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Urologie

Die am häufigsten eingesetzte Behandlungsmethode bei Prostatakrebs ist die radikale Prostatektomie. Sie ist allerdings oft mit unerwünschten Nebenwirkungen verbunden. Viele Männer leiden nach der OP an ungewolltem Harnabgang, entweder vorübergehend oder dauerhaft. Auch die Erektionsfähigkeit ist nach der Prostatektomie nicht selten beeinträchtigt. Beide Probleme wirken sich auf die Lebensqualität der betroffenen Männer aus.

Studie untersucht psychisches Befinden vor Diagnosestellung Prostatakrebs

Deshalb haben sich schon frühere Studien der Ursachenforschung für diese Nebenwirkungen gewidmet. Dabei fanden sie unterschiedliche Faktoren für deren Prävalenz, wie zum Beispiel das Krebsstadium, die Operationstechnik, das Alter, den BMI oder Komorbiditäten. Einige retrospektiven Studien beschrieben auch einen Zusammenhang zwischen Depressionen oder Ängsten im Vorfeld der Prostatektomie und postoperativer Harninkontinenz sowie erektilen Dysfunktionen. Ein norwegisches Forscherteam hat genau diese Zusammenhänge in einer prospektiven Studie untersucht. Ihre Ergebnisse hat das medizinische Fachmagazin BJUI Compass veröffentlicht.

Insgesamt 416 Männer, bei denen der Verdacht auf Prostatakrebs bestand, nahmen an dieser Studie in drei norwegischen Krankenhäusern teil. Sie füllten vor der ersten Prostatabiopsie PROM-Fragebögen (Patient-Reported Outcome Measures) aus. Mithilfe der „Hopkins-Symptom-Checkliste-5“ (HSCL-5), beurteilten die Forscher, ob sie an Depressionen oder Angstzuständen leiden und wie stark diese waren. Je nach Ergebnis teilten die Forscher die Patienten in die Gruppe mit geringer (196 Teilnehmer), mittlerer (160) oder hoher (60) psychischer Belastung ein. Daneben fragten die Wissenschaftler noch weitere Daten ab, wie zum Beispiel Komorbiditäten und körperliche Aktivität. Anhand des „Expanded Prostate Cancer Index Composite“ (EPIC-26) beurteilten die Wissenschaftler unter anderem die Harn-, Darm- und Sexualfunktionen. Und zwar sowohl das Ausmaß von Störungen als auch das Ausmaß der individuell empfundenen Beeinträchtigung.

Männer mit hohem Stress brauchten postoperativ länger Inkontinenzeinlagen

Die Männer, bei denen der Tumor direkt nach der Diagnosestellung durch eine Prostatektomie entfernt wurde, wurden sechs und zwölf Monate nach der Operation ein weiteres Mal befragt. An den Nachuntersuchungen beteiligten sich nach einem halben Jahr noch 365 Männer und nach einem Jahr 360 Männer.

Das waren die Ergebnisse der Studie:

  • Männer mit hoher und mittlerer psychischer Belastung vor der Biopsie, litten zu diesem Zeitpunkt häufiger an Harninkontinenz als geringer belastete Männer.

  • In allen Gruppen hatte die Harninkontinenz sechs Monate nach der OP zugenommen und besserte sich nach zwölf Monaten wieder etwas.

  • Die Harninkontinenzwerte der stark belasteten Teilnehmer waren bei den Nachuntersuchungen schlechter als diejenigen der anderen beiden Gruppen.

  • Harnreizungen wurden bei allen Teilnehmern kontinuierlich postoperativ weniger. Dabei hatten die gering belasteten Teilnehmer die wenigsten Beschwerden.

  • Mehr Männer aus der hoch belasteten Gruppe brauchten nach sechs und zwölf Monaten noch Inkontinenzeinlagen.

  • Bei der Erstuntersuchung hatten die Teilnehmer mit geringem Stress weniger Sexualprobleme als die anderen.

  • Bei den Nachuntersuchungen nahmen Sexualprobleme in allen Gruppen zu. Die Werte glichen sich einander an.

  • Die Teilnehmer mit wenig psychischer Belastung fühlten sich allerdings von den Sexualproblemen weniger beeinträchtigt als die anderen.

  • Was die Qualtität der Erektionen angeht, gab es keinen Unterschied zwischen den Gruppen. Die Erektionsfähigkeit nahm in den ersten sechs Monaten ab und verbesserte sich bis zum zwölften Monat wieder etwas.

  • Bei den Nachuntersuchungen nutzten deutlich mehr Teilnehmer sexuelle Hilfsmittel als zu Beginn. Der höchste Zuwachs zeigte sich in der Gruppe der mittelmäßig belasteten Teilnehmer.

„Männer mit einem hohen Maß an Angstzuständen und Depressionen berichten nach radikaler Prostatektomie von mehr Harnwegs- und sexuellen Nebenwirkungen“, schlussfolgern die Studienautoren. „Diese neuen Erkenntnisse sollten bei der Entscheidung über die Behandlung nach der Diagnose eines nicht-metastasierten PCa und bei der Nachsorge nach radikaler Prostatektomie berücksichtigt werden.“

Quellen:

https://bjui-journals.onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1002/bco2.334