Wirtschaftsnachrichten für Ärzte | ARZT & WIRTSCHAFT
Recht

Niedergelassene Vertragsärzte müssen am Bereitschaftsdienst teilnehmen. Das ergibt sich aus dem Sicherstellungsauftrag der Kassenärztlichen Vereinigungen (KV). Die Zulassung als Vertragsarzt verpflichtet dazu, an der Sicherung der ärztlichen Versorgung der Bevölkerung mitzuwirken, auch in den sprechstundenfreien Zeiten. Geregelt ist das Ganze in den Heilberufsgesetzen der Länder. Die Details schreiben die Berufsordnungen der Ärztekammern sowie die kassenärztlichen Notdienstordnungen vor. Der Bereitschaftsdienst betrifft grundsätzlich Ärztinnen und Ärzte aller Fachrichtungen, selbst Pathologen sind zur Teilnahme am Bereitschaftsdienst verpflichtet.

Für viele Niedergelassene stellt der Bereitschaftsdienst eine eher lästige Pflicht dar. Befreiungsgründe gibt es kaum. So müssen sich alleinerziehende Ärztinnen und Ärzte mit der Organisation der Kinderbetreuung in den Bereitschaftszeiten am Abend oder Wochenende auseinandersetzen und ältere Kolleginnen und Kollegen mit abnehmenden Ressourcen. Auch in unterversorgten Gebieten müssen Ärzte häufiger Dienste übernehmen.

Doch der Bereitschaftsdienst wird keineswegs von allen Ärzten als Last empfunden. Manche übernehmen ihn gern, etwa Ärzte im Ruhestand oder Privatärzte. Doch Abweichungen vom gängigen Fall – Kassenarzt übernimmt Bereitschaftsdienst – sind mit rechtlichen Problemen behaftet. Drei Problemkreise sind besonders aktuell:

1. Sind Poolärzte sozialversicherungspflichtig?

Es gibt Ärztinnen und Ärzte, die freiwillig am Bereitschaftsdienst teilnehmen, obwohl sie nicht dazu verpflichtet sind, zum Beispiel Ruheständler, Privatärzte soweit keine Verpflichtung besteht oder Klinikärzte. Diese sogenannten Poolärzte schließen dazu eine Vereinbarung mit der jeweils zuständigen KV. Über die Frage, ob sie der Sozialversicherungspflicht unterliegen, schwelt seit Längerem Streit.

In einem soeben ergangenen Urteil hat das Bundessozialgericht (BSG) diese Rechtsauffassung im Falle eines Poolzahnarztes aus Baden-Württemberg bejaht (24.10.2023, Az. B 12 R 9/21 R). Danach soll die Sozialversicherungspflicht jedenfalls dann gelten, wenn der Arzt Räume, Geräte und Personal der KV beziehungsweise Kassenzahnärztlichen Vereinigung nutzt und nach Stunden bezahlt wird. Das Gericht betonte aber, dass es dabei auf die individuellen Umstände des Einzelfalls ankomme. Die schriftliche Urteilsbegründung liegt noch nicht vor. Daher muss abgewartet werden, welche konkreten Auswirkungen das Urteil auf die Poolärzte in den einzelnen KVen hat. In Baden-Württemberg wurde die Tätigkeit der Poolärzte bereits mit sofortiger Wirkung beendet. Sollte sich diese Rechtsauffassung des BSG verallgemeinern lassen, wären weitere gravierende Änderungen zu befürchten. Die zentralen Notfallpraxen müssten Poolärzte und gegebenenfalls auch deren Mitarbeitende anstellen, damit sie nicht als scheinselbstständig gelten – eine finanzielle Herausforderung, die schwer zu stemmen wäre. Hinzu käme die Beachtung sämtlicher arbeitsrechtlicher Regelungen für Arbeitnehmer.

Notfallversorgung könnte zusammenbrechen

Das würde zur Schließung von Notfallpraxen aus Kostengründen und zu einer deutlichen Verschlechterung der Notfallstrukturen führen. Poolärzte könnten dann nur dezentral in ihren eigenen Praxen Notdienste verrichten. Gleichzeitig stünden weniger Poolärzte zur Verfügung.
Nun ist der Gesetzgeber gefragt: Er müsste regeln, dass Poolärzte im ärztlichen Bereitschaftsdienst von der Sozialversicherungspflicht befreit sind, so wie das auch für Notärzte der Fall ist. Bislang fehlt es an einer solchen gesetzlichen Regelung. Der Bundesrat hatte sich im Mai 2023 für eine solche Ausnahme ausgesprochen. Die Bundesregierung hatte diese Forderung bislang abgelehnt.

2. Müssen Vertreter Umsatzsteuer zahlen?

Ein weiterer juristischer Knackpunkt ist die Umsatzsteuerpflicht für Vertreter: Übernimmt ein Arzt vertretungsweise den Notdienst für einen Kollegen, muss er für den Stundenlohn, den er von dem vertretenen Kollegen erhält, Umsatzsteuer zahlen. Das hat aktuell das Finanzgericht Münster entschieden (09.05.2023, Az. 15 K 1953/20 U). In dem Fall hatte ein selbstständiger Allgemeinmediziner ohne eigene Praxis von 2012 bis 2016 auf der Grundlage einer mit der KV Westfalen-Lippe geschlossenen Vereinbarung als Vertreter für andere Ärzte hausärztliche ambulante Notfalldienste übernommen. Die während der Notdienste anfallenden Honorare rechnete er direkt mit der KV beziehungsweise der jeweiligen Privatkasse ab. Diese sind nach § 4 Nr. 14 Buchst. a) Satz 1 des Umsatzsteuergesetzes umsatzsteuerfrei. Zusätzlich stellte er den vertretenen Ärzten einen Stundenlohn zwischen 20 und 40 Euro in Rechnung.

Diesen Stundenlohn, argumentierte das Finanzgericht, zahlten die Kollegen aber nicht für Heilbehandlungen, sondern dafür, dass der Vertreter die Verpflichtungen im Notdienst übernahm. Die „Vertretungsleistung“ sei daher getrennt von den Behandlungen zu sehen und könne den steuerfreien Heilbehandlungen auch nicht zugerechnet werden, da sie nicht Therapiezwecken diene. Sie sind damit umsatzsteuerpflichtig. Das ist juristisch nachvollziehbar, erhöht aber nicht gerade die Bereitschaft, Kollegen zu vertreten.

3. Dürfen Privatärzte zum ärztlichen Bereitschaftsdienst verpflichtet werden?

Eine weitere offene Flanke betrifft die Frage, ob Privatärzte am Bereitschaftsdienst der Kassenärztlichen Vereinigung beteiligt werden dürfen. Bereits 2022 hatte das Landessozialgericht (LSG) Hessen in einem Eilverfahren entschieden: eher Nein. Denn es fehle an einer gesetzlichen Grundlage. Im Hauptsacheverfahren kam das Gericht 2023 zu demselben Ergebnis (25.01.2023, Az. L 4 KA 17/22).

Der Streit zwischen Privatärzten und den KVen schwelt schon lange. Denn die Privatärzte sind nicht Teil des vertragsärztlichen Systems und profitieren auch nicht von ihm. Warum sollen sie dann Dienste für die KV übernehmen? Die meisten Privatärztinnen und Privatärzte hatten sich jedoch in das scheinbar Unausweichliche gefügt. Im konkreten Fall aus Hessen regelt das Hessische Heilberufsgesetz, dass die Kammerangehörigen, die ihren Beruf ausüben und in eigener Praxis tätig sind, am ärztlichen Bereitschaftsdienst der KV Hessen teilnehmen und sich an den Kosten beteiligen müssen.

Das Heilberufsgesetz verweist auf die Berufsordnung. Diese sagt ebenfalls, dass niedergelassene Ärztinnen und Ärzte verpflichtet sind, am Bereitschaftsdienst teilzunehmen. Darauf nimmt dann die hessische Bereitschaftsdienstordnung Bezug, die besagt, dass am Bereitschaftsdienst grundsätzlich die niedergelassenen Ärzte am Ort ihres Praxissitzes teilnehmen müssen. Widersprüche und Klagen von Privatärztinnen und -ärzten, die sich in der Vergangenheit dagegen gewehrt hatten, waren bislang vergeblich.

KVen dürfen nicht über Privatärzte bestimmen

In dem nun vom LSG Hessen in der Hauptsache entschiedenen Fall hatte sich ein Privatarzt gegen die Mitfinanzierung gewehrt. Das Gericht entschied, dass die KV nur die Rechte und Pflichten des Bereitschaftsdienstes der Vertragsärzte festlegen könne. Sie könne über das Satzungsrecht, also die Berufsordnung, nicht die Privatärzte mit einbeziehen, da es hierfür keine Rechtsgrundlage gebe.

Eine allein von der KV ohne Beteiligung der Landesärztekammer erlassene Bereitschaftsdienstordnung könne Privatärzte nicht verpflichten. Hierzu bräuchte es eine Regelung im Bundesrecht, also im Fünften Buch des Sozialgesetzbuchs. Das Bundesrecht treffe derzeit aber eine abschließende Regelung, die nur die Kassenärzte verpflichte. Für abweichende Regelungen nach dem Landesrecht wie hier nach dem Heilberufsgesetz, das auch die Privatärzte mit einbezieht, sei kein Raum.

Nicht in allen Bundesländern ist der Bereitschaftsdienst so ausgestaltet wie in Hessen. In Rheinland-Pfalz beispielsweise nehmen nur die Ärzte am Bereitschaftsdienst teil, die einen Kassensitz haben oder ermächtigt sind. In Nordrhein-Westfalen und Bayern wiederum müssen auch Privatärzte teilnehmen.

Für Hessen bedeutet das Urteil nun, dass die Privatärzte – zumindest zwischenzeitlich – aus dem Bereitschaftsdienst herausgenommen werden müssen. Kassenärzte müssen mehr Dienste leisten. Zudem fällt ein Teil der Finanzierung weg. Gegen das Urteil des Landessozialgerichts Hessen hat die KV inzwischen Revision am Bundessozialgericht (BSG) in Kassel eingelegt (Az. B 6 KA 4/23 R). Sollte sich das BSG der Rechtsauffassung des Landessozial­gerichts anschließen, könnte der verpflichtende Bereitschaftsdienst für Privatärzte in ganz Deutschland fallen.

Politik muss Regelungen treffen

Die gegenwärtigen Rechtsprobleme machen den Bereitschaftsdienst für Kolleginnen und Kollegen, die freiwillig an ihm teilnehmen, ihre vertragsärztlichen Kollegen entlasten und damit einen wichtigen Beitrag zur flächendeckenden Aufrechterhaltung des ärztlichen Bereitschaftsdienstes leisten, nicht gerade attraktiver. Sollten sich mehr und mehr Ruheständler und Privatärzte aus dem Bereitschaftsdienst verabschieden, dürfte er in der bisherigen Form nicht mehr aufrechterhalten werden können. Hier ist nun die Politik gefragt: Will sie die Versorgungsstrukturen bewahren, muss sie entsprechende gesetzliche Regelungen verabschieden und sogar Anreize setzen, damit mehr Ärzte am Bereitschaftsdienst teilnehmen.

Grafik Bereitschaftsdienst

Ärztlicher Bereitschaftsdienst entlastet Notaufnahmen
Immer mehr Patientinnen und Patienten in Deutschland nehmen die ambulante Notfallversorgung in Anspruch. Das geht aus einer aktuellen Auswertung der vertragsärztlichen Abrechnungsdaten für den Zeitraum Januar 2021 bis Dezember 2022 des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung (Zi) hervor. Dabei ist der Zuwachs im ärztlichen Bereitschaftsdienst deutlicher ausgeprägt als in den Notaufnahmen der Krankenhäuser. Insgesamt war 2022 im Bereitschaftsdienst ein Zuwachs von 1.258.573 Fällen (+ 22 %) gegenüber dem Jahr 2021 zu verzeichnen. Im gleichen Zeitraum ist die Anzahl der ambulanten Notfälle in den Notaufnahmen lediglich um 972.382 Fälle angestiegen (+ 11 %). Allein im Spitzenmonat Dezember 2022 haben die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte fast 830.000 Notfälle ambulant versorgt. Niedergelassene Ärztinnen und Ärzte sowie deren Praxisteams entlasten mit dem Bereitschaftsdienst die Notaufnahmen der Kliniken. Dies sei auch das Ergebnis verstärkter Initiativen der Kassenärztlichen Vereinigungen, sagt Zi-Vorstandsvorsitzender Dr. Dominik von Stillfried. Zu nennen seien hier insbesondere die Einrichtung von Portal- und Bereitschaftspraxen, der flächige Ausbau des fahrenden Dienstes sowie die Aktivierung der Bereitschaftsdienstnummer 116117.