Drogenpolitik: Was die Cannabis-Legalisierung für Ärzte und Patienten bedeutet
Ina ReinschDie einen jubeln, die anderen warnen: Seit dem 1. April ist Cannabisbesitz und -konsum in Deutschland in bestimmten Mengen legal. Für niedergelassene Ärztinnen und Ärzte bedeutet dies Veränderungen in der Verordnung von Medizinalcannabis. Was Sie dazu wissen sollten.
Am 1. April 2024 ist das Cannabisgesetz in Kraft getreten, das eine Zäsur in der deutschen Drogenpolitik darstellt. Durch das Gesetz wird der Besitz von 25 Gramm getrocknetem Cannabis im öffentlichen Raum straffrei. Über sogenannte Anbauvereine sollen der Anbau und die Abgabe der Droge ermöglicht werden. Im Eigenanbau zu Hause sind bis zu 50 Gramm sowie drei Pflanzen erlaubt. Doch das Gesetz tangiert nicht nur Menschen, die gerne kiffen. Es ragt bis in den Praxisalltag von niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten hinein. Denn mit der Teillegalisierung der Droge verändert sich auch die ärztliche Verordnung von Cannabis zur Schmerzmedikation.
Bis zuletzt war nicht klar, ob das umstrittene Gesetz den Bundesrat passieren würde. Doch dieser stimmte zu, es konnte Ende März im Bundesgesetzblatt verkündet werden. Es sieht unter anderem folgende Regelungen vor:
Cannabisgesetz: Das müssen Sie wissen
Erwachsene dürfen pro Person zu Hause straffrei bis zu 50 Gramm getrocknetes Cannabis besitzen und bis zu drei weibliche Pflanzen im Eigenanbau anbauen.
Außerhalb der Wohnung sind 25 Gramm Cannabis erlaubt.
Anbauvereinigungen (sogenannte Cannabis Social Clubs) können Cannabis anbauen und an ihre erwachsenen Mitglieder abgeben. Auch Samen und Pflanzen dürfen an die Mitglieder abgegeben werden. Für die Abgabe gelten Höchstgrenzen von 25 Gramm pro Tag und 50 Gramm pro Monat beziehungsweise sieben Samen oder fünf Stecklinge pro Monat. Für Erwachsene unter 21 Jahren gibt es abgesenkte THC-Grenzen und Abgabemengen. Kinder und Jugendliche haben keinen Zutritt.
Cannabiskonsum oder -besitz ohne Bezug zum Straßenverkehr führt nicht mehr zu einer medizinisch-psychologischen Untersuchung (MPU). Die Regelungen zur allgemeinen Fahreignung sollen denen bei Alkohol angeglichen werden. Eine Expertenkommission hat Ende März eine Konzentration von 3,5 Nanogramm THC je Milliliter Blutserum als Ober-grenze vorgeschlagen (bisher 1 ng). Das ist vergleichbar mit einer Blutalkoholkon-zentration von 0,2 Promille.
Cannabiskonsum im Umkreis von 100 Metern oder in Sichtweite von Schulen, Kitas, Spielplätzen, Jugendeinrichtungen und Sportstätten ist verboten.
Medizinische Fachverbände kritisieren das Cannabisgesetz
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) möchte mit der Teillegalisierung vor allem den Schwarzmarkt zurückdrängen und Menschen aus der Kriminalität holen. Befürworter des Gesetzes, darunter auch Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP), sehen die bisherige Drogenpolitik als gescheitert an. Doch von Seiten der Justiz, Medizin und Politik gibt es teils heftige Kritik. Juristen befürchten, dass sich etwa die Anbauvorschriften schwer kontrollieren lassen und die neuen Regelungen Gerichte mit zahlreichen Zweifels- und Streitfragen konfrontieren. Medizinische Fachverbände kritisieren eine zu niedrige Altersgrenze, zu hohe Abgabemengen und zu wenig Prävention. So kann Cannabiskonsum nachweislich zu Schäden in der Entwicklung des Gehirns von Jugendlichen und jungen Erwachsenen führen. Auch die Justiz- und Innenminister der Länder äußerten Kritik.
Für Menschen mit chronischen Schmerzen könnte die Entkriminalisierung dagegen ein Segen sein. Sie waren bislang darauf angewiesen, dass ein Arzt ihnen ein Cannabisprodukt auf Rezept verordnet, was mit hohen Hürden verbunden war. Nun können sie Cannabis legal erwerben und konsumieren. Damit dürften die Selbstmedikationen zunehmen, sich gleichzeitig aber auch der ärztlichen Kontrolle entziehen – das ist die Kehrseite.
Kein BtM-Rezept mehr für Cannabis erforderlich
Nach wie vor können aber auch Ärzte Cannabis zu Therapiezwecken verordnen. Mit dem neuen Cannabisgesetz wird nun aus einem Betäubungsmittel ein uneingeschränkt verschreibungsfähiges Arzneimittel. § 3 des Medizinal-Cannabisgesetzes besagt, dass die Abgabe von Cannabis zu medizinischen Zwecken nur gegen Vorlage einer ärztlichen Verordnung erfolgen darf. Eines Betäubungsmittelrezeptes bedarf es aber nicht mehr. Damit entfällt auch die hohe Hürde des Betäubungsmittelgesetzes (BtMG), nach der es zu einer Behandlung mit Cannabis oder einem THC-Wirkstoff keine Alternative geben darf. Sowohl Cannabis (Marihuana, Pflanzen und Pflanzenteile der zur Gattung Cannabis gehörenden Pflanzen) als auch der THC-Wirkstoff Dronabinol zu medizinischen Zwecken wurden nun aus der Anlage III des Betäubungsmittelgesetzes entfernt. Einzig der Wirkstoff Nabilon (Handelsname Canemes) muss weiterhin auf einem BtM-Rezept verordnet werden, da Nabilon als Betäubungsmittel in Anlage III des BtMG aufgeführt bleibt.
An den Voraussetzungen für die Kostenübernahme von Cannabis zu medizinischen Zwecken ändert sich vorerst nichts. Nach § 31 Abs. 6 Satz 1 des Fünften Sozialgesetzbuchs (SGB V) haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit Cannabis in Form von getrockneten Blüten oder Extrakten in standardisierter Qualität und auf Versorgung mit Arzneimitteln mit den Wirkstoffen Dronabinol oder Nabilon zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung, wenn eine schwerwiegende Erkrankung vorliegt und nach der begründeten Einschätzung des behandelnden Vertragsarztes unter Abwägung von Nebenwirkungen und Krankheitszustand des Versicherten eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Therapie im Einzelfall nicht zur Anwendung kommen kann. Außerdem muss die Aussicht auf eine positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf oder die Symptome bestehen. Allerdings sind nach der Rechtsprechung keine allzu hohen Anforderungen an die Erfolgsaussichten zu stellen. Die Erstverordnung bedarf, außer im Rahmen der Spezialisierten Ambulanten Palliativversorgung, einer Genehmigung durch die Krankenkasse. Krankenkassen dürfen die Genehmigung einer Therapie nur in begründeten Ausnahmefällen verweigern. Doch Anträge wurden in der Vergangenheit nicht selten abgelehnt, etwa dann, wenn Patienten früher bereits Drogen konsumiert hatten.
§ 31 SGB V betrifft aber nur Verordnungen, bei denen die gesetzliche Krankenkasse die Kosten übernehmen soll. Ärzte können Cannabis auch auf einem Privatrezept verordnen. Ob private Versicherer zahlen, ist derzeit noch unklar, es kommt auf die Versicherungsbedingungen an. Durch die gesetzlichen Änderungen sind Ärztinnen und Ärzte bei der Verordnung von Cannabis aber rechtlich entlastet. Sie dürfen Cannabis verordnen, auch wenn es möglicherweise noch andere Therapieoptionen gibt.
Erstattung von Medizinalcannabis
Das sagt die aktuelle Rechtsprechung:
Das Bundessozialgericht (BSG) hat in einem aktuellen Urteil bestätigt, dass die GKV die Verordnung von Medizinalcannabis nur dann erstatten muss, wenn zuvor andere Therapieoptionen ausgeschöpft wurden. Im vorliegenden Fall litt die Patientin unter anderem an einem chronischen Schmerzsyndrom und chronischer spinaler Spastik. Der Internist hatte die Kostenübernahme beantragt, eine Verordnung selbst aber noch nicht ausgestellt. Die Krankenkasse und das Bayerische Landessozialgericht lehnten die Kostenübernahme ab. Das BSG bestätigte dies nun. Denn für die Behandlung stehe die allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende multimodale Schmerztherapie zur Verfügung. Es bedürfe daher einer begründeten Einschätzung des behandelnden Vertragsarztes, warum diese Leistung nicht zur Anwendung kommen kann. Das Gericht stellte aber auch klar, dass eine Verordnung für das Genehmigungsverfahren noch nicht ausgestellt sein muss (20.03.2024, Az. B 1 KR 24/22 R).