Investoren-Schlacht um Deutschlands Arztpraxen: Wann greift der Gesetzgeber ein?
A&W RedaktionDie Renditejagd im Gesundheitswesen verschärft sich: Arztpraxen sind mittlerweile ein begehrtes Spekulationsobjekt, offenbart eine aktuelle Recherche von ARD und NDR. Der Verband der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte (Virchowbund) fordert erneut konkrete Gesetzesänderungen ein.
Betroffen sind neben Zahnarztpraxen inzwischen auch andere Fachgruppen, wie Augenärzte, Radiologen, Nephrologen, Gynäkologen und auch Internisten und Hausärzte. Gleichzeitig gibt es deutliche Hinweise, dass MVZ-Ketten in Investorenhand die Behandlungskosten in die Höhe treiben, ohne die Qualität der Versorgung zu verbessern. Oft sogar im Gegenteil.
Zweistellige Renditeerwartungen der Investoren
Straffere Prozesse und gebündelte Verwaltungskosten alleine reichen in vielen Praxen nicht aus, um die zweistellige Renditeerwartung eines professionellen Investors zu befriedigen. Ein wichtiger Hebel zur Gewinnmaximierung ist daher die Abrechnung. Eine Studie des IGES Instituts aus dem Jahr 2020 kommt beispielsweise zu dem Ergebnis, dass investorengeführte Praxisketten „vermehrt betriebswirtschaftlich attraktivere Leistungen erbringen, während sie weniger attraktive Leistungen vernachlässigen.“ Auch gegenüber ARD und NDR berichten Insider von unnötigen Zahnfüllungen und Operationen.
Katalog mit Gegenmaßnahmen liegt auf dem Tisch
Der Bundesvorsitzende des Virchowbundes, Dr. Dirk Heinrich, ist nicht überrascht von den jüngsten Enthüllungen der Journalisten. „Investoren erwarten Gewinn, Rendite. Dieses Geld muss im Gesundheitswesen erst verdient werden – auch auf dem Rücken der Versicherten. Das Problem und seine Ursachen, u. a. verfehlte Anreize und unzureichende Steuerung, sind seit Langem bekannt. Wir haben auch bereits vor Jahren einen Katalog an möglichen Gegenmaßnahmen auf den Tisch gelegt. Die Politik müsste diesen nur aufgreifen und sowohl Patienten als auch inhabergeführte Arztpraxen endlich besser schützen.“
Die Forderungen des Virchowbundes
Eine Hauptforderung des Virchowbundes ist ein Transparenz-Register für MVZ. Zukünftig müsse bei jedem Konstrukt oder jeder Gesellschaftsform der wirtschaftlich Berechtigte sofort und klar erkennbar sein. Jeder Patient solle wissen können, wem der wirtschaftliche Ertrag aus der Gesundheitseinrichtung zufließt. Zum Beispiel soll der „wirtschaftlich Berechtigte“ auf dem Praxisschild eines investorengeführten MVZ ausgewiesen werden.
Zweitens sollen MVZ-Neugründungen nur noch als gGmbH möglich sein. Dadurch werden sie per Rechtsform auf Gemeinnützigkeit verpflichtet. Zum Beispiel dürfen dann keine hohen Renditen mehr an Anleger ausbezahlt werden. Damit wird auch sichergestellt, dass Gewinne nicht das Hauptziel des Unternehmens sind, sondern allenfalls ein Nebeneffekt. „Natürlich ist auch ein klassischer Praxisinhaber darauf angewiesen, dass die Praxis Gewinn abwirft. Dabei geht es aber einerseits um Verhältnismäßigkeiten. Andererseits reinvestieren Praxisinhaber einen Teil des Gewinns in Personal, Geräte und Praxisausstattung“, erklärt Dr. Heinrich.
Kein Mehrheitsverkauf in den ersten 5 Jahren
Um bloße Spekulation mit raschen Wiederverkäufen zu verhindern, schlägt der Virchowbund zudem vor, MVZ-Trägern die Zulassung zu entziehen, wenn innerhalb von 5 Jahren die Mehrheit der Gesellschaftsanteile veräußert wird oder die wirtschaftlich berechtigten Personen wechseln.
Der Verband der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte betont auch, dass Fremdkapital im Gesundheitswesen nicht per se schlecht sei. Unter den richtigen Bedingungen profitierten davon Patienten und Ärzte gleichermaßen. Davon seien die aktuellen Umstände jedoch noch deutlich entfernt. „Die verfehlten Anreize der Gesundheitspolitik erschweren Neuniederlassungen und verschärfen zusätzlich den Fachkräftemangel“, prangert Dr. Heinrich an. „Es ist höchste Zeit, diese Entwicklung zu stoppen.“