Praxisform ist bei Frauen besonders beliebt?
Bernert: Die Einzelpraxis ist immer noch die häufigste Form. Die BAG hat sich anscheinend in der Form der 2er BAG mit gemischten Geschlechtern der Chefs am seltensten gebildet.
Es gibt viele Klischees, wenn es um Männer und Frauen in Führungspositionen geht. Beispielsweise, dass sie innerbetriebliche Beziehungen über den wirtschaftlichen Erfolg stellen, Konflikten aus dem Weg gehen etc. Männern sagt man gerne geringere Empathie und mangelnde Kommunikation nach. Hat sich irgendeines dieser Vorurteile in Ihrer Beratungstätigkeit bestätigt?
Bernert: Na ja, eigentlich nicht verwunderlich, dass ein Beruf, der weibliche Verstärkung auf den Führungsebenen erfährt, sich auch im Wertesystem verändert. Nun ist die große Frage, ob andere Priorisierungen ebenso erfolgreich sind und wie der Erfolg definiert wird. Wir sehen in den letzten Jahren, dass die innerbetrieblichen Beziehungen und die Emotionsebene zu wesentlichen Erfolgsfaktoren geworden sind.
Jede Praxis und ihre Führung hat individuelle Schwächen. Aber gibt es vielleicht auch Problemfelder, die bei einem Geschlecht tatsächlich häufiger vorkommen als beim anderen?
Bernert: Es ist hauptsächlich der Umgang mit den eigenen Schwächen, die Frauen in der Praxisführung von den männlichen Kollegen unterscheidet. Früher haben wir als Berater meist den wahren Grund bzw. das Motiv, warum wir in der Praxis etwas verbessern sollen, erst relativ spät erkannt oder offen dargelegt bekommen. Heute ist die Nachfrage differenzierter und nicht allein symptombezogen. Das ist der Unterschied zwischen einem einzelnen Kommunikationstraining mit Rollenspiel und der modernen nachhaltigen Change Management Beratung mit unternehmerischen und strategischen Praxiszielen. Denn welche(r) PraxisinhaberIn kennt schon die Ursachen bestimmter „Schwächen“ in der eigenen Praxis so genau, dass die Therapie klar ist? Ursache verändern, statt Symptom bekämpfen – lautet die Devise.
Auch wenn die meisten Klischees jeglicher Grundlage entbehren, sind die Führungsstile von Ärzten und Ärztinnen offenbar doch sehr unterschiedlich. Wie funktioniert das Ihrer Erfahrung nach in „gemischten“ Praxisgemeinschaften? Ist da mehr gegenseitige Bereicherung oder mehr Konfliktpotenzial?
Bernert: Unterschiedlich und so individuell wie jeder von uns. Da lässt sich für mich keine besondere Herangehensweise für gemischte BAGn feststellen. Vielmehr ist es doch entscheidend als Chef oder Chefin zu erkennen, wo liegen die jeweiligen (ggf. auch geschlechterspezifischen) Stärken dieser Zusammenkunft. In der Zukunft wird die vorherige Prüfung und das ressourcengerechte Verteilen der Chefaufgaben für so ein „eheähnliches“ Verhältnis wie die BAG von entscheidender Bedeutung sein, um eine Praxis erfolgreich und bestenfalls ohne stressige Scheidung zu führen.
Was können und sollten niedergelassene Ärzte und Ärztinnen denn idealerweise voneinander lernen?
Bernert: Ich denke, der Paradigmenwechsel findet gerade statt. Die Zeiten der führerlosen Praxis und der rein hierarchischen Struktur sind definitiv ein Auslaufmodell, was sich in den Praxiszahlen und der Arbeitsplatzattraktivität jetzt schon sehr deutlich abzeichnet. Ein einfacher Dreiklang: Harmonie/Stressfreiheit, Qualitäts- und Effizienzsteigerung der Mitarbeiterinnen, mehr wirtschaftlicher Erfolg pro Chefstunde.
Der Großteil der MFA ist weiblich und fühlt sich in Praxen, die auch von Frauen geführt werden, wohler, so Ihre These. Woran liegt das Ihrer Erfahrung nach?
Bernert: Die Ressource MFA wird zusehends knapper. Daher ist es logisch, dass sich die Praxen profilieren, wenn nicht sogar bewerben müssen, um gute Mitarbeiterinnen zu finden. Diese suchen dann Praxen mit guter Struktur und Kommunikationskultur. In anderen Branchen schon längst ein Muss. Immer wenn eine solch starke Marktveränderung stattfindet, dann bleiben die auf der Strecke, die das nicht erkennen (wollen). Die Botschaft ist klar: Steife Hierarchie ist heutzutage keine Struktur mehr und auch keine Unternehmenskultur.
Die Zahl der männlichen MFA nimmt ebenfalls zu, allerdings auf einem sehr niedrigen Niveau. Warum ist der Job für Männer so unattraktiv?
Bernert: Der Job der MFA wird unglaublich unterschätzt. Er hat sich sicherlich auch so entwickelt, weil es eine Frauendomäne ist. Denn eigentlich sind die Praxen in den letzten Jahren von den überwiegenden Männern eher aus dem Bauch heraus geführt und nicht auf Grundlage eines echten Praxiskonzeptes zielgerichtet gelenkt worden.
Daher ist dieser laute Hilferuf der MFA nach besserer Struktur und der Wertschätzung der Chefs immer stärker geworden. Ich denke, dass es noch Jahre dauern wird, bis sich diese Veränderungen in der Praxisführung auch in den männlichen MFA widerspiegeln wird. Schlussendlich wird es (auch in anderen Branchen) interessant, wie sich Männer unter weiblicher Führung und in weiblichen Teams fühlen werden.
In den nächsten Jahren stehen zahlreiche Praxen zum Verkauf, der Großteil davon ist in Männerhand. Haben Sie einen Tipp, wie niedergelassene Ärzte ihre Praxis für eine Nachfolgerin attraktiv machen können?
Bernert: Ich habe mal eine Beraterin kennengelernt, die Autohäuser und andere männerdominierte Dienstleister beraten hat, um auch Frauen anzusprechen und als Kunden zu gewinnen. Eben weil der wichtigste Erfolgsfaktor der Zukunft in Praxen ebendiese Praxiskultur und damit die Mitarbeiter und deren Motivation sein wird, muss erstens viel früher die Praxisübergabe geplant werden, und zweitens eine Stabilität in das Team gebracht werden, die eine(n) PraxisnachfolgerIn schon mit guten „Leitplanken“ ausstattet. Das Überangebot an Praxen sorgt ganz klar für die Trennung von Spreu und Weizen.
Eine nicht patientenorientierte Praxis, die
- unmodern geführt und ausgestattet ist,
- eine hohe Fluktuation hat und immer noch von Erstkraft spricht (also hierarchisch denkt),
- die Praxisführung als überflüssigen Störfaktor der medizinischen Tätigkeit sieht,
- kein strukturiertes Terminvergabesystem hat (Patienten werden dazwischengeschoben),
- kein Online-Marketing macht, weil ja eh zu viele Patienten da sind (fataler Trugschluss),
- Mitarbeitern und Patienten nicht auf Augenhöhe begegnet und auch noch schlecht delegieren kann, …
… hat es jetzt schon schwierig gute Mitarbeiter und Praxisnachfolger, und nicht zuletzt auch wertschätzende Wunsch-Patienten zu finden.
Ich kann den „Männern“ nur raten:
1. die Praxis jetzt schon attraktiver zu führen, damit bestenfalls Bewerbungen eintrudeln, bevor es am Ende knapp wird.
2. nicht aus Eitelkeit die Investition in gute Beratung zu scheuen, denn schließlich kann man sich selbst nicht kitzeln und das ist keine Schande.