Miete für Praxisräume in der Pandemie herabsetzen – geht das?
Ina ReinschAusbleibende Patienten, noch immer keine Rückzahlung von Mitarbeitergehältern nach dem Infektionsschutzgesetz – und dann drückt die Mietzahlung für die teuren Praxisräume. Kann man da die Miete herabsetzen? Eine Änderung im Gewerbemietrecht verspricht Hilfe. Warum ihr tatsächlicher Nutzen jedoch fraglich ist.
In der Corona-Pandemie haben einige Arztpraxen mit sinkenden Patientenzahlen und erheblichen Umsatzeinbußen zu kämpfen. So ging es auch einem Radiologen in München. Seine große Praxis war zwar von der Allgemeinverfügung der Staatsregierung nicht betroffen, weil Arztpraxen geöffnet bleiben durften. Doch die Patienten blieben weg, er musste die Öffnungszeiten reduzieren. Bis Ende Juli 2020 soll so ein Umsatzverlust von mehr als einer Million Euro aufgelaufen sein, berichtete die Süddeutsche Zeitung. Seit April zahlte er für seine Praxisräume deshalb keine Miete mehr. Der Vermieter klagte, es ging um rund 180.000 Euro. Der Radiologe argumentierte mit einer Störung der Vertragsgrundlage. Die Arztpraxis hätte die Verträge so nicht abgeschlossen, wenn sie gewusst hätte, dass es zu einer globalen Pandemie kommen würde. Der Vermieter drohte derweil mit einer fristlosen Kündigung, was den säumigen Mieter dann doch zur Zahlung der noch ausstehenden Miete bewog. Nun soll er auf Rückzahlung klagen wollen.
Was tun, wenn die finanzielle Not groß ist?
Die Gerichte sind derzeit mit einigen solcher Fälle beschäftigt. In der Regel sind es Gastronomen oder Ladenbesitzer, die sich mit ihren Vermietern anlegen. In den meisten Fällen liegt der jeweiligen Schließung eine Allgemeinverfügung zugrunde: Eine Rechtsverordnung auf Landesebene untersagt coronabedingt den Betrieb des Geschäfts oder der Gaststätte. Juristisch bieten sich hier zwei Ansatzpunkte an: Zum einen die Argumentation mit einem Mietmangel, zum anderen die Argumentation über eine Störung der Geschäftsgrundlage. Sie ist in § 313 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) geregelt und kann bei einer gravierenden Änderung der Umstände nach Vertragsschluss zur Folge haben, dass der Vertrag angepasst werden kann, wenn ein Festhalten am Vertrag für eine der beiden Parteien im Einzelfall nicht zumutbar ist. Die Urteile der Gerichte fallen unterschiedlich aus.
So teilte im März 2020 ein großes Möbelhaus in München nach der pandemiebedingten Schließung seinem Vermieter mit, dass es keine Miete mehr zahlen werde – rund 76.000 Euro pro Monat. Der Vermieter klagte. Die Inhaber des Möbelhauses sahen jedoch in der behördlichen Untersagung der Nutzung einen Mietmangel. Das Landgericht München I gab dem Mieter teilweise recht und erkannte eine Mietminderung an, für die Monate März bis Juni 2020, gestaffelt zwischen 80 und 15 Prozent (22.09.2020, Az. 3 O4495/20).
Die meisten Gerichte haben die Pflicht zur Zahlung der Miete für Einzelhandelsflächen während des ersten Lockdowns dagegen aufrechterhalten und lehnen Mietminderungen ab, weil der Mieter das sogenannte Verwendungsrisiko trage. So etwa das Landgericht Stuttgart (19.11.2020, Az. 11 O 215/20) und das Landgericht Frankfurt am Main (02.10.2020, 2-15 O 23/20). Eine aktuelle höchstrichterliche Entscheidung zu dieser Frage existiert aber noch nicht.
Kein gesetzliches Minderungsrecht
Artikel 240 § 7 Abs. 1 EGBGB
(1) Sind vermietete Grundstücke oder vermietete Räume, die keine Wohnräume sind, infolge staatlicher Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie für den Betrieb des Mieters nicht oder nur mit erheblicher Einschränkung verwendbar, so wird vermutet, dass sich insofern ein Umstand im Sinne des § 313 Absatz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs, der zur Grundlage des Mietvertrags geworden ist, nach Vertragsschluss schwerwiegend verändert hat.
Klar ist, dass steigende Infektionszahlen zu einer stark eingeschränkten Nutzung von gewerblich genutzten Immobilien führen – sei es, weil sie gar nicht öffnen dürfen; sei es, weil wie im Falle einiger Arztpraxen die Patienten wegbleiben. Mitte Dezember 2020 hat der Gesetzgeber auf die Nöte der Mieter reagiert. Er versucht nun durch eine am 1. Januar 2021 in Kraft getretene Änderung im Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch (EGBGB) gegenzusteuern. Danach sollen Mieter vom Vermieter nun eine Anpassung der Miete an die Umstände der COVID-19-Pandemie wegen Störung der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) verlangen können, wenn die wirtschaftlichen Folgen für Mieter unzumutbar sind (siehe Kasten rechts).
Damit steht zwar nun fest, dass die Corona-Pandemie eine Störung der Geschäftsgrundlage darstellen kann. Offen bleibt aber, welche konkreten Rechtsfolgen sich daraus ergeben. Ob und in welcher Höhe der Mieter eine Anpassung des Mietvertrages in Form einer Minderung, einer Stundung oder einer anderweitigen Regelung verlangen kann, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab, also davon, ob Mieter oder Vermieter ein Festhalten am Mietvertrag unter unveränderten Umständen zugemutet werden kann. Unzumutbarkeit ist wohl nur bei einer Existenzgefährdung oder in vergleichbaren Fällen anzunehmen. Vorübergehende Umsatzeinbußen allein dürften nicht ausreichen. Es kommt dabei an auf:
- die konkrete wirtschaftliche Situation,
- den Umfang der erlittenen Umsatzeinbußen und
- die Höhe und den Zeitpunkt staatlicher Hilfen, wenn dadurch Umsatzeinbußen gemildert werden.
Schaufensterpolitik oder wirkliche Verbesserung?
Fraglich ist damit auch, ob die Gesetzesänderung tatsächlich zu einer Verbesserung der Position der Gewerbemieter in der Corona-Pandemie beitragen wird. Zwar wird immer wieder betont, dass die Änderung zu einer verbesserten Verhandlungsposition des Mieters führt und die Neuregelung an die Verhandlungsbereitschaft der Parteien appelliert. Doch der Mieter muss beweisen, dass die Parteien bei vorheriger Kenntnis des Sachverhalts eine abweichende Regelung getroffen hätten und dass das Festhalten am Vertrag unzumutbar ist. Die Hürden sind also sehr hoch (siehe Interview).
Die letztendliche Entscheidung in Streitfällen bleibt weiterhin den Gerichten überlassen, konkrete Vorgaben für Mieter und Vermieter gibt es nicht. In der Praxis bedeutet die Neuregelung daher keine greifbare Entlastung für Gewerbemieter in der Pandemie. Vor eigenmächtigen Mietkürzungen muss weiter gewarnt werden.
Drei Fragen an Beate Heilman
Beate Heilman, Rechtsanwältin in der Kanzlei Heilmann Geyer Kühnlein in Berlin und Expertin für gewerbliches Mietrecht, beantwortet die wichtigsten Fragen zum Thema.
1. Was bedeutet die Gesetzesänderung im gewerblichen Mietrecht für Gewerbemieter im Allgemeinen?
Die Änderung ist nicht besonders gut ausgestaltet worden, für den Mieter bedeutet sie eher Steine statt Brot. Ihm steht unter Umständen das Wasser bis zum Hals, er braucht dringend Klarheit, was er von seinem Vermieter verlangen kann. Das ist nicht gelungen. Der Mieter hat keinen gesicherten Anspruch auf eine Absenkung der Miete. Das neue Recht vermutet zugunsten des Mieters lediglich, dass die Corona-Pandemie einen Wegfall der Geschäftsgrundlage darstellen könnte. Damit ist aber nichts über den Umfang des Anpassungsanspruchs gesagt.
Der Mieter muss weiter nachweisen, dass die Parteien bei Kenntnis der Umstände den Vertrag nicht oder mit anderem Inhalt geschlossen hätten und ihm das Festhalten am unveränderten Vertrag unzumutbar ist. Die Unzumutbarkeit hat nach der bisherigen Rechtsprechung sehr hohe Voraussetzungen. Sie wird nur bei Existenzgefährdung oder vergleichbaren Fällen angenommen. Es kommt auf die konkrete wirtschaftliche Situation und den Umfang der erlittenen Umsatzeinbußen an. Vorübergehende Umsatzeinbußen waren hier bislang nicht ausreichend. Eventuell erhaltene staatliche Hilfen muss sich der Mieter anrechnen lassen.
2. Wie sieht es nun konkret für Arztpraxen aus? Die Praxen haben ja in der Regel nicht geschlossen, sondern möglicherweise nur mehr oder minder große Umsatzeinbrüche, weil die Patienten wegbleiben.
Einer öffentlich angeordneten Nutzungsbeschränkung wie bei Geschäften bedarf es wohl nicht. Ich denke, es wird ausreichen, dass die Praxen von den allgemeinen Maßnahmen, die der Staat zur Pandemiebekämpfung getroffen hat, betroffen sind. Die Frage ist aber, ob eine erhebliche Einschränkung vorliegt. Ist eine Arztpraxis dagegen selbst von einer Quarantäneanordnung betroffen, bestehen Ansprüche aus dem Infektionsschutzgesetz, die der Praxisinhaber sich wohl anrechnen lassen muss. Die Aussichten für Praxisinhaber, aufgrund der neuen Vorschrift ihre Miete für die Praxisräume absenken zu können, halte ich nicht für besonders hoch. Da aber auf die konkreten Umstände des Einzelfalls abgestellt wird, kann es in Extremfällen schon zu einer Herabsetzung kommen. Der Mieter trägt aber die volle Darlegungs- und Beweislast.
3. Was ist Gewerbemietern derzeit zu raten?
Das Risiko, durch eine eigenmächtige Mietkürzung Probleme zu bekommen, ist relativ hoch. Denn der Gewerbemieter kann relativ schnell in den Kündigungstatbestand rutschen. Das ist vielleicht bei zehn Prozent Mietkürzung noch nicht der Fall, geht aber bei 30 oder 40 Prozent schnell. Wenn der Vermieter die Praxisräume kündigt, ist der Standort weg. Das ist für eine Arztpraxis nicht empfehlenswert. Der Mieter kann aber die Miete unter Vorbehalt zahlen und den Versuch, eine Anpassung der Geschäftsgrundlage zu erreichen, parallel betreiben. Außerdem sollte er sehr sorgfältig alle Zahlen zusammenstellen. Er muss seine Vermögensverhältnisse offenbaren.