Weisungsrecht gegenüber Mitarbeitern in der Arztpraxis
Ina ReinschHäufig sind die Pflichten der MFA im Arbeitsvertrag nur grob umrissen. Die Details dürfen Ärztinnen und Ärzte im Rahmen ihres Weisungsrechts bestimmen. Wie das konkret funktioniert und wie sie unter anderem Überstunden anordnen oder patientenfreundliche Öffnungszeiten etablieren.
Es gehört wohl zu den Klassikern in jeder Arztpraxis: Frau Maier hat sich krankgemeldet, Frau Schmid hat drei Tage Urlaub und Frau Müller muss pünktlich weg. Trotzdem ist das Wartezimmer um 18 Uhr noch bis auf den letzten Stuhl besetzt. Wegschicken kann der Arzt seine kranken Patienten schlecht. Also muss Frau Müller länger bleiben. Doch die weigert sich, denn ausgerechnet heute ist sie zu einer Geburtstagsfeier eingeladen. Der Chef wird deutlich, Frau Müller bissig, dann weint sie. Es kommt zum Eklat.
Personalführung kann für niedergelassene Ärztinnen und Ärzte ganz schön knifflig sein. Dabei geht es nicht nur um die Frage, ob der Arzt Überstunden anordnen darf, um etwa in der Grippesaison alle wartenden Patienten versorgen zu können. Es geht auch um die Organisation von Praxisabläufen, kürzere Wartezeiten, patientenfreundliche Öffnungszeiten oder die Frage, ob Mitarbeiter einheitliche Arbeitskleidung tragen sollen.
Das Weisungsrecht des Arbeitgebers
Dreh- und Angelpunkt einer reibungslos funktionierenden Arztpraxis ist das Weisungsrecht des Arbeitgebers. Es wird auch als Direktionsrecht bezeichnet und gestaltet den Arbeitsvertrag konkret aus. Denn nicht alle Fragen, die sich im beruflichen Alltag ergeben, können in einem Arbeitsvertrag bis ins Detail geregelt werden. Dafür ist das berufliche Leben zu vielfältig. Mithilfe des Weisungsrechts kann der Arbeitgeber daher vor allem Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung nach „billigem Ermessen“ näher bestimmen. Allerdings nur, soweit diese Arbeitsbedingungen nicht bereits durch den Arbeitsvertrag, eine Betriebsvereinbarung, einen anwendbaren Tarifvertrag oder gesetzliche Vorschriften wie beispielsweise die Bestimmungen des Arbeitszeitgesetzes festgelegt sind. Das regelt § 106 der Gewerbeordnung, der hier gilt, auch wenn Ärzte selbst natürlich keine Gewerbetreibenden sind.
Der Begriff „billiges Ermessen“ beinhaltet, dass der Arbeitgeber bei der Ausübung seines Weisungsrechts in angemessener Weise auf die Interessen seiner Mitarbeiter Rücksicht nehmen muss. Dazu können private Lebensumstände ebenso gehören wie besondere Kenntnisse. Vier Beispiele aus der Praxis sollen verdeutlichen, worum es dabei konkret geht.
Wartezimmer um 18 Uhr noch voll:
Der Arzt möchte, dass die MFA an einem Donnerstagabend nicht wie festgelegt nach einem Acht-Stunden-Arbeitstag um 18 Uhr Schluss macht. Er fordert, dass sie zwei Stunden länger bleibt, damit er alle kranken Patienten, die noch im Wartezimmer sitzen, behandeln kann. Geht das?
Möchte der Arbeitgeber Überstunden anordnen, braucht er zunächst eine entsprechende Arbeitsvertragsklausel, die ihm die Anordnung von Überstunden erlaubt. Ohne vertragliche Regelung ist der Arbeitnehmer in der Regel nicht verpflichtet, Überstunden zu leisten. In echten Notfällen wie etwa einem Brand in der Praxis gelten diese Regelungen aber nicht. Existiert eine entsprechende Klausel, kommt es für die Rechtmäßigkeit der Anordnung von Überstunden auf die jeweiligen Umstände an.
Hat der Arzt die Überstunden so früh wie möglich angekündigt und hat die Mitarbeiterin keine anderweitigen ernsthaften Verpflichtungen, muss sie die Weisung befolgen. Eine schlichte Geburtstagsrunde bei Bekannten dürfte kein Weigerungsgrund sein. Anders sieht es hingegen aus, wenn die Weisung sehr kurzfristig erfolgt und die Mitarbeiterin etwa ihr Kind aus der Kita abholen muss, weil diese schließt. Die Interessenabwägung würde hier zugunsten der Mitarbeiterin ausfallen. Es kommt also immer auf den Einzelfall an.
Rechtswidrig wäre die Weisung im Übrigen, wenn sie gegen das geltende Arbeitszeitrecht verstößt. Danach ist eine Arbeitszeit von acht Stunden werktäglich möglich. Eine Erhöhung auf zehn Stunden ist zulässig, wenn es innerhalb von sechs Monaten bei durchschnittlich acht Stunden bleibt. Eine Arbeitszeit von über zehn Stunden ist hingegen nicht mit dem Gesetz vereinbar.
Wechsel der Arbeitstage:
Der Praxisinhaber möchte, dass eine 20-Stunden-Kraft, die laut Arbeitsvertrag Montag bis Mittwoch bei ihm arbeitet, ab sofort Montag, Donnerstag und Freitag in der Praxis erscheint. Er möchte damit der gestiegenen Patientenzahl zum Ende der Woche hin Rechnung tragen. Ist das zulässig?
Nein, er kann dies nicht per Weisungsrecht anordnen, da die Arbeitszeit bereits vertraglich auf die Tage Montag bis Mittwoch festgelegt ist. Wer sich als Arbeitgeber nicht fest binden möchte, um flexibel auf Patientenzahlen an verschiedenen Wochentagen reagieren zu können, sollte im Arbeitsvertrag beispielweise nur die Arbeitspflicht an drei Wochentagen innerhalb einer fünf-Tage-Woche festlegen. Er kann dann per Weisungsrecht die Arbeitszeit konkretisieren und bleibt für Patienten flexibel.
Patientenfreundliche Öffnungszeiten:
Der Arzt beschließt, seine Praxis künftig am Dienstagnachmittag zu schließen. Stattdessen möchte er eine Sprechstunde am Samstagvormittag anbieten, damit auch berufstätige Patienten die Möglichkeit haben, ihn aufzusuchen. Dazu müssten nun auch einige Mitarbeiter samstags arbeiten. Ist das möglich?
Auch hier kommt es auf die Gestaltung der Arbeitsverträge mit dem Praxispersonal an. „Verlangt der Praxischef oder die Chefin wegen veränderter Praxisöffnungszeiten plötzlich die Arbeit am Samstagvormittag, so liegt das im Rahmen des Weisungsrechts, wenn der Arbeitsvertrag zur konkreten Lage der Arbeitszeiten innerhalb einer sechs-Tage-Woche nichts sagt“, erklärt Manfred Schmid, Fachanwalt für Arbeitsrecht bei Pinsent Massons in München.
Allerdings müsse der Chef die beidseitigen Interessen gegeneinander abwägen. Diese Abwägung könne etwa bei einer Arbeitnehmerin mit einem schwerkranken Kind anders ausfallen als bei einer kinderlosen. Zudem dürfe eine Weisung keinen maßregelnden Charakter haben. Arbeiten die Mitarbeiter laut Vertrag in einer fünf-Tage-Woche von Montag bis Freitag, ist eine Änderung per Weisungsrecht dagegen nicht möglich. Möchte der Arzt die Öffnungszeiten für die Patienten auf die Samstage ausdehnen, müsste er die Verträge mit seinen Mitarbeitern ändern, was deren Einverständnis voraussetzt.
Mehr Patienten, mehr Arbeit:
Der Praxisinhaber möchte, dass eine 20-Stunden-Kraft künftig 30 Stunden pro Woche arbeitet. Kann er das per Weisungsrecht anordnen?Nein, das ist nicht möglich. Denn in der Regel ist der Umfang der Arbeitsleistung pro Woche vertraglich festgelegt. Das gehört zu den Kernregelungen eines Arbeitsvertrages. Sollte dort tatsächlich keine Regelung enthalten sein, gilt das bisher Gelebte, also 20 Stunden. Möchte der Arzt die MFA zehn Stunde länger beschäftigen, müsste er auch hier den Arbeitsvertrag entsprechend ändern. Das ist einseitig nicht möglich, die MFA muss einverstanden sein.
Schutzkleidung ist Pflicht
Die Beispiele zeigen, dass das Weisungsrecht ein enorm vielschichtiges Instrument ist, mit dessen Hilfe der Arzt zahlreiche Details im Praxisalltag konkret gestalten kann. Doch wie weit geht das Weisungsrecht? Kann der Arzt als Arbeitgeber auch anordnen, dass alle Praxismitarbeiter einheitliche Dienstkleidung tragen müssen, um für die Patienten bereits nach außen als Team erkennbar zu sein?Auch bei einheitlicher Praxiskleidung wie etwa einer weißen Hose und einem farbigen T-Shirt mit dem Logo der Praxis, erfolgt eine Interessenabwägung. Bei der Anordnung von einheitlicher Arbeitskleidung muss der Arzt das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Mitarbeiter berücksichtigen. Immer dort, wo eine spezielle Schutzkleidung vorgeschrieben ist, etwa im Operationsbereich, muss das allgemeine Persönlichkeitsrecht allerdings zurücktreten. Der Arbeitgeber ist hier aus seiner arbeitsvertraglichen Fürsorgepflicht sogar verpflichtet, darauf zu achten, dass seine Mitarbeiter diese Kleidung tragen. Dazu gehören auch entsprechende Handschuhe, etwa während der Blutabnahme.
Einheitliche Dienstkleidung
Im allgemeinen Praxisalltag muss man aber genauer hinsehen. Denn die Rechtsprechung der Arbeitsgerichte lässt es grundsätzlich zu, dass der Arbeitgeber eine bestimmte Arbeitsbekleidung vorschreibt. Nämlich dann, wenn das äußere Erscheinungsbild des Unternehmens durch das Tragen einheitlicher Arbeitskleidung verbessert werden sollte, sofern die Arbeitskleidung nicht ungeeignet ist oder in irgendeiner Weise die Würde der Arbeitnehmer beeinträchtigt.
Daher ist es zulässig, dass Ärztinnen und Ärzte für ihr Personal weiße Hosen, Schuhe und Socken und ein Poloshirt oderT-Shirt in einer bestimmten Farbe vorschreiben. Sogar die Vorgabe, unter der Dienstkleidung schlichte weiße oder hautfarbene Unterwäsche zu tragen, kann zulässig sein. Bei Mitarbeitern, die nicht nur im stillen Kämmerlein sitzen, sondern Kontakt zu Patienten haben, sind eben weitreichendere Vorschriften möglich, wenn ein ordentliches Erscheinungsbild gewährleistet werden soll.
Und wenn die MFA mit Kopftuch arbeitet? In der Regel muss der Arzt das hinnehmen, denn bei einer Interessenabwägung dürfte die Religionsfreiheit Vorrang genießen. Nur wenn es zu betrieblichen Störungen kommt, kann die Abwägung anders ausfallen.
Weisungsrecht: Keine langen Fingernägel!
Der Praxisinhaber darf gegenüber seinen medizinischen Mitarbeitern per Weisungsrecht anordnen, bei der Arbeit kurze, unlackierte Fingernägel zu tragen. Für kurze Nägel gibt es in der Arztpraxis sachliche Gründe, nämlich die Hygiene und die Verletzungsgefahr für Patienten. Aus Hygienegründen kann daher in der Arztpraxis auch angeordnet werden, keinen Nagellack zu tragen. In den meisten anderen Berufen wäre das eher nicht möglich.Erst jüngst entschied das Arbeitsgericht Aachen in einem ähnlich gelagerten Fall, dass eine Altenpflegerin keine langen Gelnägel bei der Arbeit tragen darf (21.02.2019, Az: 1 CA 1909/18). Auch hier hatte der Arbeitgeber für das gesamte Personal kurze, unlackierte Nägel angeordnet. Die Mitarbeiterin wollte jedoch nicht auf ihre kunstvollen Nägel verzichten, sie seien „Teil ihrer Persönlichkeit“.Wie immer in diesen Fällen kam es auch hier auf eine Interessenabwägung zwischen dem Gesundheitsschutz der Senioren und dem Persönlichkeitsrecht der Arbeitnehmerin an, die eindeutig zugunsten des Gesundheitsschutzes ausfiel. Lesen Sie auch: Darf ein Arzt seinen MFA künstliche Fingernägel verbieten?
Nicht jeder Patient findet lange, lackierte Nägel bei einer MFA schön. Zudem besteht für Patienten ein Verletzungsrisiko. Bild: Igor – stock.adobe.com
Was Ärzte Mitarbeitern anweisen können
Häufig sind die Pflichten des medizinischen Personals einer Arztpraxis im Arbeitsvertrag nur grob umrissen. Die Details dürfen Ärzte als Arbeitgeber im Rahmen ihres Weisungsrechts bestimmen. Durch konkrete Weisungen ordnen sie also an, was zu tun ist. Dabei steht das Wohl der Patienten an oberster Stelle. Sie sollen nicht nur medizinisch bestens versorgt sein, sondern auch freundlich und serviceorientiert behandelt werden. Das erfordert von Seiten des Arztes bisweilen auch klare Worte gegenüber den Mitarbeitern und deren Verpflichtung, Verhaltensregeln zu befolgen.
Viele kleine und alltägliche Dinge des Praxisalltags unterliegen dem Weisungsrecht. Dazu zählt unter anderem das leidige Thema Rauchen. Qualmende Mitarbeiter vor der Praxis, auf dem Balkon oder der Terrasse machen einen schlechten Eindruck auf Patienten und sind ein schlechtes Vorbild in Sachen Gesundheitsschutz. Der Rauchgeruch wird von vielen Patienten tatsächlich auch als störend empfunden. Doch wie stellt der Arzt das ab?
Rauchen ist keine Arbeitszeit, sondern eine Arbeitsunterbrechung. Geht die MFA während der Arbeitszeit vor die Tür, begeht sie im Prinzip einen Arbeitszeitbetrug. Denn sie täusche vor, in dieser Zeit gearbeitet zu haben und betrüge den Arzt um Gehalt. Praxisinhaber können und dürfen daher die klare Weisung erteilen, dass Rauchen während der Arbeitszeit untersagt ist. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter müssen dann bis zur Mittagspause warten. Diese Ansage ist vom Direktionsrecht gedeckt. Wer sich nicht daran hält, riskiert eine Abmahnung und bei Wiederholungen sogar eine Kündigung. Drückt der Chef ein Auge zu, sollte er zumindest klar anweisen, dass die Zeit nachgearbeitet werden muss.
Fokus soll auf dem Patienten liegen
Ein weiteres bisweilen unerfreuliches Thema stellt das Online-Shoppen dar. Denn nicht selten lassen sich Mitarbeiter auch Päckchen in die Praxis schicken. Das ist problematisch, denn damit geht Arbeitszeit und Aufmerksamkeit für die Patienten verloren. Der Praxisablauf wird gestört. Nicht der Patient steht dann im Vordergrund, sondern die Privatinteressen der Mitarbeiter. Zudem sollten Chefs bedenken: Wer Päckchen bekommt, muss sie auch bestellt haben – vielleicht während der Arbeitszeit? Praxisinhaber können den Mitarbeitern daher die Zusendung von privaten Paketen verbieten. Zumindest aber sollten die Mitarbeiter den Chef vorher fragen. Denn private Einkäufe gehören grundsätzlich in die Freizeit.
Auch mit einem Hund ist es so eine Sache. Arbeitgeber dürfen im Rahmen ihres Direktionsrechts Vierbeiner verbieten. Grundsätzlich muss der Mitarbeiter immer von einem Verbot ausgehen. Will er einen Hund mitbringen, benötigt er eine ausdrückliche Erlaubnis. Selbst wenn diese einmal erteilt wurde, darf der Chef seine Meinung ändern, wenn er gute Gründe dafür hat. In einer Arztpraxis sollten Ärzte als Arbeitgeber bedenken: Ein Hund kommt eigentlich nur in Frage bei Mitarbeitern, die im Backoffice arbeiten und keinen Patientenkontakt haben. Denn zum einen mag nicht jeder Patient Hunde, zum anderen betrachten viele Patienten ein Tier als Hygienemanko oder haben Tierhaarallergien.
Und wenn die MFA sinnreiche Sprüche oder Katzenbilder auf dem Anmeldetresen drapiert? Zwar sorgen persönliche Gegenstände am Arbeitsplatz dafür, dass sich Mitarbeiter mit ihrer Arbeit identifizieren. Der Arzt hat jedoch das Hausrecht über die Praxis. Im Empfangsbereich einer Arztpraxis kann der Arzt daher persönliche Gegenstände seiner Mitarbeiter per Weisungsrecht untersagen. Denn auch Patienten wünschen sich in der Regel eine professionelle Umgebung. Das gilt im Übrigen auch für andere Räume, in denen sich Patienten aufhalten. Bei einer beidseitigen Interessenabwägung überwiegt hier das Interesse des Arztes an einem einheitlichen Erscheinungsbild seiner Praxis. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Mitarbeiter muss zurücktreten.
Weisungsrecht hat Grenzen
Verstößt eine Weisung gegen ein Gesetz oder eine andere Norm, ist sie unwirksam. Der Arbeitnehmer muss sie nicht befolgen. Das ist zum Beispiel der Fall, wenn der Arzt verlangt, dass eine MFA über die laut Arbeitszeitgesetz zulässige tägliche Höchstarbeitszeit von zehn Stunden hinaus arbeitet. Soweit das Weisungsrecht aber weder durch gesetzliche noch durch tarifliche oder einzelvertragliche Regelungen begrenzt wird, muss der Arbeitgeber lediglich die Schranke des sogenannten billigen Ermessens beachten.
Weisungen, die gegen dieses „billige Ermessen“ verstoßen, waren nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) für den Mitarbeiter trotzdem bindend. Er musste sie befolgen, zumindest bis zur Feststellung des Gegenteils durch ein Arbeitsgericht – so das BAG noch im Jahr 2012 (22.02.2017, Az: 5 AZR 249/11). Sagte der Arbeitnehmer „Nein“, lag eine Arbeitsverweigerung vor. Der Arbeitgeber konnte abmahnen oder sogar kündigen. Die Kündigung war wegen der Arbeitsverweigerung in der Regel wirksam.
Im Jahr 2017 hat der fünfte Senat des BAG aber seine bisherige Rechtsprechung aufgegeben (14. September 2017, Az. 5 AS 7/17). Arbeitnehmer dürfen nun „Nein“ sagen. Doch was bedeutet das konkret? „Wenn sich der Arbeitnehmer weigert, wird der Arbeitgeber nach wie vor abmahnen und kündigen“, erklärt der Münchner Fachanwalt für Arbeitsrecht Manfred Schmid. „Erhebt der Arbeitnehmer Kündigungsschutzklage und das Gericht kommt zu dem Ergebnis, dass die Weisung unbillig war, liegt nun keine Arbeitsverweigerung vor. Die Kündigung geht nicht durch, der Arbeitgeber wird den Kündigungsschutzprozess verlieren.“
Doch was bedeutet „billiges Ermessen“ überhaupt? „Beim Begriff des billigen Ermessens stellt das Gericht üblicherweise auf die Sozialüblichkeit ab“, sagt Schmid. Auch die Umstände des Einzelfalls seien zu berücksichtigen, ebenso wie die Wahrnehmung des Sachverhalts durch objektive Dritte.
Darf der Arzt oder die Ärztin also von einer MFA verlangen, abends die Böden zu putzen, weil die Reinigungskraft ausgefallen ist und es morgens für die Patienten wieder sauber sein soll – oder ist das unbillig? „Es ist ein Quell stetiger Streitigkeiten, wer wann was wo auf welche Weise machen muss“, sagt Schmid. Auch hier komme es auf die soziale Wertung an. „Dauerhaft darf der Arzt die MFA dazu eher nicht verpflichten“, so der Jurist, „in Notfällen, wenn ein Schaden droht, sollte das aber möglich sein.“ Abends Toiletten zu putzen sei dagegen nicht mehr drin. Anders sieht es hingegen aus, wenn ein Patient sich in der Sprechstunde erbricht. Es gehört zu den – zugegebenermaßen unschönen – Aufgaben einer MFA, sich um den Patienten und sein Malheur zu kümmern.
Aufgaben richtig delegieren
Mit Hilfe des Weisungsrechts kann die Praxisinhaberin oder der Praxisinhaber aber auch ärztliche Aufgaben an das nichtärztliche Personal delegieren. Zum Wohle und Schutz der Patienten darf der Arzt aber nicht jede Aufgabe seinen Mitarbeitern überlassen. So ergibt sich aus den gesetzlichen Regelungen zum Behandlungsvertrag, der als Dienstvertrag nach § 613 Satz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs einzuordnen ist, dass der Arzt die Dienstleistung grundsätzlich und im Zweifel persönlich erbringen muss. § 19 Absatz 1 der Musterberufsordnung-Ärzte sieht vor, dass Ärztinnen und Ärzte die Praxis persönlich ausüben müssen. Auch die Zulassungsverordnung für Vertragsärzte besagt: „Der Vertragsarzt hat die vertragsärztliche Tätigkeit persönlich in freier Praxis auszuüben.“
Durch die Rechtsprechung der Gerichte ist anerkannt, dass der Arzt solche Arbeiten an qualifiziertes, nichtärztliches Personal delegieren kann, die nicht dem Arzt eigene Kenntnisse und Kunstfertigkeiten voraussetzen. 2013 hat die Kassenärztliche Bundesvereinigung mit dem GKV-Spitzenverband als Anlage zum Bundesmantelvertrag-Ärzte (BMV-Ä) eine Vereinbarung über die Delegation ärztlicher Leistungen an nichtärztliches Personal in der ambulanten vertragsärztlichen Versorgung geschlossen (Anlage 24 BMV-Ä). Nicht delegierbar sind danach Leistungen, die der Arzt aufgrund der erforderlichen besonderen Fachkenntnisse nur persönlich erbringen kann. Dazu gehören insbesondere:
Aufgaben, die der Arzt nicht an MFA delegieren kann
die Anamnese,
die Indikationsstellung,
die Untersuchung des Patienten einschließlich invasiver diagnostischer Leistungen,
die Diagnosestellung,
die Aufklärung und Beratung des Patienten,
die Entscheidungen über die Therapie,
die Durchführung invasiver Therapien und operativer Eingriffe.
Im Anhang zu Anlage 24 des BMV-Ä ist ein nicht abschließender Katalog von Tätigkeiten enthalten, die der Arzt delegieren darf. Delegationsfähig sind danach unter anderem Blutabnahmen, EKGs und einfachere Messverfahren.
Die einzelnen Aufgaben überträgt der Arzt per Weisung auf seine Mitarbeiter. Er hat dabei aber drei Pflichten.
Die drei Pflichten des Arbeitgebers beim Weisungsrecht
Auswahlpflicht: Er muss sicherstellen, dass das nichtärztliche Personal die erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten zur Erbringung der delegierten Leistung hat.
Anleitungspflicht: Er muss das Personal bei der Erbringung der Leistung anleiten.
Überwachungspflicht: Er muss die nichtärztlichen Mitarbeiter regelmäßig überwachen.
Als Anhaltspunkt für die Intensität dieser Pflichten dient die Qualifikation der Mitarbeiter. Hier gilt die Faustregel: Je besser die Qualifikation, desto geringer die Kontrolle durch den Arzt.
Wenn der Arzt ärztliche Aufgaben an seine Mitarbeiter delegiert, heißt das aber nicht, dass diese schalten und walten können, wie sie wollen. Der Arzt muss zum Schutz des Patienten in der Praxis anwesend sein. Daher ist es nicht zulässig, dass etwa in einer Arztpraxis durch das nichtärztliche Personal Leistungen erbracht werden, wenn der Arzt abwesend ist.
So darf etwa eine MFA morgens um acht nicht eigenständig Grippeschutzimpfungen verabreichen, wenn der Arzt erst um neun in der Praxis erscheint. Auch ein Belastungs-EKG darf nur durchgeführt werden, wenn der Arzt anwesend ist, da es zu Zwischenfällen kommen kann. Eine angeordnete Blutentnahme darf hingegen vor Praxisöffnung erfolgen, wenn der Arzt erreichbar ist und in angemessener Zeit persönlich in der Praxis sein kann.
Weisungsrecht
Der Arbeitgeber kann Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung sowie Ordnung und Verhalten der Arbeitnehmer im Betrieb nach billigem Ermessen bestimmen.