Wer Praxisbesonderheiten zu spät nachweist, riskiert Regress
Judith MeisterRecht haben und Recht bekommen ist zweierlei. Das belegt einmal mehr ein sozialgerichtliches Urteil, das im Rahmen einer Wirtschaftlichkeitsprüfung gegen eine Gemeinschaftspraxis erging. Die Ärzte mussten eine Regressforderung zahlen, obwohl sie Gründe für ihren Mehrbedarf hatten. Auf was sie hätten achten sollen.
Allgemeinärzte, die vorwiegend die Bereiche der Palliativmedizin, Geriatrie, Gerontopsychiatrie und Demenz abdecken, haben naturgemäß ein anderes Verschreibungsverhalten als jene mit einer jüngeren Klientel. Im Rahmen einer Wirtschaftlichkeitsprüfung sollten sie aber dennoch alles daransetzen, den Mehrbedarf ihrer Praxis so früh wie möglich nachzuweisen. Das geht aus einer aktuellen Entscheidung des Landessozialgerichts (LSG) Baden-Württemberg (15.11.2023, Az. L 5 KA 3043/21) hervor.
Ärzte mussten einen Regress von 30.000 Euro bezahlen
Im konkreten Fall hatte die Prüfungsstelle bei einer Gemeinschaftspraxis mit dem beschriebenen Behandlungsschwerpunkt ein Überschreiten des Fachgruppendurchschnitts festgestellt. So verordneten die Ärzte im Jahr 2013 Arznei- und Verbandmittel in Höhe von 1.431.339,61 Euro. Das Richtgrößenvolumen lag allerdings bei 1.007.433,19 Euro. Die Ärzte führten im Rahmen des Verfahrens aus, ein integratives Therapieangebot für ihre Patienten aufgebaut zu haben. Nach weiteren Beratungen des Prüfgremiums wurde trotzdem ein Regress von rund 30.000 Euro gegen die Praxis festgesetzt. Hiergegen wehrten sich die Ärzte erfolglos mit einem Widerspruch und einer sozialgerichtlichen Klage. Auch die Berufung vor dem LSG Baden-Württemberg führte nicht zum gewünschten Ergebnis.
Signifikant abweichenden Behandlungsbedarf frühzeitig melden
Die Begründung des Gerichts lässt aufhorchen: Die negativen Konsequenzen für die Praxis gingen nämlich allein darauf zurück, dass die Ärzte die Praxisbesonderheiten nicht früh genug bewiesen hatten. Laut LSG sind nur Praxisbesonderheiten anzuerkennen, wenn ein spezifischer, vom Durchschnitt der Vergleichsgruppe signifikant abweichender Behandlungsbedarf der Patientenklientel und die hierdurch hervorgerufenen Mehrkosten nachgewiesen werden. Dies sei Aufgabe des betroffenen Vertragsarztes. Die bloße Auflistung von Behandlungsfällen mit Diagnosen und Verordnungsdaten genüge dafür nicht. Erforderlich sei vielmehr, dass der Arzt seine Patientenschaft und deren Erkrankungen systematisiert aufzählt und mitteilt, welcher Prozentsatz der Patienten ihnen jeweils zuzuordnen ist und welcher Aufwand durchschnittlich für die Therapie erforderlich ist.
Zwar räumte das LSG zugleich ein, dass an diese Vorgabe keine „überspannten Anforderungen“ gestellt werden dürften. Dennoch bleibe es Aufgabe des Arztes, Praxisbesonderheiten so früh wie möglich darzulegen und sie mittels umfassender statistischer Datenauswertungen zu belegen. So verständlich es also ist, dass niedergelassene Ärztinnen und Ärzte den extrem aufwendigen Prozess neben der normalen Arbeit in der Praxis vermeiden wollen – um ungerechtfertigte Regressforderungen abzuwenden, ist die Extra-Arbeit leider unabwendbar. Damit bestätigte das LSG auch eine frühere Entscheidung des Landessozialgerichts Hamburg, das einen Orthopäden aus ähnlichen Gründen zu einem Regress verurteilt hatte.
Richtige Darlegung der Praxisbesonderheit
Die Betreuung von Palliativ- und Pflegeheimpatienten kann eine Praxisbesonderheit darstellen und eine Wirtschaftlichkeitsprüfung zugunsten des Arztes beeinflussen. Damit die Prüfgremien den erhöhten Behandlungsbedarf anerkennen, müssen Ärztinnen und Ärzte ihn aber frühzeitig nachweisen und nicht erst im Sozialgerichtsverfahren. Um negative Konsequenzen zu vermeiden, lohnt es sich, einen spezialisierten Datenauswerter hinzuzuziehen, der mithilfe der Praxissoftware eine Analyse der Vorgänge erstellen kann.