Das Lipödem in der medizinischen Praxis: Symptome erkennen und behandeln
A&W RedaktionSchwere Arme und Beine, Spannungsgefühle, Druckschmerzen, Gewichtszunahme trotz Sport und gesunder Ernährung? Diese Anzeichen deuten darauf hin, dass Ihr Patient an einem Lipödem leidet.
Was ist ein Lipödem?
Ein Lipödem ist eine chronische und genetisch bedingte Fettverteilungsstörung. Als Folge davon bildet sich an den Armen und/oder Beinen disproportional Unterhautfettgewebe. Die vermehrten Fettzellen verursachen große Schmerzen, Spannungen und Druck. Blutkapillaren werden durchlässiger und es sammelt sich zusätzlich Flüssigkeit im Gewebe. Das schränkt die Mobilität und Lebensqualität der Betroffenen maßgeblich ein. Fast 5-10 % der weiblichen Gesamtbevölkerung leben mit einem Lipödem, wenn auch die Abgrenzung zu anderen Erkrankungen schwierig sein kann. Während von dieser Erkrankung fast nur Frauen betroffen sind, kann auch bei Männern im Einzelfall ein Lipödem auftreten.
Was sind die Ursachen eines Lipödems?
Die genetische Veranlagung ist ausschlaggebend für eine Lipödem-Erkrankung. Es wird vermutet, dass große hormonelle Veränderungen oder Wechselwirkungen (Pubertät, Schwangerschaft, Menopause etc.) ein Lipödem erstmals bei einer Person zum Vorschein bringen. Zwar wird oft gedacht, dass eine ungesunde Lebensart – wie beispielsweise Adipositas – Grund für eine Fettverteilungsstörung wäre, dem ist jedoch nicht so.
Aber woher weiß ich, ob meine Patienten wirklich an einem Lipödem leiden? Und kann ein Lipödem gleichzeitig mit anderen Krankheiten auftreten?
Wie deute ich die Symptome meiner Patienten richtig?
Für viele Patienten ist es schwierig, sich einem Arzt anzuvertrauen. Ärzte sollten sich daher für das Erstgespräch und die körperliche Untersuchung ausreichend Zeit nehmen.
Die klinische Untersuchung
Die ersten Anzeichen und die akuten Symptome von einem Lipödem können vielseitig sein. Prüfen Sie, ob eines oder mehrere der folgenden Symptome vorliegen.
- schwere, müde Arme und/oder Beine
- ein Druck- und Spannungsgefühl
- Berührungsempfindlichkeit auch bei sehr sanften Berührungen
- unerklärliche blaue Flecken
- Schmerzen in den Gliedern
- Knotenbildung unter der Haut
- Umfangsvermehrung an Armen und/oder Beinen, Hüfte und Gesäß
Insgesamt sind die möglichen Symptome sehr zahlreich. Sie können vermehrt auftreten, aber auch einzeln. Beachten Sie dabei: Ein Lipödem kann nicht an jeder Körperstelle auftreten, sondern betrifft nur Arme und Beine, wobei in den Anfangsstadien in erster Linie die Beine betroffen sind.
Bei einer körperlichen Untersuchung sollte die Verteilung des Fettgewebes an den Gliedmaßen und am Rumpf untersucht werden, da die meisten Patienten von einer Gewichtszunahme im Bein-, Hüft- oder Armbereich berichten. Geht dies mit Symptomen wie Spannungsgefühlen, Druckschmerzen und spontanen blauen Flecken einher, ist ein Lipödem wahrscheinlich. Typisch ist auch, dass die Sprung- und Handgelenke nicht von der Zunahme betroffen sind.
Besonders wenn Sport und Ernährung keinen Einfluss mehr auf das Körpergewicht haben, ist vermutlich von einem Lipödem auszugehen. Allerdings gilt es, keine voreiligen Schlüsse zu ziehen: Auch schlanke Personen können von einem Lipödem betroffen sein. Umgekehrt ist dies bei übergewichtigen Personen nicht zwingend der Fall. |
Kneiftest: Diagnose durch Tasten
Ist ein Lipödem vorhanden, so lässt sich das vermutlich schon früh im Krankheitsverlauf ertasten. Das Zusammenkneifen eines Handstückes inklusive Unterhautfettgewebe kann Aufklärung schaffen. Fühlt sich die Haut an, als wären Styroporkugeln darunter, spricht dies für ein Lipödem. Ein leichter Druck auf der Haut sollte nur kurz eine Delle verursachen, die gleich wieder verschwindet.
Oft vergessen: die Ultraschalluntersuchung
Zusätzlich zu einer klinischen Untersuchung sollte auch eine Ultraschalluntersuchung durchgeführt werden. Eine rein oberflächliche Untersuchung ist oft nicht ausreichend, um feststellen zu können, ob ein Patient tatsächlich an einem Lipödem und nicht an einer anderen Krankheit leidet. Um Differenzialdiagnosen also ausschließen zu können, muss ein Ultraschall durchgeführt werden.
Kombination aus Lipödem und Adipositas
Bei rund der Hälfte der Betroffenen tritt ein Lipödem gemeinsam mit Übergewicht (Adipositas) auf. Das ist nicht unproblematisch, da Übergewicht in den Anfangsstadien die Diagnose des Lipödems erschweren kann. Denn ein Lipödem fällt vor allem durch die disproportionale Verteilung von Fettgewebe auf. Dazu kommt, dass eine ungesunde Ernährung und Übergewicht Symptome wie Schmerzen verschlechtern. Leidet man bereits an einem Lipödem, ist es umso wichtiger, Übergewicht zu verhindern, um das Gewebe und den Körper nicht zusätzlich zu belasten.
Die Typen und Stadien eines Lipödems
Ein Lipödem kann in unterschiedlichen Schweregraden und Typen vorliegen.
Stadien eines Lipödems
Man unterscheidet folgende Stadien der Fettverteilungsstörung
- Stadium 1: leichte Ausprägung – erste Symptome sind spürbar, visuell fällt das Lipödem kaum auf
- Stadium 2: fortgeschrittene Ausprägung – ausgeprägte Symptome, Lipödem sichtbar
- Stadium 3: starke Ausprägung – die Beschwerden werden schlimmer, es bildet sich ein stark überhängendes Gewebe
Welche Lipödem-Typen gibt es?
Zusätzlich zu den verschiedenen Lipödem-Stadien gibt es mehrere Lipödem-Typen. Welchem Lipödem-Typ ein Patient zuzuordnen ist, kann sich im Krankheitsverlauf ändern. Zu Beginn der Lipödem-Erkrankung sammeln sich die zusätzlichen Fettzellen, die durch die Störung entstehen, meist an den Hüften und Beinen an.
Aber warum sind Typ und Stadium der Krankheit wichtig?
Nach der Diagnose: die Therapie
Die Behandlung von Patienten sollte nicht statisch und vor allem stadienabhängig festgelegt werden. Erklären Sie Ihren Patienten zunächst, dass eine Heilung nicht möglich ist. Verschiedene Ansätze und Behandlungsmöglichkeiten zielen darauf ab, Symptome von Betroffenen zu lindern und die Lebensqualität maßgeblich zu verbessern. Haben Sie bei einem Patienten ein Lipödem diagnostiziert, sollte die Behandlung rasch beginnen.
Es gibt mehrere Möglichkeiten, zu therapieren, daher gilt es, für den jeweiligen Patienten die passende Therapieform zu finden.
Helfen Sie Ihren Patienten, die richtige Ernährungsform zu finden
Ein Lipödem kann weder durch die Ernährung entstehen noch geheilt werden. Das Fettgewebe, das bei einem Lipödem entsteht, ist sehr hartnäckig und kann nicht durch eine Diät abgeschüttelt werden. Dennoch hat die Ernährung großen Einfluss auf die Gesundheit und subsequent den Krankheitsverlauf eines Patienten. Menschen, die von einem Lipödem betroffen sind, müssen daher auf ihre Ernährung besonders Acht geben. Wichtig ist: Übergewicht vermeiden.
Beispielsweise können Adipositas und Lipödeme gemeinsam auftreten, müssen es aber nicht. Fettverteilungsstörungen betreffen auch schlanke Menschen. Dennoch wird Übergewicht oft mit einem Lipödem in Verbindung gebracht. Auch wenn das nicht stimmt: Betroffene sollten ihre Ernährung an die Erkrankung anpassen und darauf achten, dass die gewählte Diät das Entzündungsgeschehen im Körper lindert.
Die wichtigsten Ernährungsempfehlungen für Lipödem-Patienten:
- Vermeiden Sie entzündungsfördernde Lebensmittel und entscheiden Sie sich für antioxidative Lebensmittel.
- Wenn Sie längere Pausen zwischen den einzelnen Mahlzeiten einhalten, dann hat das einen entzündungshemmenden Effekt.
- Achten Sie darauf, dass Ihr Insulin- und Blutzuckerspiegel möglichst niedrig bleibt.
- Hydrieren Sie Ihren Körper, greifen Sie zu Wasser oder Tee ohne Zucker.
Verschiedene Ernährungsumstellungen wie eine ketogene oder mediterrane Ernährung oder intermittierendes Fasten können sich positiv auf die Lebensqualität Ihrer Patienten auswirken.
Bewegung: Aber wie?
Neben einer gesunden Ernährung ist Bewegung ein wichtiger Faktor in der Behandlung. Ausdauersport – wie Schwimmen oder Radfahren – ist dabei Kraftsport vorzuziehen, da dieser weniger belastend für den Körper ist. Es ist zu vermeiden, zusätzlich viel Muskelmasse aufzubauen, da diese auf das Lipödem drücken kann. Die Sportart sollte der aktuellen Situation und dem Krankheitsstadium der Betroffenen entsprechen. Auch eine individuell angepasste Bewegungstherapie kann in Frage kommen.
KPE: Komplexe Physikalische Entstauungstherapie
Die konservative Therapie (auch: Komplexe Physikalische Entstauungstherapie KPE) ist eine beliebte Behandlungsmethode vor allem im ersten Stadium der Krankheit, da sie auf den Körper weniger belastend wirkt. Wichtig für Betroffene ist zu wissen, dass die Therapie lediglich der Beschwerdelinderung dient und nur die Symptome, nicht aber die Ursache behandelt.
Charakteristisch für diese Therapiemethode ist eine Kombination aus manuellen Lymphdrainagen und dem Tragen von Kompressionsstrümpfen. Beides trägt dazu bei, dass der Lymphfluss angeregt und Stauungen im Gewebe gelöst oder verhindert werden. Die Methode wirkt außerdem schmerzlindernd. Während die Drainagen mehrmals wöchentlich stattfinden, müssen die Strümpfe ganztägig getragen werden. Wird ein konservativer Therapieansatz gewählt, dann bietet es sich an, Ihren Patienten auch die Zusatzbehandlung einer Physiotherapie zu empfehlen. Spezielle Übungen fördern positive Ergebnisse einer Lymphdrainage.
Die Liposuktion
In vielen Fällen ist die Liposuktion ein weiterer wichtiger Therapiebaustein. Bei einer Fettabsaugung werden direkt die Fettzellen des Lipödems entfernt. Der Vorteil einer Liposuktion ist, dass das Fettgewebe dauerhaft reduziert werden kann. Damit können die Beschwerden nicht nur deutlich verringert werden, sondern in manchen Fällen auch gänzlich verschwinden. Sind Fettzellen an einer Körperstelle einmal abgesaugt, regenerieren sich diese dort auch nicht.
Eine Fettabsaugung wird dann empfohlen, wenn das Lipödem mit schweren Symptomen einhergeht. Die OP ist die einzige Maßnahme, die direkt bei der Ursache ansetzt. Eine Blaupause bei der Behandlung gibt es aber nicht, da jeder Patient und jede Erkrankung einzigartig ist. Eine Operation ist oft aus finanziellen Gründen nicht immer eine Option für den Patienten, auch wenn es der geeignete Weg wäre, um Schmerzen langfristig zu lindern.
Hautpflege
Auch die Feuchtigkeitspflege der Haut sollte beachtet werden. Durch das vermehrte Unterhautfettgewebe wird die Haut an den betroffenen Körperstellen stärker strapaziert und neigt stärker zu Entzündungen. Auch das Tragen der Kompressionsstrümpfe kann zu trockener, rissiger und empfindlicher Haut führen. Die Patienten sollten daher zu sorgfältiger und konsequenter Hautpflege angehalten werden. Es empfiehlt sich, speziell dafür entwickelte medizinische Hautpflegeprodukte zu nutzen.
Welche Arzneimittel können verschrieben werden?
Oft wird die Frage auftauchen, ob es nicht Medikamente gibt, die bei der Behandlung helfen können. Beispielsweise Diuretika: Bei Diuretika handelt es sich um entwässernde Medikamente, die den Prozess der Entwässerung im Körper fördern sollen. Nachweislich ist es jedoch so, dass diese Medikamente in der Lipödem-Therapie keinen merkbaren Nutzen bringen. Sie sollten allerdings besonders darauf achten, den Patienten keine Arzneimittel zu verschreiben, die mit Gewichtszunahme in Verbindung stehen.
Warum ist das relevant? Lipödem-Patienten haben oft einen langen Leidensweg hinter sich und Schmerzen und Einschränkung der Mobilität wirken sich negativ auf die psychische Gesundheit der Patienten aus. In einigen Fällen wird über die Gabe von Psychopharmaka nachzudenken sein. Bekannterweise können jedoch viele Antidepressiva – aber auch andere hormonbasierte Mittel – als Nebenwirkung mit einer Gewichtszunahme einhergehen. Im Falle einer Lipödem-Erkrankung wäre dies kontraproduktiv.
Festzuhalten ist, dass es zur Behandlung eines Lipödems derzeit keine Medikamente gibt, die erwiesenermaßen helfen.
Der aktuelle Forschungsstand
Die wirkliche Ursache des Lipödems ist nach wie vor unklar. Zwar weiß man, dass es sich bei dem Lipödem um eine chronische und genetisch bedingte Krankheit handelt – da häufig Mitglieder derselben Familie an dieser Fettverteilungsstörung erkranken – jedoch ist unklar, wieso das so ist. Übertragbar ist die Krankheit sowohl von mütterlicher als auch väterlicher Seite. Hormonelle Umstellungen gelten vor allem als Auslöser, nicht als Ursache.
Eine Studie aus dem Jahr 2022 hat verschiedene Gene mittels Next-Generation-Sequencing näher untersucht und dabei einige Gene entdeckt, die für eine ungleichmäßige Fettvermehrung (aber auch damit zusammenhängende Krankheiten wie das Lipödem) ausschlaggebend sind.
Geforscht wird aber nicht nur zur Entstehung des Lipödems, sondern auch zu Möglichkeiten der Diagnostik des Lipödems. So zeigt sich, dass auch eine Messung der Hautelastizität ein Lipödem bestätigen kann. Experten fordern zudem, die Liposuktion als Therapieform bereits zu einem noch nicht so weit fortgeschrittenen Zeitpunkt der Erkrankungen in Erwägung zu ziehen, da Betroffene eines Lipödems oft schon seit Tag 1 an Schmerzen leiden würden.
Fazit
In Deutschland lebt fast ein Zehntel der Frauen mit der Diagnose Lipödem, die Dunkelziffer ist vermutlich noch einmal um einiges höher. Aufgabe von Ärzten ist es, Betroffene mit einem passenden Therapieangebot bestmöglich zu unterstützen. Gleichzeitig sollte aber auch die Stigmatisierung, die mit der Erkrankung einhergeht, minimiert werden. In den meisten Fällen bietet sich eine Kombination aus konservativen und operativen Behandlungsmethoden an, eine medikamentöse Behandlung ist derzeit leider nicht möglich.
Autor: Dr. med. Florian Oti
Dr. Florian Oti ist in der Schönheitsklinik Fort Malakoff in Mainz als plastischer und ästhetischer Chirurg tätig. Seine fundierte Ausbildung erhielt er in Nürnberg, ergänzt durch internationale Fortbildungen in Belgien, Rio de Janeiro und Stockholm, wodurch er eine breite Palette an chirurgischen Fähigkeiten erwerben konnte. Er verfügt über spezielle Kenntnisse in der Behandlung von Lipödemen durch Liposuktion, der Augenlidstraffung sowie in der Durchführung ästhetischer Fettabsaugungen.