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Recht

In den meisten Fällen ist es ein Grund zur Freude, wenn der Chef einfach das Monatsgehalt erhöht. Einer Arbeitnehmerin aus Baden-Württemberg kam diese Entscheidung ihres Chefs jedoch alles andere als gelegen. Denn den Aufschlag auf ihr monatliches Salär erhielt sie nur deshalb, weil der Arbeitgeber ihr im Gegenzug das Weihnachts- und Urlaubsgeld strich. Statt der Einmalzahlungen, die normalerweise im Juni und im November flossen, zahlte der Arbeitgeber ihr zwar nun anteilig jeden Monat mehr. Davon hatte die Frau allerdings wenig, da das Plus von ihrem Chef nun dazu verwendet wurde, den gesetzlichen Mindestlohn zu erreichen.

Streit um Anrechnung von Vergütungsbestandteilen auf den Mindestlohnanspruch

Die Frau wollte das nicht hinnehmen und klagte, um die aus ihrer Sicht rückständigen Sonderzahlungen doch noch zu erhalten. Zunächst hatte sie damit keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht Pforzheim wies die Klage ab (Urteil vom 11.05.2022 Az. 2 Ca 93/22). Vor dem Landesarbeitsgericht (LAG) Baden-Württemberg allerdings wendete sich das Blatt. Hier argumentierten die Richter, dass sich der Arbeitgeber angesichts der stillschweigend getroffenen Fälligkeitsvereinbarung zwischen ihm und seiner Mitarbeiterin nicht auf § 271 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) berufen kann. Diese Regel erlaubt es dem Schuldner einer Leistung zwar auch schon eher zu zahlen. Hätte die Regel gegriffen, hätte der Arbeitgeber daher das Urlaubs- und Weihnachtsgeld anteilig jeweils früher zahlen dürfen.

Bundesarbeitsgericht muss über vorgezogene Gratifikationen entscheiden

Das letzte Wort in der Sache ist jedoch noch nicht gesprochen. Das LAG ließ die Revision zum Bundesarbeitsgericht zu. Nun müssen die Erfurter Richter entscheiden, ob die vorgezogenen Gratifikationen erlaubt sind oder nicht. Die Entscheidung dürfte von Arbeitgebern mit Spannung erwartet werden. Denn ganz generell erlaubt das BAG es durchaus, den Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn von derzeit 12,41 Euro brutto pro Stunde auch anders als durch laufende Lohn- und Gehaltszahlungen zu erfüllen. 

Entsprechend werden auch Sonderzahlungen wie Urlaubsgeld oder ein 13. Monatsgehalt berücksichtigt. Gleiches gilt für Schichtzulagen und Prämien (Urteil vom 25.05.2016, Az. 5 AZR 135/16; Urteil vom 21.12.2016, Az. 5 AZR 374/16). 

Nachtarbeitszuschläge dürfen nicht auf gesetzlichen Mindestlohn angerechnet werden

Nicht auf den gesetzlichen Mindestlohn anrechnen dürfen ärztliche Arbeitgeber hingegen Nachtarbeitszuschläge. Das begründet das BAG damit, dass diese nach den Vorgaben des § 6 Arbeitszeitgesetz gesetzlich geschuldet sind und sich daraus eine gesetzliche Zweckbestimmung ergibt. 

Keine einheitliche Linie gibt es hingegen bei der Frage, ob sich auch Sachbezüge – wie etwa ein Jobticket – auf den gesetzlichen Mindestlohn anrechnen lassen. Zum Teil verneinen Gerichte dies, weil der gesetzliche Mindestlohn in Geld zu zahlen sei. Da der Wortlaut des § 1 des Mindestlohngesetzes eine solche Vorgabe aber nicht enthält, sind auch andere Entscheidungen denkbar.

Wann ist die Anrechnung auf den Mindestlohn erlaubt?

Die Anrechnung von Vergütungsbestandteilen auf den Mindestlohnanspruch ist ein moderner Klassiker vor den Arbeitsgerichten. Auch wenn es noch nicht in allen Fragen eine einheitliche Linie gibt, hat die Rechtsprechung inzwischen doch einige Orientierungspunkte für Arbeitgeber herausgearbeitet. Damit die Anrechnung erlaubt ist, muss die Entgeltzahlung im Rahmen des arbeitsvertraglichen Austauschverhältnisses erfolgen. Ausgeschlossen ist die Anrechnung hingegen, wenn die Zahlung auf einer besonderen gesetzlichen Zweckbestimmung beruht (etwa bei der Nachtarbeit). Gleiches gilt, wenn der Arbeitgeber Geld unabhängig von der tatsächlichen Arbeitsleistung des Arbeitnehmers oder der Arbeitnehmerin überweist.