Facharzt haftet nach Beratung nicht für Fehler der Klinikärzte
Marzena SickingWird ein Facharzt von einem Kollegen beratend hinzugezogen, geht die Verantwortung für die weitere Behandlung damit nicht automatisch auf ihn über. Das gilt insbesondere dann, wenn der Behandler seiner Beratung nicht folgt.
Das Oberlandesgericht Hamm hat in einem aktuellen Urteil die Haftung eines Konsiliararztes verneint, dessen Empfehlungen vom überweisenden Arzt nicht bzw. verspätet umgesetzt wurden (Urteil vom 30. Oktober 2020, Az.: 26 U 131/19).
Engmaschige Überprüfung durch die Augenärzte
Der Fall: Bei einem im November 2013 als Frühgeburt geborenen Baby bestand das hohe Risiko einer Frühgeborenen-Retinopathie (ROP). Das Kind wurde einen Monat nach seiner Geburt von niedergelassenen Augenärzten untersucht, die konsiliarisch für die Geburtsklinik tätig waren. Bei dem Baby zeigte sich zu diesem Zeitpunkt bereits eine beidseitige avaskuläre Netzhaut mit Vaskularisationsgrenze II sowie eine Glaskörpertrübung in Zone III. Die zweite Untersuchung durch die Konsiliarärzte zeigte aber auf beiden Augen keine ROP.
Klinik folgt Empfehlung der Ärzte nicht
Aufgrund einer weiterhin vorhandenen avaskulären Netzhaut in Zone II empfahlen die Augenärzte eine weitere Untersuchung nach Ablauf einer Woche. Die dritte augenärztliche Untersuchung zeigte erneut keine ROP, aber weiterhin eine avaskuläre Netzhaut in Zone II. Erneut wurde eine Empfehlung zur Kontrolluntersuchung in einer Woche ausgesprochen. Diese wurde von den Klinikärzten allerdings nicht mehr angefordert.
Kind verliert Augenlicht
Eine weitere Untersuchung ordnete die Klinik erst drei Wochen später an. Zu diesem Zeitpunkt lag bei dem Kind bereits eine akute Phase der ROP mit beidseits prominenter Leiste (Stadium 2), extraretinalen Proliferationen (Stadium 3) in Zone II, mittelschweren Dilatationen und/oder Gefäßschlengelung (pludisease), Blutungen in Zone I und II sowie einer pathologischen Pupillenrigidität, vor. Das Kind wurde schnellstmöglich in einer Augenklinik behandelt, hat mittlerweile aber sein Augenlicht weitestgehend verloren.
Ärzte wegen fehlerhafter Behandlung verklagt
Klinik und die Augenärzte wurden wegen der fehlerhaften Behandlung verklagt. Den Konsiliarärzten wurde hierbei vorgeworfen, sie hätten es in fehlerhafter Weise unterlassen, das Kind eine Woche nach der Kontrolle vom 10.12.2013 wieder zu untersuchen. Dadurch sei die Behandlung verzögert und der Sehverlust hervorgerufen worden. Das Landgericht gab der Klage gegen die Augenärzte statt. Sie hätten ihre – aus dem besonders kritischen Zustand des Kindes resultierenden – Überwachungspflichten verletzt.
Das Oberlandesgericht Hamm wies die Klage gegen die Augenärzte in der Berufung jedoch als unbegründet ab. Ihnen sei kein Behandlungsfehler oder Pflichtverletzung vorzuwerfen. Der Konsiliararzt sei an den Auftrag des überweisenden Arztes gebunden. Die Verantwortung für Behandlung und Aufklärung verbleibe beim überweisenden Arzt. Der konsiliarisch hinzugezogene Arzt müsse sich darauf verlassen, dass der überweisende Arzt seinen Empfehlungen folgt und die erforderlichen Maßnahmen veranlasst. Er müsse beim behandelnden Arzt aber nicht nachfragen, wie die Behandlung weiter ging oder gar einen “Fristenkalender” zur Überprüfung führen. Ein Konsiliararzt sei zudem nicht verpflichtet, eigenständig den Kontakt zum Patienten aufzunehmen.
Die Klinik hat ihre Haftung für die Versäumnisse bei der Behandlung des Kindes inzwischen anerkannt.