Wirtschaftsnachrichten für Ärzte | ARZT & WIRTSCHAFT
Vertragsrecht

Immer wieder kommt es in Gemeinschaftspraxen vor, dass Kollegen und Kolleginnen aus Altersgründen ausscheiden oder sich beruflich neu orientieren, weil sich Lebensentwürfe ändern. Dann dividiert sich auch die bisherige Berufsausübungsgemeinschaft (BAG) auseinander. Doch was passiert mit dem Vertragsarztsitz? Bleibt er in der Praxis oder nimmt der ausscheidende Kollege ihn mit?

Die Kassenzulassung ist untrennbar mit der Person des Arztes verbunden. Sie ist eine höchstpersönliche Rechtsposition. Im Regelfall nimmt daher ein ausscheidender BAG-Partner seine Kassenzulassung mit. Doch in einer BAG können andere Bedürfnisse bestehen. In Radiologiepraxen etwa, in denen aufgrund der teuren Geräte immense Summen investiert wurden, ist es enorm wichtig, dass eine bestimmte Anzahl an Kassensitzen in der BAG bleibt, um den wirtschaftlichen Erfolg der Praxis sicherzustellen und die Kredite abzubezahlen. Aber auch in internistischen und anderen BAG kann das Bedürfnis bestehen, eine bestimmte Größe und Struktur aufrechtzuerhalten.

Manche Ärzte wollen sich nicht mehr an die Vereinbarung halten

Daher enthalten Gesellschafterverträge in BAG mitunter eine sogenannte Sitzbindungsklausel (s. Kasten unten). Sie verknüpft die Zulassung mit der BAG. Der ausscheidende Kollege nimmt die Vertragsarztzulassung nicht mit, sie bleibt in der Praxis. Diese besetzt die Stelle nach. Beim Eintritt in die BAG stellt das selten ein Problem dar, wohl aber beim Weggang. Denn nicht alle scheidenden Kolleginnen und Kollegen wollen sich an die vertraglich getroffene Vereinbarung halten. Die Gründe dafür sind vielfältig: Streit kann ebenso hineinspielen wie der Wunsch, die Zulassung aus wirtschaftlichen Gründen doch zu behalten. Nicht selten landen diese Fälle vor Gericht. Das muss dann die Frage beantworten, ob die Sitzbindungsklausel im Gesellschafter-vertrag wirksam ist – oft eine knifflige Angelegenheit.

Ein Schlaglicht auf die aktuelle Rechtsprechung zu Sitzbindungsklauseln wirft eine Entscheidung des Landgerichts Kaiserslautern, (25.11.2023, Az. 2 O 712/22). Hier war eine Radiologin 2003 in eine radiologische Gemeinschaftspraxis eingetreten und hatte einen der vier bestehenden Kassenarztsitze übernommen. Der Gesellschaftervertrag sah vor, dass die Gesellschaft bei Ausscheiden eines Gesellschafters von den übrigen fortgeführt wird, dass der Vertragsarztsitz in der Gesellschaft bleibt und dass alle Ärzte beim Zulassungsausschuss die dafür erforderlichen Anträge stellen. 2022 orientierte sich die Ärztin neu. Doch ihrer vertraglichen Verpflichtung kam sie nicht nach. Sie beantragte im Gegenteil, ihren Vertragsarztsitz in das Medizinische Versorgungszentrum mitzunehmen, in dem sie sich anstellen lassen wollte. Die verbleibenden Kollegen klagten.

Im Verfahren auf einstweiligen Rechtsschutz erhielten diese vor dem Landgericht Kaiserslautern recht. Das Gericht gab dem Eilantrag der Gemeinschaftspraxis statt und untersagte der Ärztin einstweilig, die Zulassung mitzunehmen. Es prüfte dabei die Rechtmäßigkeit der Sitzbindungsklausel im Gesellschaftervertrag im Hinblick auf eine eventuelle Sittenwidrigkeit.

Möglichst schonender Ausgleichder Interessen beider Seiten

Bei einem solchen Streit wird immer berücksichtigt, dass zwei Grundrechte miteinander kollidieren: Auf Seiten der Gemeinschaftspraxis ist es das grundgesetzlich geschützte Recht am Erhalt der Gemeinschaftspraxis (Berufsausübungsfreiheit), auf Seiten der ausscheidenden Ärztin ebenfalls das Recht auf freie Berufsausübung. Die Rechtsprechung löst diesen Konflikt durch einen möglichst schonenden Ausgleich der Interessen. Zur Rechtmäßigkeit von Sitzbindungsklauseln gibt es eine umfangreiche Rechtsprechung:

 
  • So darf die verwendete Sitzbindungsklausel nicht auf ein lebenslanges Berufsverbot hinauslaufen. Das ist dann nicht der Fall, wenn sich der ausscheidende Arzt in jedem ungesperrten Planungsbereich niederlassen kann oder wenn er sich in gesperrten Bezirken auf einen Vertragsarztsitz bewerben kann.

  • Zur Frage der Sittenwidrigkeit einer Sitzbindungsklausel zählt auch, ob der ausscheidende BAG-Partner die BAG entscheidend mitprägen konnte. Hier ist die Dauer der Zugehörigkeit zur BAG ein wichtiges Abwägungskriterium. Kurze Zeiträume sprechen gegen eine Prägung. Gerichte haben schon über Zugehörigkeit zu einer BAG von sechs bis 31 Monaten entschieden.

  • Auch die Frage, ob das Ausscheiden eines BAG-Partners freiwillig erfolgte oder erzwungen war, spielt eine Rolle.

  • Gewertet wird auch, ob der ausscheidende BAG-Partner die Zulassung mitgebracht hat oder ob sie sich schon in der Praxis befand.

  • Gerichte blicken auch darauf, ob die Klausel einseitig angelegt ist und einen Gesellschafter benachteiligt oder allen Gesellschaftern bei ihrem Ausscheiden die gleichen Rechte und Pflichten auferlegt.

  • Gerichte bewerten auch die wirtschaftliche Bedeutung der Zulassung für die BAG. So kann die Mitnahme einer Kassenzulassung im Einzelfall die Existenz der Praxis und damit der verbleibenden Ärzte gefährden, wenn diese dann nicht mehr kostendeckend arbeiten kann.

Sitzbindungsklauseln wirksam gestalten

Im Falle der Radiologin wogen für das Gericht die Interessen der Gemeinschafts-praxis schwerer. Die Gemeinschaftspraxis brauche eine finanzielle Planungssicherheit, die sich im vorliegenden Fall insbesondere daraus ergebe, dass es sich um eine Radiologie handelt, in welcher teures medizinisches Gerät zum Einsatz kommt. Auch die 20 Jahre Zugehörigkeit zur Praxis stärkten die Position der ausscheidenden Ärztin nicht. Zwar führe eine kurze Zugehörigkeit oft dazu, dass der ausscheidende Gesellschafter die Zulassung nicht mitnehmen könne. Umgekehrt führe eine lange Zugehörigkeit aber auch nicht zu einem Recht auf Mitnahme. Hier komme es darauf an, ob der Gesellschaftervertrag dem ausscheidenden Gesellschafter einen Ausgleich für seinen Verlust der kassenärztlichen Zulassung gewährt.

Das war hier der Fall, denn der Vertrag sah eine Abfindung und damit eine unmittelbare finanzielle Absicherung der Ärztin vor. Außerdem gestattete es der Gesellschaftervertrag der Ärztin, unmittelbar nach ihrem Ausscheiden aus der Gesellschaft ohne örtliche oder zeitliche Beschränkung eine neue Beschäftigung anzutreten. Sie konnte auch ohne Weiteres eine neue kassenärztliche Zulassung beantragen. Auch ein Wettbewerbsverbot sah der Vertrag nicht vor. Schließlich werteten die Richter zugunsten der bestehenden BAG, dass die ausscheidende Ärztin den Vertragsarztsitz nicht mitgebracht hatte, sondern sich dieser schon in der Praxis befand.

Der Fall zeigt, dass es bei der Frage, ob eine Sitzbindungsklausel in einem Gesellschaftervertrag wirksam ist, immer auf die Umstände des Einzelfalls ankommt. Wer eine BAG gründet oder in eine bestehende Gemeinschaftspraxis eintritt, sollte solche Klauseln unbedingt Profis überlassen, um eine Vereinbarung zu finden, die die Interessen aller angemessen berücksichtigt und am Ende Bestand hat.

Was ist eine Sitzbindungsklausel?

Unter einer Sitzbindungsklausel versteht man eine vertragliche Vereinbarung in einem Gesellschaftervertrag einer Berufsausübungsgemeinschaft (BAG), nach der sich der ausscheidende BAG-Partner verpflichtet, im Zeitpunkt seines Ausscheidens auf seinen Vertragsarztsitz zu verzichten und an der Nachbesetzung mit einem durch die BAG zu benennenden Arzt mitzuwirken. Relevant ist eine Sitzbindungsklausel bei Zulassungsbeschränkungen, weil für diesen Planungsbereich dann keine neuen Vertragsärzte zugelassen werden.