HNO-Ärztin zahlt 10.000 Euro Schmerzensgeld für Hörsturz einer Patientin
Judith MeisterObwohl eine Patientin über akute Hörprobleme klagt, führt eine HNO-Ärztin keinen Hörtest durch. Diese Versäumnis kam sie teuer zu stehen.
Erst kam das Knistern. Dann ein Gefühl, als hätte sie Watte im Ohr. Weil sie plötzlich nicht richtig hören konnte, suchte eine Patientin ihren Hausarzt auf. Dieser überwies die Frau in ein fachärztliches MVZ. Dort diagnostizierte eine HNO-Ärztin eine Tubenbelüftungsstörung – und schickte die Patientin wieder nach Hause. Weitere Untersuchungen veranlasste die Ärztin nicht.
Wenige Tage später verschlechterte sich das Hörvermögen der Patientin rapide. Der nun konsultierte Arzt stellte eine ausgeprägte Innenohrschwerhörigkeit fest, die bis heute anhält. Die Patientin führt den (teilweisen) Verlust ihres Hörvermögens auf die unterlassenen Untersuchungen und, in der Folge, die unterlassene Behandlung ihres Hörsturzes zurück und klagte auf Schadenersatz und Schmerzensgeld.
In erster Instanz urteilte das Landgericht (LG) Stendal zugunsten der Ärztin. Beraten durch einen Sachverständigen befand die Kammer, dass der HNO-Ärztin zwar ein Befunderhebungsfehler unterlaufen sei, weil sie den Hörsturz der Patientin nicht erkannt habe. Nachdem der erforderliche Hörtest allerdings später in einer HNO-Klinik durchgeführt worden sei, habe dieses Versäumnis keine negativen Auswirkungen auf den Behandlungsverlauf gehabt.
Die Patientin ging in Berufung und erstritt vor dem Oberlandesgericht (OLG) Naumburg einen Sieg (Az. 1 U 167/22).
Dank Hörgerät nur ein moderates Schmerzensgeld
Der Senat kassierte die Entscheidung der Vorinstanz. Er befand, es sei als Verstoß gegen den HNO-Facharztstandard zu werten, dass die Ärztin im konkreten Fall keinerlei Hörtests durchgeführt habe. Dieses Versäumnis stelle zudem nicht nur einen einfachen, sondern sogar groben Befunderhebungsfehler dar. Diese gelte umso mehr, als die von der Patientin beklagte Schwerhörigkeit unzweifelhaft auf einen Hörsturz hingewiesen habe, der akut zu behandeln gewesen wäre.
Vor diesem Hintergrund befand das Gericht, dass der Patientin 10.000 Euro Schmerzensgeld zustünden. Bei der Bemessung der Summe berücksichtigte der Senat bereits, dass die heute 67-Jahre alte Frau den Verlust ihres Hörvermögens inzwischen gut durch ein Hörgerät ausgleichen kann.
Praxishinweis: Erleidet ein Patient einen gesundheitlichen Schaden, der womöglich auf einen Befunderhebungsfehler zurückzuführen ist, muss der Arzt (anders als bei einem einfachen Behandlungsfehler) beweisen, dass sein Versäumnis nicht ursächlich für die gesundheitlichen Folgen ist. Die Erfolgschancen eines klagenden Patienten, Schmerzensgeld und Schadenersatz zu erstreiten, sind in solchen Konstellationen daher besonders hoch.