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Allgemeinmedizin

Hand aufs Herz: Gehören auch Sie zu den Menschen, bei denen Patienten mit Typ-2-Diabetes tendenziell ein schlechtes Image haben? Das Bild vom beratungsresistenten, faulen Dickerchen, das lieber bei Chips und Bier vor dem Fernseher sitzt als seine Laufschuhe zu schnüren, ist in vielen Köpfen fest mit der Krankheit verknüpft – ja, sogar bei den Betroffenen selbst. Und so fühlen sich viele von ihnen als disziplinlose Verlierer in dieser Gesellschaft. 

Der Diplom-Psychologe Prof. Norbert Hermanns vom Forschungsinstitut der Diabetes-Akademie Mergentheim schilderte bei einem Vortrag im Rahmen des Kongresses „Innere Medizin fachübergreifend – Diabetologie grenzenlos“ die starke seelische Belastung, der Menschen mit Diabetes, insbesondere vom Typ 2, ausgesetzt sind. So hätten nicht wenige Betroffene bereits die Erfahrung gemacht, dass sich Ärzte negativ über ihre Willensstärke geäußert haben. Viele Menschen mit Diabetes seien bei ihren zahlreichen Versuchen abzunehmen gescheitert und fühlten sich deshalb als Versager. Und auch die Annahme, eine Insulin-Therapie sei die Strafe für eine unzureichende Therapietreue, ist Herrmanns zufolge unter den Patienten weitverbreitet. 

Neben der Konfrontation mit Vorurteilen und Missverständnissen kommen bei vielen Betroffenen auch noch die Angst vor Diabetes-bedingten Komplikationen sowie die Sorge vor Behinderung dazu.

Summa summarum ist die Belastung durch die Krankheit groß: Der Diabetes hat nicht nur Einfluss auf die körperliche Gesundheit und das emotionale Wohlergehen der Erkrankten, sondern auch auf deren Freizeit, Beruf, soziale Beziehungen und sogar Finanzen. Studien zufolge ist etwa jeder zehnte Mensch mit Diabetes an einer Depression erkrankt, jeder dritte leidet an einer subklinischen Depression.

Innere Stärke durch Resilienz

Der beste Schutz vor den negativen Auswirkungen psychischer Belastung im Allgemeinen und durch Diabetes im Speziellen ist eine gut ausgeprägte Resilienz. Bei der Entwicklung spielen viele Komponenten eine Rolle. So steigert es die Resilienz, wenn man Prozesse proaktiv in die Hand nimmt, indem man beispielsweise die Initiative ergreift und sich auf bestimmte Situationen bewusst vorbereitet. Wer dabei eine gewisse kognitive Flexibilität an den Tag legt, kann sich den Gegebenheiten besser anpassen. Eine Portion Optimismus, Lösungsorientiertheit und Bewältigungskompetenz sind weitere wichtige Säulen, auf denen die Resilienz ruht. Darüber hinaus helfen das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten und Stärken sowie die Bereitschaft, sich ständig weiterzuentwickeln, schwierige Situationen zu meistern. Wer dazu noch gut in einem stabilen sozialen Umfeld aufgehoben ist, hat es ebenfalls leichter. 

Doch wie lässt sich die Resilienz ganz konkret bei Menschen mit Diabetes hinsichtlich ihrer Krankheit steigern?

Diabetes-Schulungen und Gespräche fördern die Resilienz

Für Hermanns kommt diesbezüglich der Diabetes-Schulung eine zentrale Bedeutung zu. Sie steigert nicht nur die Kompetenz für das persönliche Krankheitsmanagement, sondern vermeidet beziehungsweise korrigiert auch verzerrte Informationen und Wahrnehmungen. Außerdem helfen Gruppenschulungen, andere Problemlösungsstrategien und Umgangsmöglichkeiten mit der Krankheit kennenzulernen und gleich gesinnte Freunde zu finden.

Außerdem extrem wichtig: das Arzt-Patienten-Gespräch. Hermanns appellierte, Interesse am persönlichen Erleben der Patienten mit Diabetes zu zeigen. Mithilfe standardisierter Fragebögen (z. B. PAID 5) lässt sich ein schneller Überblick zum Diabetes-Distress gewinnen und ein einfacher Gesprächseinstieg finden. Erkennen Sie Gefühle an (z. B. „Ich kann mir vorstellen, dass Sie das traurig gemacht hat“) und normalisieren Sie diese (z. B. „Vielen Menschen mit Diabetes geht es so“). Dann können Sie gemeinsam neue Perspektiven entwickeln. Für viele Patienten ist diese doppelte Reflexion sehr hilfreich.

Quelle:

Pressekonferenz anlässlich der Fortbildungsveranstaltung „Innere Medizin fachübergreifend – Diabetologie grenzenlos“ am 2. Februar 2024 in München

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