Fahreignungsmängel in der Praxis – Wer darf noch hinters Steuer?
Ina ReinschFast täglich müssen Ärztinnen und Ärzte die Fahrtüchtigkeit von Patienten beurteilen – die Unsicherheiten sind dabei auf beiden Seiten groß. Welche rechtlichen Grundlagen Ärzte beachten müssen und welche Patientengruppen besondere Aufmerksamkeit erfordern, erfahren Sie im folgenden Beitrag.
Wann darf der Arzt an der Fahrtüchtigkeit zweifeln?
Zweifel an der Fahrtüchtigkeit können sich etwa bei älteren Patienten aus dem Nachlassen der körperlichen und geistigen Fähigkeiten ergeben. Aber auch die Medikation oder eine vorangegangene Sedierung können die Fahrtüchtigkeit von Patienten beeinflussen. Auch Suchterkrankungen wie Cannabiskonsum oder Alkohol müssen Ärzte bei der Beurteilung der Fahrtüchtigkeit im Blick behalten. Nicht zuletzt kann die Fähigkeit, Auto zu fahren, bei bestimmten Krankheiten eingeschränkt sein.
Immer wieder fragen sich Ärztinnen und Ärzte dabei: Wie weit geht meine Verantwortung? Soll ich ein ärztliches Fahrverbot aussprechen? Muss ich den Patienten der Führerscheinbehörde melden, wenn er sich einfach nicht daran hält? Und darf ich das überhaupt? Hafte ich am Ende gar mit, wenn etwas passiert?
Welche Ärzte dürfen die Fahrtüchtigkeit einer Person beurteilen?
Die Beurteilung der Fahrtüchtigkeit ist nicht nur Aufgabe von Verkehrs- oder Arbeitsmedizinern, Rechtsmedizinern oder Begutachtungsstellen, sondern reicht weit in die Praxis eines jeden niedergelassenen Arztes hinein, sei er Hausarzt, Internist, Allgemeinmediziner, Gynäkologe, Urologe oder Orthopäde.
Doch viele Mediziner fühlen sich im Praxisalltag verunsichert, was den Umfang ihrer Aufklärungspflichten, die Dokumentation und Rechtsfragen sowie die Kommunikation mit dem Patienten anbelangt. Denn auf dem Spiel steht nicht weniger als das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patienten. Doch auch aufseiten der Patienten herrscht Unsicherheit. Sie haben Angst, das Thema anzuschneiden, weil sie ein „Fahrverbot“ und damit die Einschränkung ihrer Mobilität fürchten.
Wie beurteilen Ärzte die Fahreignung und Fahrtüchtigkeit?
Grundsätzlich richtet sich die Beurteilung der Fahreignung nach der Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV) und ihren Anlagen. Zusätzlich gibt es die Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung der Bundesanstalt für Straßenwesen, die Ärztinnen und Ärzte kennen sollten (Download zum Beispiel unter www.bast.de). Bei der Beurteilung der Auswirkung von Krankheiten oder Defiziten auf die Fahreignung werden zwei Gruppen von Fahrerlaubnisklassen unterschieden:
- Gruppe 1: Führer von Fahrzeugen der Klassen A, A1, B, BE, M, S, L und T. Das sind in der Regel die Privatkraftfahrer.
- Gruppe 2: Führer von Fahrzeugen der Klassen C, C1, CE, C1E, D, D1, DE, D1E und der Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung. Das sind in der Regel die Berufskraftfahrer.
Im Weiteren soll es hier um die Privatkraftfahrer in der ärztlichen Praxis gehen.
Was bedeutet Fahreignung aus ärztlicher Sicht?
Unter dem Begriff der Fahreignung wird ein zeitlich längerfristiger Zustand verstanden, der stationsunabhängig ist. Er beschreibt die geistige, körperliche und charakterliche Eignung, ein Fahrzeug zu führen. Die Fahreignung kann beispielsweise fehlen, bei Verlust der Sehkraft. Die Fahrfähigkeit oder -tüchtigkeit zielt dagegen auf einen konkreten und zeitlich beschränkten Zustand ab. Beispiel für eine nicht gegebene Fahrfähigkeit oder -tüchtigkeit wäre eine akute Alkoholisierung.
Was ist der Unterschied zwischen Fahreignung und Fahrbefähigung?
Mit der Fahreignung und der Fahrfähigkeit- oder -tüchtigkeit seiner Patienten ist der Arzt befasst. Daneben gibt es noch die Fahrbefähigung. Unter ihr versteht man die in der Fahrschule erworbene Fähigkeit zum Lenken eines Fahrzeugs, die mit dem Führerschein bestätigt wird. Alle Begriffe zusammen beschreiben die Fahrkompetenz oder die Verkehrstüchtigkeit. In der Praxis werden die Begriffe allerdings häufig nicht so klar voneinander abgegrenzt.
Fingerspitzengefühl bei älteren Patienten
Bei älteren Patienten treten häufig Erkrankungen auf, die verkehrsrelevant sein können, durch Multimorbidität verstärkt sich dieses Problem noch. Der Arzt befindet sich dabei häufig in einem Spannungsfeld zwischen dem Interesse seiner älteren Patienten am Erhalt ihrer Mobilität sowie der Eigen- und Fremdgefährdung durch den Patienten. Im Gegensatz zu vielen anderen Ländern gibt es in Deutschland keine Überprüfung der Fahrtauglichkeit allein aufgrund des Alters.
Wie oft sind Senioren an Verkehrsunfällen beteiligt?
Gemessen an ihrem Bevölkerungsanteil von rund 20 Prozent sind Senioren unterproportional selten an Verkehrsunfällen beteiligt, auch wenn oft das Gegenteil behauptet wird. Wenn sie beteiligt sind, dann jedoch schwerwiegender. Häufig tragen sie die Hauptschuld an einem Unfall.
Warum haben ältere Menschen Probleme beim Autofahren?
Mit zunehmendem Alter kommt es zu einer generellen Abnahme der körperlichen und geistigen Fähigkeiten. Die Reaktionsfähigkeit lässt nach. Oft werden Geschwindigkeiten oder Entfernungen falsch eingeschätzt. Seh- und Hörvermögen sowie Beweglichkeit sind oft beeinträchtigt. Die individuellen Unterschiede sind jedoch groß. Und Einschränkungen kompensieren ältere Fahrer häufig durch eine Anpassung ihrer Fahrweise. Sie fahren etwa nicht mehr bei Dunkelheit oder bei hohem Verkehrsaufkommen in der Großstadt.
Im Hinblick auf die Fahrtüchtigkeit werden bei älteren Patienten für den behandelnden Arzt besonders beginnende Demenzerkrankungen sowie die Hypertonie relevant. Andererseits wird durch eine entsprechende medikamentöse Therapie häufig die Fahrtauglichkeit erst wieder ermöglicht. Ziel eines Patientengesprächs sollte daher nicht primär sein, den Führerschein abzugeben, sondern zu klären, inwieweit die Mobilität des Patienten erhalten werden kann.
Wie Medikamente die Fahrtüchtigkeit beeinflussen
Die Einnahme von Medikamenten kann das Reaktionsvermögen und damit die Fahrtüchtigkeit beeinträchtigen. Auch die Wechselwirkung verschiedener Arzneimittel kann die Fahrtüchtigkeit einschränken. Die Schwierigkeit dabei: Nicht nur verschreibungspflichtige Medikamente erzeugen Nebenwirkungen, sondern auch rezeptfreie, die viele Patienten für harmlos halten. Und: Viele Patienten bekommen von verschiedenen Ärzten verschiedener Fachrichtungen die unterschiedlichsten Medikamente verordnet, die zusammengenommen die Fahrtüchtigkeit mindern können. Hier müssen Ärzte genau nachfragen. In Zukunft wird hier der Medikationsplan in der elektronischen Patientenakte einen wertvollen Beitrag leisten.
Ist Autofahren unter Medikamenteneinfluss eine Straftat?
Nach dem Strafgesetzbuch stellt das unsichere Führen eines Fahrzeugs im Straßenverkehr infolge des Genusses von Alkohol oder anderen berauschenden Mitteln eine Straftat dar (§ 316 StGB). Unter „berauschende Mittel“ können auch ärztlich verordnete Arzneimittel mit zentral wirksamen Substanzen fallen. Was viele nicht wissen: Auch das Fahrradfahren fällt unter die Strafnorm. Medikamente, die das Reaktionsvermögen beeinträchtigen können, insbesondere in der Einstellungsphase, sind unter anderem Analgetika, Antiallergika, Antidepressiva, Antidiabetika, Antiepileptika, Antihypertensiva, Neuroleptika sowie Schlaf- und Beruhigungsmittel.
Bei der Verordnung von Medikamenten ist daher eine Aufklärung des Patienten hinsichtlich der Auswirkungen auf das Reaktionsvermögen zwingend erforderlich. Der behandelnde Arzt hat eine rechtliche Aufklärungspflicht. Ob ein bestimmtes Arzneimittel die Fahrsicherheit beeinträchtigt, kann der behandelnde Arzt in der jeweiligen Fachinformation des Arzneimittels nachlesen (www.fachinfo.de).
Mit welchen Erkrankungen darf man nicht mehr Autofahren?
Erkrankungen, die bei der Beurteilung der Fahrtüchtigkeit eine besondere Rolle spielen, sind primär Epilepsie, Hypertonie und Diabetes mellitus. Weitere Erkrankungen, die relevant werden können, sind in Anlage 4 zur FeV aufgeführt (siehe Kasten unten. Bei Epilepsie oder einem epileptischen Anfall muss eine Anfallsfreiheit von mindestens zwölf Monaten nachgewiesen werden, damit der Patient ein Kraftfahrzeug führen darf. Ob die Anfallsfreiheit mit oder ohne Medikation erreicht wird, spielt dabei keine Rolle. Zu bedenken ist dabei, dass die Medikation eine Teilnahme am Straßenverkehr erst wieder ermöglichen kann, anderseits aber viele der eingesetzten Wirkstoffe eine sedierende Wirkung haben und damit ihrerseits die Fahrtüchtigkeit beeinträchtigen können.
Bei der Behandlung der Hypertonie ist vorwiegend die Phase der Einstellung kritisch, in der eine Fahrtüchtigkeit durch mögliche Blutdruckabfälle manchmal (noch) nicht vorliegt. Beim Diabetes besteht das Risiko einer Fahrunsicherheit durch Hyper- oder Hypoglykämien. Bei einem gut eingestellten Patienten ist die Teilnahme am Straßenverkehr aber in der Regel unbedenklich.
Autofahren nach einer Sedierung verboten
In Sedierung behandelte Patienten sind anschließend nicht fahrtüchtig und benötigen eine Betreuungsperson, welche sie nach dem Eingriff aus der Praxis abholt oder ein Taxi, das sie nach Hause bringt. Das kann auch nach einer Lokalanästhesie gelten. Sowohl die Art der verabreichten Arzneimittel, als auch der Eingriff selbst, etwa an der Hand oder am Fuß, kann dabei eine Fahruntüchtigkeit evozieren. Ärzte haben hier bezüglich der mangelnden Fahrtüchtigkeit besondere Aufklärungspflichten. Sie müssen den Patienten darauf hinweisen, für wie viele Stunden er nicht aktiv am Straßenverkehr teilnehmen darf. Die Aufklärung muss rechtzeitig erfolgen, kurz vor der Behandlung kann im Einzelfall zu spät sein.
Suchtkranke können Führerschein verlieren
Auch bei Patienten mit bekannten Suchterkrankungen etwa aufgrund von Cannabis- oder Alkoholkonsum müssen Ärzte die Fahrtüchtigkeit im Auge behalten. Gerade diese Patienten haben häufig keine Einsichtsfähigkeit in ihr Tun. Dabei stellen sich Ärzte vor allem die Frage, ob sie einen suchtkranken Patienten der Fahrerlaubnisbehörde melden sollten. Die bloße Feststellung einer Suchterkrankung und damit eine lediglich abstrakte Gefährdung dürfte in den meisten Fällen nicht für eine Mitteilung an die Behörden ausreichen. Erst wenn konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Patient alkoholisiert oder unter Drogen Auto fährt, kann eine Interessenabwägung den Bruch der Schweigepflicht rechtfertigen. Mehr dazu lesen Sie in Teil 2.
Auf diese Erkrankungen sollten Sie nach Anlage 4 der FeV achten
Anlage 4 der Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV) listet häufiger vorkommende Erkrankungen und Mängel auf, die die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen längere Zeit beeinträchtigen oder aufheben können. Nicht aufgenommen sind Erkrankungen, die seltener vorkommen oder nur kurzzeitig andauern (z. B. grippale Infekte, akute infektiöse Magen-/Darmstörungen, Migräne, Heuschnupfen oder Asthma).
Die Bewertungen gelten für den Regelfall. Kompensationen durch besondere menschliche Veranlagung, durch Gewöhnung, durch besondere Einstellung oder durch besondere Verhaltenssteuerungen und -umstellungen sind möglich. Hier einige Beispiele für aufgeführte Krankheiten, die die Kraftfahreignung beeinträchtigen können:
- mangelndes Sehvermögen
- Erkrankungen des Nervensystems wie Parkinson oder Epilepsie
- Herz- und Gefäßkrankheiten, darunter Hypertonie, Hypotonie, periphere arterielle Verschlusskrankheit
- Diabetes mellitus
- Psychische Störungen, etwa Psychosen, Manien und schwere Depressionen
- Alkohol
- Betäubungsmittel
- Nierenerkrankungen wie schwere Niereninsuffizienz
- obstruktives Schlafapnoe Syndrom
So handeln Ärzte richtig
Der Führerschein ist den Deutschen heilig. Ohne ihn fühlen sich viele nicht mehr als vollwertiges Mitglied der Gesellschaft. Doch manche Patienten sind einfach nicht mehr in der Lage, ein Fahrzeug sicher zu steuern. Der Arzt ist dann häufig der erste, der mit ihnen darüber sprechen muss. Kommt es zum Streit zwischen Arzt und Patient über die Frage der Fahrtauglichkeit, müssen knifflige Rechtsfragen geklärt werden. Etwa die, ob der Arzt den Patienten ordnungsgemäß über eine mangelnde Fahrtauglichkeit aufgeklärt hat – also ob ein Behandlungsfehler vorliegt. Oder das Problem, wer für die eingetretenen Personen- und Sachschäden im Falle eines Unfalls haftet. Auch die Frage, ob der Arzt berechtigt oder sogar verpflichtet ist, einen Patienten vom Fahren abzuhalten, wenn der trotz mangelnder Fahreignung nicht auf sein Auto verzichten will, spielt im Praxisalltag eine Rolle. Und immer wieder hadern Ärztinnen und Ärzte, ob sie zum Schutz anderer Verkehrsteilnehmer einen Patienten den Behörden oder der Polizei melden dürfen, wenn dieser sich trotz ärztlichen Fahrverbots wieder hinters Steuer setzt.
Sind Ärzte verpflichtet, über Fahreignungsmängel zu informieren?
Ärzte sind verpflichtet, ihre Patienten über mögliche Fahreignungsmängel mit einer sogenannten Sicherungsaufklärung aufzuklären (§ 630c Abs. 2 BGB). In einem solchen Gespräch muss der Arzt ausführlich die medizinischen Gründe (Diagnose) darstellen, die gegen eine Fahreignung sprechen und auf die Gefahren aufmerksam machen, die dadurch im Straßenverkehr drohen. Eine unterlassene Sicherungsaufklärung wird rechtlich als Behandlungsfehler gewertet. So muss der Arzt etwa bei der Verordnung bestimmter Medikamente darüber informieren, dass sie zu Einschränkungen der Fahrtauglichkeit führen. Ein Hinweis auf den Beipackzettel genügt nicht. Die Aufklärung muss anlasslos erfolgen, also auch dann, wenn der Arzt gar nicht weiß, ob und in welcher Form der Patient am Straßenverkehr teilnimmt. Das Gespräch sollte der Arzt detailliert in der Krankenakte dokumentieren. Wichtig: Die Sicherungsaufklärung ist auch dann nicht entbehrlich, wenn der Patient ausdrücklich auf sie verzichten möchte. Kommt der Arzt seinen Aufklärungspflichten nicht nach, kann das weitreichende Haftungsfolgen haben. Sie reichen von einer zivilrechtlichen Schadensersatzpflicht bei einem Unfall bis hin zu strafrechtlichen Folgen.
Müssen Patienten sich an ein ärztliches Fahrverbot halten?
Spricht der Arzt ein Fahrverbot – auf Dauer oder zeitlich beschränkt – aus, hat das für den Patienten aber nicht die gleiche Wirkung wie ein verwaltungsrechtliches Fahrverbot durch die Fahrerlaubnisbehörde. Die Anweisung des Arztes „Sie dürfen nicht mehr Auto fahren“, hat nur den Charakter eines Rates, ähnlich wie „Sie müssen aufhören zu rauchen“. Der Patient muss selbst entscheiden, ob er dem Rat folgt.
Was passiert, wenn sich der Patient nicht an das ärztliche Fahrverbot hält?
Für den Patienten kann die Missachtung eines solchen ärztliche Fahrverbots aber gravierende Folgen haben: Gegebenenfalls macht er sich auch ohne Unfall wegen Gefährdung des Straßenverkehrs (§ 315c StGB) strafbar, denn er führt ein Fahrzeug, obwohl er aufgrund der vorausgegangenen Aufklärung weiß, dass er dazu aus gesundheitlichen Gründen gar nicht in der Lage ist. Ihm drohen der Entzug der Fahrerlaubnis und ein Fahrverbot.
Verursacht der Patient einen Unfall, muss er unter Umständen Schadenersatz und Schmerzensgeld zahlen. Im schlimmsten Fall kann er sich wegen Körperverletzung, fahrlässiger Körperverletzung oder fahrlässiger Tötung strafbar machen (§§ 223, 229, 222 StGB). Je nach Schwere drohen Geld- oder Freiheitsstrafen. Zudem muss er mit Leistungsausschlüssen und Regresse seiner Haftpflichtversicherung rechnen, da es als grob fahrlässig anzusehen ist, die ärztliche Weisung zu ignorieren.
Was muss der Arzt tun, wenn der Patient ein Fahrverbot bekommt?
Es kommt darauf an. Wegen der ärztlichen Schweigepflicht nach § 203 StGB darf der Arzt bei Missachtung des Fahrverbotes nicht ohne Weiteres die Fahrerlaubnisbehörde benachrichtigen. Es gibt aber Ausnahmefälle, in denen er zum sofortigen Einschreiten berechtigt und verpflichtet sein kann. Ist der Patient etwa aufgrund einer bestimmten Medikation nicht zurechnungsfähig, treffen den Arzt erhebliche Schutzpflichten. Er muss die gefährliche Fahrt durch geeignete Maßnahmen verhindern.
So muss er seine Mahnung und das ärztliche Fahrverbot wiederholen, notfalls sogar die Autoschlüssel des Patienten an sich nehmen. Zeigt der Patient sich konsequent uneinsichtig und droht davonzufahren, muss er als ultima ratio sogar die Polizei verständigen.
Ist der Patient dagegen zurechnungsfähig, sollte der Arzt auch hier seine Warnung und das ärztliche Fahrverbot wiederholen und an das Verantwortungsgefühl des Patienten appellieren. Letztlich ist der Patient aber selbst für sich verantwortlich. Wegen der Schweigepflicht trifft den Arzt keine Pflicht, die Polizei oder die Fahrerlaubnisbehörde zu verständigen. Im Gegenteil: Er muss bei einem uneinsichtigen Patienten sogar mit einer Strafanzeige wegen des Bruchs der Schweigepflicht nach § 203 StGB sowie mit berufsrechtlichen Folgen rechnen.
Wann der arzt die Schweigepflicht brechen darf
Unter Umständen kann der Arzt aber bei Vorliegen eines rechtfertigenden Notstandes (§ 34 StGB) trotz Schweigepflicht dazu ermächtigt sein, Polizei oder Fahrerlaubnisbehörde zu informieren. Das ist dann der Fall, wenn eine gegenwärtige, nicht anders abwendbare Gefahr für Leben, Leib oder Eigentum des Patienten oder anderer Verkehrsteilnehmer besteht. Der Bundesgerichtshof gibt den Ärzten dabei Rückendeckung: „Ein Arzt kann trotz seiner grundsätzlichen Schweigepflicht nach den Grundsätzen über die Abwägung widerstreitender Pflichten oder Interessen berechtigt sein, die Verkehrsbehörde zu benachrichtigen, wenn sein Patient mit einem Kraftwagen am Straßenverkehr teilnimmt, obwohl er wegen seiner Erkrankung nicht mehr fähig ist, ein Kraftfahrzeug zu führen, ohne sich und andere zu gefährden.“ Auch dieses Urteil ist allerdings schon älter (08.10.1968, Az. VI ZR 168/67). Und es macht deutlich: Eine Meldung darf erst nach erfolgter Aufklärung erfolgen. Außerdem muss der Arzt immer das mildeste Mittel wählen. So muss er je nach Lage des Falls beispielsweise erst Angehörige einschalten, dann die Fahrerlaubnisbehörde und als letztes die Polizei.
Pflicht zur Meldung bei der Behörde?
Ob der Arzt bei einer extremen Gefährdungslage sogar dazu verpflichtet ist, den Patienten zu melden, wird unter Juristen kontrovers diskutiert. Die gängige Meinung dazu ist, dass der Arzt zwar ein Recht dazu hat, aber keine Pflicht, denn es ist für ihn als juristischem Laien nicht rechtssicher zu beantworten, ob tatsächlich ein rechtfertigender Notstand vorliegt und sein Handeln damit rechtmäßig ist. Schließlich kann niemand von ihm eine möglicherweise rechtswidrige Handlung einfordern.
Sollte sich der Arzt nach sorgfältiger Interessenabwägung dennoch zur Information der Behörde entschließen und sich im Nachhinein herausstellen, dass er dazu nicht berechtigt war, könnte er sich auf die irrtümliche Annahme eines rechtfertigenden Notstandes berufen. Das führt dazu, dass er beim Bruch der ärztlichen Schweigepflicht nicht vorsätzlich gehandelt hat. Eine lediglich fahrlässige Verletzung der ärztlichen Schweigepflicht ist nicht strafbar.
Allerdings sollte der Arzt eine solche Meldung immer knapphalten und auf die Diagnose und die Aussage beschränken, dass ärztlicherseits Zweifel an der Fahreignung bestehen. Zu den Aufgaben der Fahrerlaubnisbehörde gehört nicht nur die Erteilung und Entziehung der Fahrerlaubnis, sondern auch die Überprüfung der Fahreignung in Verdachtsfällen nach § 11 der Fahrerlaubnisverordnung. Dafür ist es erforderlich, dass die Behörde von konkreten Tatsachen erfährt, die Zweifel an der Fahreignung begründen. Das geschieht in der Regel durch die Polizei etwa bei Drogen oder Alkohol am Steuer. Im Prinzip kann sich aber jeder an die Fahrerlaubnisbehörde wenden.
Eine gerichtliche Entscheidung des Oberlandesgerichts Düsseldorf aus dem Jahr 2015 zeigt, worauf es bei der Frage, ob und in welcher Form der Arzt einen Patienten bei der Fahrerlaubnisbehörde melden darf, ankommt (02.04.2015, Az. III-2 Ws 101/15). In dem Fall hatte ein Patient einen Hirninfarkt mit rechtsseitiger Hemiplegie erlitten. Dieses Krankheitsbild legte Zweifel an der Kraftfahrtauglichkeit nahe, der Patient hatte aber sehr klar signalisiert, sich wieder hinters Steuer setzen zu wollen. Der Arzt informierte daraufhin die Straßenverkehrsbehörde, indem er den Entlassbericht des Krankenhauses beilegte. Dieser enthielt neben einer ausführlichen Diagnose Angaben zum Zeitraum der stationären Behandlung, zur Therapieempfehlung und sonstigen Empfehlung sowie auch zur aktuellen Anamnese.
Das Gericht machte deutlich, dass der Arzt im Rahmen eines rechtfertigenden Notstands nach § 34 StGB nach sorgfältiger Abwägung berechtigt sein kann, die Behörde zu informieren, wenn die Gefahr nicht anders abwendbar ist. Der Arzt soll laut Gericht als milderes Mittel immer zuerst das Gespräch mit dem Betroffenen suchen. Eine Ausnahme gilt nur dann, wenn ein Zureden des Arztes wegen der Art der Erkrankung oder wegen der Uneinsichtigkeit des Patienten von vornherein zwecklos ist. So war es hier. Ein rechtfertigender Notstand lag vor. Doch dann kommt das dicke „Aber“: Denn damit ist noch nichts darüber gesagt, ob die Unterrichtung der Straßenverkehrsbehörde in dem konkreten Umfang angemessen und erforderlich war. Hier machte das Gericht ganz klar: Um die Durchbrechung der ärztlichen Schweigepflicht zu rechtfertigen, darf der Arzt nur das unbedingt Notwendige mitteilen, nämlich nur die Bezeichnung der Diagnose und die Zweifel an der Fahreignung.
Aufklären: Stellt der Arzt eine Diagnose, ist er immer verpflichtet, nicht nur über die Erkrankung selbst aufzuklären, sondern auch über etwaige Auswirkungen auf die Fahreignung.
Das schwierige Arzt-Patienten-Gespräch
Oft erkennen sowohl der Patient als auch der Arzt, dass eine Erkrankung, eine Medikation oder das zunehmende Alter des Patienten die Fahreignung beeinträchtigen. Trotzdem spricht keiner das Thema an. Der Patient befürchtet ein ärztliches Fahrverbot und damit den Verlust seiner Mobilität. Der Arzt sorgt sich, den Patienten zu verlieren oder das Vertrauensverhältnis zum Patienten zu beschädigen. Daher sollte der Arzt in einem solchen Gespräch dem Patienten zuallererst deutlich machen, dass es nicht darum geht, ihm den Führerschein wegzunehmen, sondern dass es im Gegenteil um den möglichst langen Erhalt seiner Fahrtüchtigkeit geht. Das schafft Vertrauen. Verständnis für die Situation des Patienten und seine mögliche private oder berufliche Abhängigkeit vom Autofahren sind dabei hilfreich. Dennoch muss der Arzt bei fehlender Fahreignung auch Klartext reden und bei uneinsichtigen Patienten mit Nachdruck auf die Folgen eines Fahrens trotz ärztlichen Verbots hinweisen.
A&W-TIPP: Wie Sie rechtssicher ein ärztliches Fahrverbot aussprechen
Ist ein Patient nicht mehr fahrtüchtig, muss der Arzt ein ärztliches Fahrverbot aussprechen. Das Gespräch sollte er in der Patientenakte dokumentieren. Zusätzlich empfiehlt es sich, in der Arztpraxis ein vorgefertigtes Dokument vorzuhalten und sich vom Patienten unterschreiben zu lassen. Dieses könnte etwa so formuliert sein:
„Der Patient wurde darüber aufgeklärt, dass er vom XX bis zum XX / zeitlich unbegrenzt kein Fahrzeug führen darf.“
Das Dokument sollte unbedingt mit dem Datum versehen sein und zur Patientenakte genommen werden. Ein Zweitexemplar sollte dem Patienten ausgehändigt werden.