Wenn der (zu) sorglose Einsatz von Telemedizin die Approbation kostet
Judith MeisterEin technisch versierter Sohn und eine Mutter mit Facharzt-Titel – fertig ist die digitale Praxis? Nein, entschied das Oberverwaltungsgericht Hamburg und entzog einer allzu geschäftstüchtigen Ärztin die Approbation.
Spätestens seit Corona ist die Telemedizin auch in Deutschland salonfähig geworden. Ein Mindestmaß an ärztlicher Verantwortung müssen Ärzte, die sich für dieses Feld interessieren, aber weiterhin aufbringen. Andernfalls drohen schwerwiegende Konsequenzen.
So auch im Fall einer Fachärztin für Gynäkologie, die sich im großen Stil an einem telemedizinischen Unternehmen ihres Sohnes beteiligt hatte. Dessen Website eröffnete Nutzern unter anderem die Möglichkeit, sich ohne jeglichen Arztkontakt krankschreiben zu lassen und die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AU) auf elektronischem Wege zu erhalten. Hierfür mussten die Nutzer lediglich einen standardisierten Fragenkatalog ausfüllen und einige Daten zur Person angeben. Nach einer kurzen Auswertung brachte die Ärztin daraufhin die AU auf den Weg – ohne persönlichen Kontakt und ohne Verifizierung der gemachten Angaben.
Florierende Geschäfte während der Pandemie
Über denselben Internetauftritt konnten Nutzer zudem sogenannte Corona-Selbsttest-Zertifikate mit Praxisstempel und Unterschrift der Ärztin erhalten. Auf dem Zertifikat stand zu lesen:
„Die u.g. Person hat keine Symptome und ist nicht mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 infiziert, da sie einen negativen Antigen-Test gemacht hat unter meiner fachärztlichen Überwachung meiner Arztpraxis i.S.d. § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 TestV gemäß § 2 Nr. 7 SchAusnahmV.“
Für den Erhalt eines solchen Schreibens genügte die Angabe, man habe sich selbst negativ getestet. Eine Überprüfung durch die Ärztin fand auch hier nicht statt. Vielmehr genügte es, das Foto eines gebrauchten Test-Kits einzusenden. Ob dieses tatsächlich der Person zuzuordnen war, die das Zertifikat für sich bestellt hatte, prüfte niemand.
Berufsunwürdigkeit in allen Instanzen bestätigt
Das Hamburgische Berufsgericht für die Heilberufe erteilte der Ärztin wegen Berufsvergehens einen Verweis. Zudem verurteilte es sie zur Zahlung eines Bußgelds in Höhe von 6.000 Euro. Die zuständige Approbationsbehörde widerrief die Approbation der Frau und ordnete die sofortige Vollziehung an.
Das Verwaltungsgericht und das Oberverwaltungsgericht Hamburg (Az. 3 Bs 78/22) bestätigten die Entscheidungen. Dabei befanden die Richter unter anderem, dass ein Arzt, der auf Grundlage von online angeklickten, vorbezeichneten Antwortmöglichkeiten automatisiert erstellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen als PDF ausstellt, gegen die Berufspflicht nach § 25 MBO-Ä verstößt.
Auch stelle die Verwendung eines standardisierten Online-Formulars zur Erlangung einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung keine Behandlung im Sinne der Berufsordnung dar, weil der individuelle Austausch zwischen Arzt und Patient vollständig fehle.