Regress: Sprachbarrieren sind keine Praxisbesonderheit
Ina ReinschMehr erklären, mehr mit Angehörigen telefonieren — das sind häufig die Umstände bei der Behandlung von Patienten mit Migrationshintergrund. Doch rechtfertigt dies die vermehrte Abrechnung der Bereitschaftspauschale in einer BAG? Warum das LSG Schleswig-Holstein Nein gesagt hat.
Behandeln Hausärztinnen und -ärzte viele Menschen mit Migrationshintergrund, die (noch) nicht so gut Deutsch sprechen, ist es fast schon vorprogrammiert, dass Angehörige anrufen, um sich Befunde oder Therapien erklären zu lassen, weil der Patient nicht alles verstanden hat. Doch können Ärzte das extra abrechnen?
Die Telefongespräche sollte der behandelnde Arzt selbst führen
Die Frage stellte sich auch einer Berufsausübungsgemeinschaft, die viele Patienten mit Migrationshintergrund behandelt. Riefen im Nachgang zum Arzttermin Familienangehörige der Patienten an, war die behandelnde Ärztin jedoch nicht selten mit anderen Patienten beschäftigt oder auf Hausbesuch. Der Kollege übernahm dann das Gespräch und rechnete die GOP 01435 EBM-Ä (Haus-/Fachärztliche Bereitschaftspauschale) ab. Die GOP bezieht sich auf die telefonische Beratung des Patienten, vergütet werden kann aber auch ein anderer mittelbarer Arzt-Patienten-Kontakt.
Der Hausarzt erhielt für zwei Quartale einen Regress. Die Prüfungsstelle rügte eine zu häufige Abrechnung der Pauschale als unwirtschaftlich. Eine Praxisbesonderheit aufgrund zahlreicher Patienten mit Migrationshintergrund wollte sie nicht anerkennen. Es sei nicht nachvollziehbar, dass bei hoher Patientenzahl und gleichzeitiger Anwesenheit beider BAG-Partner Telefonate durch den jeweils nicht behandelnden Arzt geführt würden. Die telefonischen Patientenkontakte müsste die behandelnde Ärztin übernehmen.
Der Arzt klagte gegen den Bescheid. Doch das Landessozialgericht Schleswig-Holstein entschied gegen ihn (27.08.2024, Az. L 4 KA 7/22). Bei der Wirtschaftlichkeitsprüfung werden – grob vereinfacht gesagt – die Abrechnungswerte der Ärzte mit denjenigen ihrer Fachgruppe im selben Quartal verglichen. Ergibt die Prüfung ein offensichtliches Missverhältnis, das sich nicht erklären lässt, deutet das auf Unwirtschaftlichkeit hin. Doch können hier nicht Praxisbesonderheiten zum Tragen kommen? Bei der Festlegung und Bewertung von Praxisbesonderheiten besteht ein Beurteilungsspielraum. Sie können dann anerkannt werden, wenn ein spezifischer, vom Durchschnitt der Vergleichsgruppe signifikant abweichender Behandlungsbedarf und dadurch hervorgerufene Mehrkosten nachgewiesen werden. Dabei gilt: Sie müssen bereits gegenüber den Prüfgremien geltend gemacht werden. Erst im Gerichtsverfahren damit zu argumentieren, ist zu spät.
Regress muss sich gegen die BAG richten
Das Gericht konnte jedoch in diesen Punkten keine Fehler der Prüfungsstelle erkennen, der Arzt hatte auch rechtzeitig mit einer Praxisbesonderheit argumentiert. Diese wurde zu Recht nicht anerkannt. Das Gericht ging davon aus, dass sich der Betreuungsaufwand für einen Patienten erhöht, wenn im Anschluss an eine Untersuchung nicht der behandelnde Arzt selbst, sondern der Kollege telefonisch mit den Angehörigen spricht. Diesen Aufwand sah auch das Gericht als unwirtschaftlich an. Einen anderen Fehler konnte das Gericht jedoch finden: Der Regress hätte nicht gegen den einzelnen Arzt verhängt werden dürfen, sondern gegen die Berufsausübungsgemeinschaft.
Wirtschaftlichkeitsprüfung in der BAG
Immer wieder stellt sich die Frage, ob eine arztbezogene Wirtschaftlichkeitsprüfung in einer Berufsausübungsgemeinschaft (BAG) zulässig ist oder die BAG als Leistungserbringer abgerechnet und geprüft werden muss. Das kann einen bedeutenden Unterschied machen. In der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ist geklärt, dass der Adressat des Honorarbescheids im Falle der gemeinschaftlichen Ausübung der ärztlichen Tätigkeit die BAG und nicht der einzelne Arzt ist. Die BAG tritt der Kassenärztlichen Vereinigung wie ein Einzelarzt gegenüber und rechnet ihre Leistungen unter einer Abrechnungsnummer ab. Dementsprechend ist sie rechtlich gesehen eine Praxis. Das gilt umgekehrt auch für einen Regress im Rahmen der Wirtschaftlichkeitsprüfung. Lösen die Abrechnungen oder Verordnungen der BAG Regressansprüche aus, hat dafür die Gemeinschaftspraxis einzustehen. Zugleich haftet aber auch jeder BAG-Partner im Außenverhältnis persönlich. Die BAG-Partner sind persönlich haftende Schuldner für Forderungen gegen die Gemeinschaftspraxis.