Wirtschaftsnachrichten für Ärzte | ARZT & WIRTSCHAFT
Recht

Jeder Arzt muss seinen Patienten fachkundig, nach den aktuellen medizinischen Standards und unter Anwendung der erforderlichen Sorgfalt behandeln. Tut er das nicht, ist die Behandlung fehlerhaft, und der Patient kann gegebenenfalls Schadenersatz und Schmerzensgeld verlangen.

Gleiches gilt, wenn die Behandlung per se zwar nicht zu beanstanden ist, der Arzt den Patienten im Vorfeld aber nicht ausreichend über deren Chancen und Risiken sowie etwaige Alternativen aufgeklärt hat. Denn nur, wer ausreichend über die Methode der Wahl informiert wurde, kann wirksam in die medizinische Behandlung einwilligen. Fehlt es an einer ordnungsgemäßen Aufklärung, ist folglich auch ein „lege artis“ vorgenommener Eingriff rechtswidrig.

Akribische Aufklärung bei neuartigen Verfahren erforderlich

Noch höher sind die Anforderungen an die Aufklärung, wenn ein Arzt eine sogenannte „Neulandmethode“ anwenden möchte. Also ein Verfahren, das noch nicht allgemein anerkannt ist. In diesem Fall muss er seinen Patienten nicht nur über die Vor- und Nachteile informieren.  Er muss auch ausdrücklich darauf hinweisen, dass das von ihm präferierte Verfahren nicht dem allgemeinen medizinischen Standard entspricht und deshalb mit noch unbekannten Risiken einhergehen kann.

Das hat der Bundesgerichtshof (BGH)  auch im Fall eines 44-jährigen Mannes bestätigt. Sein Arzt hatte ihm eine Bandscheibenendoprothese aus Kunststoff eingesetzt, die damals noch neu am Markt war und deren Typ später wegen mangelnder Stabilität zurückgerufen wurde.

Der Fall wurde streitig, weil sich auch bei besagtem Patienten nach der Operation Teile des Prothesenkerns lösten, in den Spinalkanal wanderten und massive Schmerzen verursachten. Dadurch wurde ein erneuter Eingriff nötig, bei dem die Prothese entfernt und durch einen sogenannten Cage ersetzt wurde.

Bundesrichter entscheiden zulasten des Arztes

Der Patient verklagte Operateur und Klinikträger auf Schadenersatz und Schmerzensgeld – unter anderem wegen einer unzureichenden Risikoaufklärung. Er erklärte, er sei vor dem ersten Eingriff nicht ausreichend auf die Risiken der Neulandmethode hingewiesen worden. Zunächst hatte er mit seinem Vorbringen keinen Erfolg. Das Oberlandesgericht Oldenburg räumte zwar ein, dass die Aufklärung des Mannes über die Risiken der neuartigen Methode nicht ausreichend war. Eine Haftung des Arztes scheide aber dennoch aus, da davon auszugehen sein, dass der Patient der notwendigen Operation auch bei vollständiger Aufklärung zugestimmt hätte.

Der BGH kassierte die Entscheidung und urteilte zugunsten des Patienten (Az. VI ZR 401/19). Dabei betonten die Karlsruher Richter, dass gerade bei der Anwendung einer (noch) nicht allgemein anerkannten medizinischen Behandlungsmethode erhöhte Anforderungen an die Aufklärung zu stellen seien.

Gedankliche Voraussetzung der hypothetischen Einwilligung sei zudem die Hypothese einer ordnungsgemäßen, insbesondere auch vollständigen Aufklärung. Eine solche habe es im vorliegenden Fall aber nicht gegeben, so der BGH: Wenn der Patient vor einem chirurgischen Eingriff nicht wisse, dass der Arzt eine nicht ausreichend erprobte Prothese implantieren will und dies mit besonderen Risiken verbunden sei, könne man folglich nicht davon ausgehen, dass er der Operation ohne Weiteres zugestimmt hätte.