Ist an den Kapitalmärkten die Corona-Krise schon vorbei? Was Anleger jetzt beachten müssen
A&W RedaktionDie Corona-Krise hat die Märkte um etwa ein Drittel in die Tiefe gerissen. Der Dax legte sogar den schnellsten Kurssturz seiner Geschichte hin. Inzwischen hat sich die Lage beruhigt. Dürfen Anleger denn darauf hoffen, dass die alten Höchststände bald wieder erreicht oder sogar übertroffen werden?
Die aktuelle Phase an den Kapitalmärkten ist spannend: Einerseits haben sich die Märkte von dem Corona-Schock weitestgehend erholt, andererseits herrscht wieder erhebliche Unsicherheit wegen der möglichen zweiten Welle. In Bezug auf die langfristigen wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie sind ebenfalls noch viele Fragen offen. Was das alles für Anleger bedeutet, erklärt Klaus Niedermeier, Leiter Investment Research bei der apoBank, im exklusiven Interview.
Die Corona-Krise hat die Märkte um etwa ein Drittel in die Tiefe gerissen. Der Dax legte sogar den schnellsten Kurssturz seiner Geschichte hin. Inzwischen hat sich die Lage beruhigt. Dürfen Anleger denn darauf hoffen, dass die alten Höchststände bald wieder erreicht oder sogar übertroffen werden?
Niedermeier: Wir sind ja gar nicht mehr so weit von den alten Höchstständen entfernt, beispielsweise fehlen beim Dax nur noch wenige Prozent. Es gibt sogar Indizes, die ihre alten Höchststände schon wieder übertroffen haben, wie beispielsweise der Nasdaq, der eher technologie-lastig ist und bei dem viele Aktien zu den Gewinnern der Krise gehören. So gesehen sind wir nahe dran, und es ist tatsächlich nicht auszuschließen, dass wir die alten Höchststände in den nächsten Wochen erneut sehen. Das heißt gleichwohl nicht, dass wir dann auch direkt neue Gipfel ins Visier nehmen.
Im Rückblick betrachtet: Waren die Reaktionen der Märkte angemessen oder war das eher eine übertriebene Panik?
Niedermeier: Der starke Verfall war schon eine passende Reaktion. Wir hatten durch die Corona-Pandemie ja angebots- und nachfrageseitig einen Schock zu verzeichnen. Der Markt bzw. die Marktteilnehmer wussten nicht, wie lange das Ganze anhält und welche Auswirkungen damit wirklich einhergehen. Dass die Leute da vorsichtshalber erst mal verkauft und die Gelder gesichert haben so gut es ging, ist aus meiner Sicht nachvollziehbar. Uns hat eher die schnelle Wiederaufholung gewundert. Mit diesem V-förmigen Verlauf an den Aktienmärkten haben wir nicht gerechnet. Ein U-förmiger Verlauf würde wohl auch eher der wirtschaftlichen Entwicklung entsprechen.
Nach wie vor wird vor einer zweiten Welle gewarnt. Muss man bei einem neuen Pandemie-Schub denn mit einer ähnlich drastischen Reaktion und entsprechenden Auswirkungen auf die Wirtschaft rechnen?
Niedermeier: Wir gehen davon aus, dass wir eine zweite Welle sehen werden, denn die Fallzahlen steigen wieder. In den USA kann man nicht mal von einer zweiten Welle sprechen, da die erste noch gar nicht abgeebbt ist. Was ich allerdings nicht glaube, ist, dass es einen zweiten Lockdown wie im Frühjahr geben wird. Dafür müssten die Fallzahlen wirklich schon sehr steigen und die Auswirkungen auf das Gesundheitssystem dramatisch sein. Die Wirtschaft kämpft derzeit mit den Folgen des ersten Lockdowns. Ein zweiter würde vermutlich noch viel stärkere wirtschaftliche Schäden hervorrufen.
Insofern glaube ich, dass das Ausmaß einer Korrektur an den Aktienmärkten bei einer zweiten Welle geringer ausfallen wird als noch im Frühjahr. Zudem haben die Marktteilnehmer gelernt, mit einem solchen externen Schock umzugehen. Dieses Bewusstsein wird helfen, eine Panik zu verhindern.
Was private Anleger zusätzlich verunsichert, sind die unterschiedlichen Prognosen, die man während der Krise in Bezug auf den Aktienmarkt bekommt. Manche Finanzexperten warnen vor einem weiteren großen Crash an der Börse und raten zum Abwarten, andere gerade jetzt zum schnellen Einstieg. Welcher Zeitpunkt ist denn der richtige?
Niedermeier: Die Frage nach dem richtigen Zeitpunkt des Einstiegs ist schwierig, den würde jeder gerne wissen. Letztlich ist sie aber auch nicht entscheidend, da man ja auch regelmäßig investieren kann, z. B. über einen Investment-Sparplan. Kurzfristige Schwankungen, die es immer geben wird, verlieren damit an Bedeutung. Wichtig ist, überhaupt zu investieren und dabei die Kapitalanlage immer langfristig auszurichten.
Wer bereits Aktien oder andere Investments besitzt, stellt sich natürlich auch die Frage nach den langfristigen Auswirkungen der Pandemie. Dürfen langfristig orientierte Anleger denn davon ausgehen, dass die Krise keine existenzielle Bedrohung für ihre Investments darstellt und sie es „aussitzen“ können? Oder sollte man sein Depot jetzt lieber nochmal kritisch beleuchten und sich ggf. von Unternehmen trennen, die von der Corona-Krise besonders betroffen sind (z.B. Luftfahrt)?
Niedermeier: Einen Blick ins Depot zu werfen, kann nie schaden. Und gerade diese Krise hat gezeigt, dass unterschiedliche Industriezweige auch sehr unterschiedlich betroffen sind. Sie haben die Luftfahrt schon als Verlierer angesprochen, Hotel und Gastronomie gehören auch dazu, wenn auch in unterschiedlichen Ausprägungen. Wer beispielsweise an der Nordsee im Sommerurlaub war, hat durchaus volle Hotels und Restaurants gesehen. Auf der anderen Seite gibt es natürlich auch Gewinnerbranchen, wie z. B. den Technologiesektor. Trotzdem lohnt sich auch hier eine regelmäßige Beobachtung der Märkte, da sich der Trend nicht automatisch so fortsetzen muss. Wem das zu aufwendig ist, gibt sein Depot besser in die Hände von Profis.
Der große Gewinner während der Pandemie war, wie in so vielen anderen Krisen auch, das Gold. Ist Gold insbesondere im Hinblick auf die Altersvorsorge vielleicht das bessere Investment? Oder gibt es hier vielleicht auch Tücken, die von Anlegern unterschätzt werden? Oder goldene Regeln, die man beachten sollte?
Niedermeier: Gold gehört nach wie vor als Bestandteil in ein Depot, auch wenn sich der jüngste Preisanstieg aus unserer Sicht so nicht fortsetzen wird. Trotzdem sollte man gewisse Eigenschaften von Gold kennen und berücksichtigen. Zum einen verzinst sich Gold nicht, die Wertsteigerung ergibt sich lediglich aus Kurszuwächsen. Diese wiederum hängen stark vom US-Dollar ab, weil Gold in US-Dollar gehandelt wird. Insofern hat der Wechselkurs zum Euro auch Auswirkungen auf den Goldpreis. Verliert die amerikanische Währung weiter an Wert – was unsere Erwartung ist –, würde das den Goldpreis weiter stützen. So, wie auch die Angst vor Inflation, die es, seit die Notenbanken die Geldschleusen wieder geöffnet haben, wieder vermehrt gibt. Persönlich würde ich übrigens immer in physisches Gold investieren oder zumindest in Wertpapierprodukte, die mit physischem Gold unterlegt sind.
Wenn es darum geht, sich möglichst breit aufzustellen, hört man immer wieder die Empfehlung für Aktien-ETFs. Warum sind sie derzeit so attraktiv?
Niedermeier: Grundsätzlich sind Investitionen in Fonds für Privatanleger immer empfehlenswerter, als in Einzelaktien zu investieren. Eine breite Aufstellung nach Branchen und Regionen erreiche ich eben nicht durch den Kauf weniger Einzeltitel. Ob ich dafür ETFs, also Fonds, die einen Index abbilden, nehme oder aktiv gemanagte Produkte, ist letztlich eine persönliche Abwägung. ETFs sind zwar oftmals günstiger. Dafür nehmen Anleger die Entwicklung des entsprechenden Indexes zu 100 Prozent mit – bei Kursgewinnen genauso wie bei Kursverlusten. Individuelle Anpassungen wie eine Erhöhung der Geldquote im Fonds, um bei Gelegenheit günstige Einstiegschancen mitzunehmen, sind nicht möglich. Ebenso wenig eine speziell auf den Anleger zugeschnittene Depotzusammensetzung.