Sauber Kodieren vermeidet Ärger
Dr. Ulrich KarbachBei der kassenärztlichen Abrechnung muss immer die Behandlungsdiagnose mit dem entsprechenden ICD-10GM-Kode angegeben werden. Ob die Kodierhilfe, die jetzt in die Praxisverwaltungssysteme integriert wird, die Arbeit wesentlich erleichtert, wird die Zukunft zeigen.
Generell müssen Hausärztinnen und -ärzte endständig bis zur vierten Stelle kodieren. Diese Regelung gilt auch für fachärztlich tätige Kolleginnen und Kollegen, wenn sie zum Beispiel im Notdienst außerhalb ihres Fachgebietes tätig werden. Innerhalb ihres Fachgebietes müssen fachärztlich tätige Kollegen endständig bis zur fünften Stelle kodieren, sofern es eine solche gibt. Der Kapitelbuchstabe plus drei Zahlen, zwei vor und eine nach dem Punkt, ist vierstellig. Wenn zwei Zahlen nach dem Punkt angegeben werden, ist die Kodierung fünfstellig.
Auch wenn es für Hausärzte nicht vorgeschrieben ist, kann es sinnvoll sein, fünfstellig zu kodieren. Zusätzlich wird der angesetzte Kode mit einem Zusatzkennzeichen versehen: „G“ steht für gesicherte Diagnose, „A“ für Ausschlussdiagnose, „V“ für Verdachtsdiagnose und „Z“ für symptomloser Zustand nach der Diagnose.
Für die in der Berufsordnung vorgeschriebene Dokumentation der ärztlichen Tätigkeit reichen die ICD-10GM-Kodes, also die Kodes aus der deutschen Modifikation des ICD-10 allein nicht aus. In der Patientenakte, egal ob digital oder noch klassisch analog auf Papier, muss in Klartext dokumentiert werden.
Anwendung der Kodierung
Mittels der ICD-10-Kodierung lässt sich überprüfen, ob eine Behandlung plausibel und wirtschaftlich ist. Wenn man Abrechnungsdaten und Verordnungsdaten zusammenführt, lässt sich zudem überprüfen, ob eine Verordnung off-label erfolgte und ob es möglicherweise günstigere Optionen zur Verordnung gab. Schon daraus wird ersichtlich, dass eine saubere Kodierung zeitaufwendigen Ärger und eventuelle Rückforderungen vermeiden kann. Zudem werden die kodierten Behandlungsdiagnosen insgesamt in der Verhandlung mit den Krankenkassen genutzt, um bei steigender Morbidität zusätzliche Mittel zu bekommen. Auch dies setzt eine saubere Kodierung voraus.
Schon für den ersten Schritt der Abrechnungsprüfung bei der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) ist sauberes kodieren wichtig. Immer wieder als Beispiel herangezogen wird die Chronikerziffer, die als Gebührenordnungsposition (GOP) 03220 und 04220 im EBM-Kapitel der Haus- und Kinderärzte zu finden ist. Diese GOP setzt unter anderem voraus, dass im Abrechnungsquartal und in den drei vorhergehenden Quartalen jeweils die gleiche chronische lebensverändernde Erkrankung bestand. Das lässt sich relativ einfach nachverfolgen, da die Abrechnung der vorherigen Quartale der KV vorliegen. Es muss nur mit der Versichertennummer in den entsprechenden Quartalen geprüft werden. Wenn sich bei einem Typ-2-Diabetes Komplikationen einstellen, ändert sich in aller Regel auch die Kodierung und statt der 9 an vierter Stelle steht dann eine andere Zahl. Das ist aber für die Prüfautomatismen kein Problem.
Abrechnung muss plausibel sein
Im zweiten Schritt der Abrechnungsprüfung prüft die KV, ob die Abrechnung plausibel ist. Dabei wird nachgesehen, ob die abgerechneten GOP und die kodierte Diagnose zueinanderpassen. Bleiben wir bei der Chronikerziffer. Wenn eine COPD mit J44.8G kodiert ist, wird niemand ernsthaft anzweifeln, dass dies eine lebensverändernde Erkrankung ist. Kodiert man hingegen den Erkältungsschnupfen mit J00G als alleinige Behandlungsdiagnose, so wird man kaum jemandem plausibel machen können, dass dies eine lebensverändernde Erkrankung ist. Selbst wenn in jedem Quartal ein Erkältungsschnupfen zu einem Arzt-Patienten-Kontakt führt, was bei durchschnittlich zwölf solcher Infektionen im Jahr bei Kindern sein könnte, wird das kaum in jedem Quartal zu einem Arzt-Patienten-Kontakt führen.
Schon mehrfach gefragt wurde, ob es einen Katalog mit ICD-10-Kodes gibt, bei denen die Chronikerziffer angesetzt werden kann. Einen solchen Katalog gibt es offiziell nicht. Das bedeutet, dass Vertragsärztinnen und -ärzte, sofern sie es auf Nachfrage plausibel begründen können, die Entscheidungsfreiheit haben, etwa eine leichte depressive Episode als lebensverändernd einzuordnen oder auch nicht. Das hängt natürlich wesentlich vom betroffenen Patienten oder der betroffenen Patientin ab. Da der ICD-10 das nicht darstellen kann, kommt es bei Nachfragen auf die präzise Dokumentation in der Patientenakte an.
Klassische Fallstricke
In der Anleitung zur Verschlüsselung steht unter 2., dass so spezifisch wie möglich zu verschlüsseln ist. Jetzt weiß jede Kollegin und jeder Kollege, dass normalerweise bei komplizierteren Krankheitsbildern eine umfangreichere Diagnostik nötig ist und auch in den Leitlinien empfohlen wird. Gleichzeitig wissen wir alle, dass eine Diagnostik ohne Konsequenzen unnötig und somit unwirtschaftlich ist. Langer Rede kurzer Sinn: Wenn bei einem Typ-2-Diabetiker mit multiplen Krankheitsfolgen E11.7G + G63.2G* + G08.3G* kodiert wurde, dann ist für jeden nachvollziehbar, warum dieser Patient zum Neurologen überwiesen und zudem die Nierenfunktion genauer untersucht wird. Wenn das nicht erfolgt, kann das an der gemeinsamen Entscheidung von Patient und Arzt liegen. Zum Beispiel, wenn dies bei schlechtem Gesundheitszustand mehr Belastung als Nutzen bringt. Wenn aber nur E11.9G kodiert wurde und die umfangreiche weiterführende Diagnostik gemacht beziehungsweise veranlasst wird, fragt sich jeder sofort, ob die abgerechneten Leistungen plausibel sein können.
Bei der Kodierung der COPD wird es noch komplizierter. Das FEV1 des ICD-10 und der Grad der Global Initiative for Chronic Obstructive Lung Diseases (GOLD) passen schon nicht hundertprozentig zueinander. Beim Kodieren muss man den gemessenen Wert nutzen. Und die Einteilung in A, B, C und D lässt sich in der Kodierung nicht darstellen. Da die Pharmakotherapie aber wesentlich davon abhängt, ist eine genaue Dokumentation in der Krankenakte erforderlich. Nur so kann die Verordnung einer teureren Dauermedikation im Zweifelsfall verargumentiert werden.
Der nächste Schritt, bei dem die Kodierung relevant ist, ist die Wirtschaftlichkeitsprüfung. Diese erfolgt durch einen gemeinsamen Prüfungsausschuss von Krankenkassen und Kassenärztlicher Vereinigung. Neben Auffälligkeit und Zufall kann solch eine Prüfung auch auf Antrag eingeleitet werden. Das können nicht nur Kassen und KVen, sondern auch Kollegen. Es ist aber nicht so, dass ein neidischer Kollege einen erfolgreicheren Kollegen anschwärzt und es zur Prüfung kommt. Die vorgebrachten Hinweise müssen schon sehr fundiert sein, dass daraufhin eine Prüfung erfolgt. Von Beteiligten erfährt man, dass solche Prüfungsfälle zahlenmäßig irrelevant sind.
Sauber kodieren kostet Zeit – erspart aber späteren Ärger
Grundlage für die Wirtschaftlichkeitsprüfung ist das Wirtschaftlichkeitsgebot von § 12 des fünften Sozialgesetzbuches (SGB V). Eine etwas präzisere Formulierung findet man in § 47 des Bundesmantelvertrages für Ärzte (BMV-Ä). In den vorangehenden §§ 45 und 46 wird Grundsätzliches zu den ersten beiden Schritten, nämlich Abrechnungsprüfung und Plausibilitätskontrolle, genannt. § 47 (2) ist besonders relevant, denn dort steht: „Bei der Prüfung der vertragsärztlichen Behandlungs- und Verordnungsweise ist die Wirtschaftlichkeit der gesamten vertragsärztlichen Tätigkeit des Vertragsarztes zu berücksichtigen.“ Praktisch bedeutet das, dass eine gegenüber der Vergleichsgruppe aufwendigere Diagnostik und Arzneiverordnung wirtschaftlich sein kann, wenn dadurch teurere Hospitalisierungen vermieden werden.
Wenn die Durchschnittswerte verglichen werden, kommt die Kodierung der Behandlungsdiagnosen in Spiel. Dr. A. soll Stellung dazu beziehen, warum er die Chronikerziffer wesentlich häufiger abrechnet als der Durchschnitt der Fachgruppe. In einem ersten Schritt sollte er prüfen, welche Diagnosen wie häufig in der Vergleichsgruppe vorkommen und ob es bei seiner Patientengruppe Abweichungen gibt. Im nächsten Schritt geht es darum, ob die abweichenden Kodes für die Chronikerziffer relevant sind. Wenn ja, dann hat er gute Argumente für die Stellungnahme.
Generell kann man davon ausgehen, dass eine Chronikerziffer, die in der sachlich-rechnerischen Prüfung akzeptiert wurde, formal richtig ist. Das sagt aber nichts darüber aus, ob sie auch wirtschaftlich ist.
Tipps für die Praxis: Haben Sie Besonderheiten griffbereit |
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Egal ob nur die Wirtschaftlichkeit der Arzneiverordnung, der Hilfsmittelverordnung oder der gesamten Tätigkeit geprüft wird, es kostet Zeit und Nerven. Um den Aufwand gering zu halten, ist es sinnvoll, kostenintensive Arzneiverordnungen so zu dokumentieren, dass man zum Beispiel mit dem Suchbegriff RA und Biologics alle Patienten mit dieser Kombination griffbereit hat. Wenn man dies nicht hat, muss man unter Umständen alle (im Extremfall noch analogen) Patientenakten durchforsten. |