Bundesrat beschließt Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz: wichtige Änderungen für Ärzte
Wiebke PfohlDas Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz (GVSG) ist beschlossene Sache – und sorgt für Debatten. Während Hausärzte sich über die Entbudgetierung freuen, warnen Krankenkassen vor steigenden Kosten. Die neuen Regelungen sollen Patienten den Zugang zur Versorgung erleichtern und Hausarztpraxen stärken. Doch Experten kritisieren, dass zentrale Reformen fehlen. Was sich konkret für Ärzte und Patienten ändert, lesen Sie hier.
Der Bundesrat hat am 14. Februar 2025 das Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz (GVSG) verabschiedet. “Dieses Gesetz wird die ambulante Versorgung grundlegend verbessern", verspricht Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach in einer Pressemitteilung des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG): “Einen Termin beim Hausarzt zu bekommen, wird endlich wieder deutlich einfacher – insbesondere für gesetzlich Versicherte. Und Hausärzte können ihre Lotsenfunktion besser und mit weniger Bürokratie wahrnehmen. Das senkt die Kosten, überflüssige Facharzttermine fallen weg.” Der Bundestag hatte das Gesetz in der Form bereits in der Nacht zum 31. Januar 2025 beschlossen und an den Bundesrat weitergereicht. Das GVSG ist am 28. Februar 2025 im Bundesgesetzblatt erschienen und am 1. März in Kraft getreten.
Wichtigste Änderungen für Ärztinnen und Ärzte
Als wichtigste Punkte nennt das BMG die folgenden Änderungen:
Entbudgetierung der Hausärztinnen und Hausärzte
Abrechnung: Versorgungspauschale bei Patientinnen und Patienten mit leichten chronischen Erkrankungen
Vorhaltepauschale für Praxen, die maßgeblich die hausärztliche Versorgung aufrechterhalten
Medizinische Hilfsmittel: Bewilligungsverfahren vereinfacht
Keine Altersbeschränkung mehr für Notfallkontrazeptiva
Fristverlängerung für Verbandmittel
Im Folgenden lesen Sie, was das für Sie bedeutet und wie sich Verbände, Krankenkassen und andere Organisationen dazu geäußert haben.
Entbudgetierung für Hausärzte
Mit dem GVSG wird die Budgetierung für Hausärztinnen und Hausärzte abgeschafft. Das heißt, dass alle Leistungen der hausärztlichen Versorgung – auch Hausbesuche - künftig vollständig und ohne Kürzungen vergütet werden, so das BMG. Wenn Ärztinnen und Ärzte neue Patienten aufnehmen oder mehr Leistungen als bisher erbringen, können also nun die Honorare ohne Begrenzung steigen. Ärzteverbände loben die Entbudgetierung, die Krankenkassen zeigen sich dagegen skeptisch.
Verbände loben die Entbudgetierung für Hausärzte
Der Hausärztinnen- und Hausärzteverband lobte das Gesetz bereits kurz vor Beschließung im Bundestag in einer Pressemitteilung. Die Bundesvorsitzenden sagten im Bezug auf die Entbudgetierung: “Insbesondere in budgetierten Regionen, wie etwa Hamburg, Berlin, Schleswig-Holstein, Sachsen-Anhalt oder Baden-Württemberg, werden viele Hausarztpraxen erleichtert aufatmen. Ohne die Entbudgetierung hätten in den kommenden Jahren immer mehr Praxen schließen müssen. Dass dies nun verhindert wird, ist ein großer Gewinn für die Versorgung der Menschen.”
Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) begrüßte bereits die Beschließung des Gesetzes im Bundestag Ende Januar. Die Umsetzung werde jedoch nicht einfach, da das Gesetz weiterhin Schwächen aufweise. „Doch wir werden dafür kämpfen, den Weg der Entbudgetierung erfolgreich zu beschreiten”, sagten die Vorstände der KBV in einer Pressemitteilung.
Auch der Spitzenverband Fachärztinnen und Fachärzte Deutschlands e.V. (SpiFa) lobte die Entbudgetierung. Der 2. stellvertretende Vorsitzende des SpiFa, Dr. Helmut Weinhart, ging in einer Pressemitteilung vom 31. Januar 2025 noch einen Schritt weiter: „Die hausärztliche Entbudgetierung ist ein erster wichtiger Schritt in die richtige Richtung und deutlicher Wegweiser für die Befreiung der Fachärztinnen und Fachärzte von der Budgetierung in der nächsten Legislaturperiode.”
Auch die Bundesärztekammer stimmt dem zu. “Es ist eine gute Nachricht, dass es den ehemaligen Koalitionspartnern auf den letzten Metern nun doch noch gelungen ist, sich auf eine Entbudgetierung der hausärztlichen Leistungen zu einigen. Für die Sicherung einer stabilen, hochwertigen und auf die Bedürfnisse der Patientinnen und Patienten ausgerichteten ambulanten Versorgung ist es grundlegend, dass ärztlich erbrachte Leistungen auch vollständig vergütet werden”, sagte Bundesärztekammer-Präsident Dr. Klaus Reinhardt in einer Pressemitteilung vom 20. Januar 2025 und merkte an: “Das gilt im Übrigen nicht nur für die hausärztliche Versorgung, sondern im gleichen Maße auch für die Leistungen der Fachärztinnen und Fachärzte in Deutschland. Vordringliche Aufgabe der neuen Bundesregierung muss mindestens der Einstieg in die schrittweise Entbudgetierung fachärztlicher Leistungen sein.”
Krankenkassen kritisieren Endbudgetierung für Hausärzte
Der GKV Spitzenverband dagegen kritisierte die Entbudgetierung. „Dieses Gesetz ist so aufgebaut, dass die Hausärzte garantiert 400 Millionen Euro Honorar zusätzlich bekommen, selbst wenn es keinen einzigen zusätzlichen Arzttermin gibt“, sagte die stellvertretende Vorstandsvorsitzende des GKV Spitzenverbandes, Stefanie Stoff-Ahnis im Gespräch mit dem RND. Weiter kritisierte sie: “Für 75 Millionen gesetzlich Versicherte sind die Krankenkassenbeiträge auf ein Rekordniveau gestiegen, und die Politik reagiert darauf mit einer zusätzlichen Honorarerhöhung für Hausärzte.” Die Versorgung in sozial benachteiligten Stadteilen und ländlichen Regionen lasse sich nur mit gezielten Maßnahmen verbessern, sagte Stoff-Ahnis.
Bereits 2023 hatte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach Hausärztinnen und Hausärzten die Entbudgetierung zugesichert. Der Bundesrechnungshof hatte sich damals skeptisch gezeigt. “Der Bundesminister für Gesundheit hat zugesagt, die Budgetierung hausärztlicher Leistungen aufzuheben. Der Bundesrechnungshof sieht keine konkreten Anhaltspunkte dafür, dass damit insgesamt die Wirtschaftlichkeit und Qualität der Versorgung von Versicherten maßgeblich verbessert würden”, schrieb die Bundesbehörde in einem Bericht vom November 2023.
Weiter führte die Behörde aus: “Der medizinisch notwendige Behandlungsbedarf der Versicherten als ausgabensteuerndes Kriterium würde im hausärztlichen Bereich vollständig abgeschafft. Zuvor sollten deshalb bestehende Möglichkeiten zur Verbesserung der Versorgungsqualität genutzt werden. Zudem wäre eine Entbudgetierung auf Regionen mit erheblichen Versorgungsproblemen zu beschränken und der Erfolg der Maßnahme fortwährend zu überprüfen. Anderenfalls wäre es gerade auch mit Blick auf die angespannte finanzielle Lage der GKV nicht zu rechtfertigen, bewährte ausgabensteuernde Instrumente abzuschaffen.”
Streit um Entbudgetierung für Kinder- und Jugendärzte
Bereits seit April 2023 gibt es eine Entbudgetierung für Kinder- und Jugendärzte. In einem Positionspapier zur der Zeit nach der Bundestagswahl 2025 forderte die AOK kürzlich, diese Entbudgetierung zurückzunehmen. Sowohl der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzt*innen (BVKJ) als auch die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) zeigten sich empört.
Der Präsident des BVKJ, Dr. Michael Hubmann, sagte in einer Pressemitteilung vom 9. Januar 2025: “Eine solche Forderung zeigt deutlich, dass die Krankenkassen offenbar immer noch nicht begriffen haben, was es für Kinder- und Jugendarztpraxen all die Jahre bedeutet hat, als der hohe tatsächliche Arbeitsaufwand nur teilweise finanziell vergütet wurde. Die ambulante Versorgung von Kindern und Jugendlichen wurde so aufs Spiel gesetzt. Frau Reimann [Anm. d. Red.: Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbandes] lade ich herzlich ein, einen Arbeitstag in meiner Praxis zu verbringen. Vielleicht verschafft ihr dieser Einblick ein besseres Verständnis für die Realität der Versorgung von Kindern und Jugendlichen, darunter auch ihre Versicherten. Eine Ausweitung unbezahlter Mehrarbeit für Ärzt*innen und Praxisteams ist schlechterdings nicht zumutbar.”
Die Vorstände der KBV sagten in einer Pressemitteilung vom 10. Januar 2025: “Es ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit, dass voll erbrachte Leistungen auch voll bezahlt werden. Nicht aber für die Krankenkassen, die ihren Versicherten gerne ein unendliches Leistungsversprechen vermitteln, dafür aber nicht adäquat zahlen und die Budgets am liebsten unendlich fortschreiben wollen. Einmal mehr zeigt sich: Die Krankenkassen wollen den ungerechten Weg der Budgetierung fortsetzen und zeigen damit ihr wahres Gesicht.”
Versorgungspauschale: leichtere Abrechnung bei Patienten mit chronischen Erkrankungen
Mit dem neuen Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz (GVSG) sind Arztpraxen außerdem nicht mehr gezwungen, Patientinnen und Patienten mit chronischen Erkrankungen aber ohne hohen Betreuungsbedarf jedes Quartal zwecks Abrechnung in die Praxis zu bestellen. Für die jeweilige Erkrankung kann die betreffende Praxis eine Versorgungspauschale abrechnen, die bis zu vier Quartale umfassen kann.
Vorhaltepauschale: besondere Unterstützung für „Versorgerpraxen“
Praxen, die maßgeblich zur hausärztlichen Versorgung beitragen, werden im Rahmen des GVSG zusätzlich honoriert. Eine sogenannte Vorhaltepauschale soll Hausärztinnen und Hausärzten eine bessere Vergütung ermöglichen. Je mehr Voraussetzungen sie dafür erfüllen, also wenn sie etwa bedarfsgerechte Praxisöffnungszeiten oder ein bedarfsgerechtes Angebot von Haus- und Heimbesuchen anbieten, desto besser sollen sie vergütet werden.
Besserer Zugang zu medizinischen Hilfsmitteln
Außerdem soll der Zugang zu medizinisch notwendigen Hilfsmitteln für Personen mit schweren Krankheiten oder Behinderungen verbessert werden. Bewilligungsverfahren für Hilfsmittelversorgungen sollen beschleunigt und vereinfacht werden. “Das gilt für Personen, die in Sozialpädiatrischen Zentren (SPZ) und in Medizinischen Zentren für Erwachsene mit Behinderung (MZEB) behandelt werden”, schreibt das BMG in der aktuellen Pressemitteilung.
Der Bundesbehindertenbeauftragter der Bundesregierung, Jürgen Dusel, kommentierte am 31. Januar 2025, nachdem das Gesetz den Bundestag passiert hatte, auf Facebook: “Hilfsmittel sind für viele Menschen ein unverzichtbarer Schlüssel zur Selbstständigkeit im Alltag und Teilhabe in allen Lebensbereichen. Mit den beschlossenen neuen Regelungen wird es künftig für viele Kinder, Jugendliche und Erwachsene mit komplexen und mehrfachen Behinderungen einfacher sein, die benötigten Hilfsmittel zu erhalten.”
Dusel betonte zudem: “Künftig wird nach dem GVSG gelten: Wenn ein SPZ (Sozialpädiatrisches Zentrum) oder MZEB (Medizinisches Behandlungszentrum für Erwachsene mit Behinderungen) ein Hilfsmittel empfiehlt, dann soll die Krankenkasse den Antrag grundsätzlich ohne Prüfung genehmigen, also von der medizinischen Notwendigkeit ausgehen. Wichtig: Die Empfehlung des SPZ oder MZEB soll nicht älter als 3 Wochen sein!”
Der Deutsche Verband Ergotherapie (DVE) mahnte allerdings auch in einer Pressemitteilung vom 10. Februar 2025: “Zwar stellt diese Regelung eine kleine Verbesserung für Menschen mit komplexen Behinderungen dar, doch sie kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass es nach wie vor viel zu wenige MZEB gibt.”
Keine Altersbeschränkung für Notfallkontrazeptiva
Des Weiteren soll es mit dem GVSG keine Altersbeschränkung mehr für die Leistung von Notfallkontrazeptiva in Fällen geben, in denen es Hinweise auf sexuellen Missbrauch oder Vergewaltigung gibt. Im Sozialgesetzbuch war bisher vorgesehen, dass Versicherte nur bis zum vollendeten 22. Lebensjahr Anspruch auf diese Leistung haben (§ 24a SGB V).
Der Berufsverband der Frauenärzte kommentierte in einer Pressemitteilung vom 3. Februar 2025: “Der Gesetzgeber schließt damit eine Lücke, denn aufgrund des höheren Lebensalters, hatten Opfer von Vergewaltigung, die nicht unter § 24a SGB V abgedeckt waren, keinerlei Anspruch auf Erstattung der Kosten der „Pille danach“ – weder durch die Krankenkassen noch über das Opferentschädigungsgesetz (OEG). Letzteres umfasst in der Regel nur Leistungen, die denen der Krankenkassen entsprechen.”
Übergangsregelung für Verbandmittel verlängert
Darüber hinaus verlängert das Gesetz die Erstattungsfähigkeit sonstiger Produkte zur Wundbehandlung bis Anfang Dezember 2025. Diese Regelung soll den zuständigen Akteuren – insbesondere dem Gemeinsamen Bundesausschuss sowie den Herstellern – mehr Zeit geben, die Beratungsverfahren durchzuführen.
Was fehlt noch im Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz?
Einige wichtige Aspekte, die ursprünglich geplant wurden, finden sich in dem finalen Gesetz nicht mehr. So wurden etwa die von Karl Lauterbach angekündigten Gesundheitskioske gestrichen. Verschiedene Verbände und Organisationen zeigen weitere Lücken im Gesetz auf. Eine Auswahl finden Sie hier:
Während etwa der Hausärztinnen- und Hausärzteverband besonders die Endbudgetierung und die Versorgungspauschale für Personen mit chronischen Krankheiten lobte, kritisierte der Verband das Fehlen anderer Aspekte. Professor Dr. Nicola Buhlinger-Göpfarth, Bundesvorsitzende des Verbandes sagte: “Die nächste Bundesregierung muss jetzt da weitermachen, wo die Ampel-Parteien aufgehört haben. Ganz oben auf der to-do Liste steht die Stärkung der Hausarztzentrierten Versorgung (HZV), denn dieser Punkt fehlt in den Beschlüssen leider komplett. Die HZV ist der Schlüssel, um die hausärztliche Versorgung in den nächsten Jahren und Jahrzehnten sicherzustellen. Außerdem braucht es eine Stärkung der Praxisteams. Unverständlich ist auch, weswegen die Erhöhung der Bagatellgrenzen nicht Teil des Pakets sind. Hier ist eine Chance vertan worden.”
Die Bundesgeschäftsführerin des Deutschen Berufsverbands für Pflegeberufe (DBfK), Bernadette Klapper, kritisierte am 17. Februar 2025 fehlende Reformen zur Stärkung der Primärversorgung: “Das Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz (GVSG) hätte die Chance geboten, wichtigen Reformen für eine zukunftsfähige Gesundheitsversorgung den Weg zu bahnen. Die Stärkung der Primärversorgung ist eine zwingende Maßnahme angesichts der beschlossenen Veränderungen in der Krankenhauslandschaft. Der Wegfall der Primärversorgungszentren im Gesetz wirft uns daher deutlich zurück. Denn es sind solche Versorgungsmodelle, die dringend gebraucht werden, um Versorgung aufzufangen und den Herausforderungen einer alternden Bevölkerung gerecht zu werden.”
Dem Berufsverband der Kinder- und Jugendärzt*innen fehlen im Gesetz sowohl Weiterbildungsförderung der Pädiatrie als auch eine Bagatellgrenze bei Wirtschaftlichkeitsprüfungen. Dr. Michael Hubmann, Präsident des BVKJ, sagte in einer Pressemitteilung vom 31. Januar 2025: „Die Finanzierung der ambulanten Weiterbildung muss oberste Priorität für die neue Bundesregierung haben. Andernfalls werden die Versorgungslücken irgendwann so gravierend sein, dass sie nicht mehr geschlossen werden können. Auch die vorgesehene Bagatellgrenze bei den Wirtschaftlichkeitsprüfungen hätte unseren Praxen eine spürbare Entlastung von der bürokratischen Last verschafft und gleichzeitig Kosten eingespart. Es ist mir absolut unverständlich, dass beide Maßnahmen im GVSG unberücksichtigt bleiben.“
Die NGO Transparency International dagegen kritisierte schon am 28. Januar 2025, dass ursprünglich vorgesehene Maßnahmen fehlten. Diese haben die Bekämpfung von Abrechnungsbetrug verbessern sollen und seien auf Initiative der FDP gestrichen worden, so die NGO. Die Organisation schreibt: „Dies ist angesichts der massiv steigenden Beiträge für die Krankenkassen unverantwortlich. Es drängt sich der Eindruck auf, dass hier noch schnell ein Wahlgeschenk für Ärzt:innen durchgesetzt werden soll – zulasten der Versicherten. Transparency fordert eine wirksame Bekämpfung von Abrechnungsbetrug und erwartet von Bundestag und Bundesregierung, dafür die notwendigen Voraussetzungen zu schaffen.“