Wirtschaftsnachrichten für Ärzte | ARZT & WIRTSCHAFT
Arbeitsrecht

Viele Praxisinhaber kennen das Szenario: Meldungen durch kranke Mitarbeitende sammeln sich auf dem Schreibtisch. Die Verbliebenen sind unzufrieden, da sie einspringen und Überstunden machen müssen. Auch die Praxis leidet darunter, da die organisatorischen Abläufe sich verzögern, Patienten vertröstet werden müssen und notwendige Dokumentationen oder Abrechnungen liegen bleiben.

Wenn Mitarbeiter erkranken, geht es daher zunächst einmal darum, den Praxisablauf trotz der fehlenden „Arbeitskraft“ aufrechtzuerhalten. In vielen Fällen müssen hierfür die Organisation der Praxis und die Verteilung von Aufgaben angepasst werden.

Deshalb obliegen Erkrankten gewisse Informations- und Nachweispflichten. Jedoch geht es dabei ja nicht nur um die bloße Arbeitsleistung, sondern auch um die Person selbst und deren nachhaltige Erhaltung der Arbeitsfähigkeit – gerade im Hinblick auf den derzeitigen Fachkräftemangel im medizinischen Bereich. Hier setzt die Betriebliche Gesundheitsförderung an – im Fokus soll hier das Betriebliche Eingliederungsmanagement stehen.

Rechte des Arbeitgebers bei Erkrankung eines Mitarbeiters

Über was und wie muss der erkrankte Mitarbeiter informieren?

Nach dem Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG) ist der erkrankte Mitarbeiter verpflichtet, seinem Arbeitgeber die Arbeitsunfähigkeit und deren voraussicht­liche Dauer unverzüglich mitzuteilen. Dies bedeutet, dass diese Mitteilung am ersten Tag der Erkrankung zu erfolgen hat, und zwar zu Arbeitsbeginn. Eine bestimmte Form ist gesetzlich nicht vorgeschrieben, sodass eine telefonische Meldung oder Mitteilung per SMS, E-Mail oder WhatsApp ausreichend ist – soweit dies praxisintern nicht anders geregelt ist.

Darf genauer nachgefragt werden?

Praxisinhaber können Informationen zur Art oder Ursächlichkeit der Erkrankung nicht verlangen. Ausnahmsweise ist dies anders, wenn Schutzmaßnahmen im Betrieb, zum Beispiel wegen Ansteckungs­gefahr, erforderlich werden, eine Schädigung durch Dritte (§ 6 EFZG) oder eine Fortsetzungserkrankung vorliegt.

Bis wann muss der „gelbe Schein“ vorliegen?

Dauert die Arbeitsunfähigkeit länger als drei Kalendertage (nicht Arbeits- oder Werktage!), hat der Mitarbeitende nach dem EFZG spätestens am vierten Tag eine AU vorzulegen, wenn dieser Tag ein Arbeitstag in der Arztpraxis ist. Es kommt nicht darauf an, dass derjenige auch an diesem Tag tatsächlich hätte arbeiten müssen. Praxisinhaber können jedoch verlangen – und dafür müssen keine besonderen Voraussetzungen vorliegen –, dass die AU früher, zum Beispiel schon ab dem ersten Tag der Krankheit, vorgelegt wird. Dieses Recht muss nur diskriminierungsfrei ausgeübt werden. Dauert die Arbeits­unfähigkeit länger, als in der Bescheinigung angegeben, ist eine neue AU vorzulegen.

Muss der Mitarbeitende während der Krankheit erreichbar sein?

Aufgrund der Erkrankung ist man nicht zur Erbringung der Arbeitsleistung verpflichtet. Ein Krankgeschriebener muss daher für Fragen durch Praxisinhaber oder Kollegen nicht erreichbar sein. Gleichwohl besteht während der Arbeitsunfähigkeit kein Verbot der Kontaktaufnahme. Daher kann – unter Berücksichtigung der krankheitsbedingten Umstände – durchaus versucht werden, den Betroffenen zu kontaktieren, um etwa dringende tätigkeitsbezogene Fragen zu klären oder eine ordnungsgemäße Übergabe zu gewährleisten. Mitarbeitende können auf freiwilliger Basis diese Auskünfte dann erteilen.

„Präsentismus“ — wenn Krankheit nicht vom Arbeiten abhält: Was tun?

Krankheitsbedingte Ausfälle sind das eine, aber auch der sogenannte Präsentismus kann teuer werden. Präsentismus beschreibt Mitarbeitende, die trotz schwerer Erkrankung arbeiten kommen. Vielleicht mag man im ersten Moment an „fleißig“ oder „loyal“ denken; die durch Präsentismus entstehenden Kosten sind jedoch mindestens so hoch wie die Kosten durch krankheitsbedingte Fehlzeiten. Wenn sich Kranke in die Arbeit schleppen, sind sie nicht nur weniger produktiv, sondern stecken womöglich andere auch noch an. Erkrankten sollte also klargemacht werden, dass sie sich auskurieren sollen und sie auch keine Nachteile haben, wenn sie zu Hause bleiben. Dies ergibt sich auch arbeitsrechtlich aus der in § 618 des Bürgerlichen Gesetzbuches verankerten Fürsorgepflicht des Arbeitgebers.

Gesundheitsprävention am Arbeitsplatz durch Betriebliches Eingliederungsmanagement

Kann eine gute Kommunikationsfähigkeit bereits gesundheitspräventiv sein?

Der Fehlzeiten-Report 2020 des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO) zeigt, dass Mitarbeitende, die in ihrer beruflichen Tätigkeit zufrieden sind, weniger erkranken. Was dabei vor allem zählt, sind Anerkennung, Vertrauen und eine faire Streitkultur. Im Fehlzeiten-Report 2020 heißt es dazu: „Die gesundheit­lichen Belastungen bei Beschäftigten mit einer als fair empfundenen Führungskraft sind damit nur ein Viertel so hoch wie bei den Beschäftigten mit einer als unfair empfundenen Führungskraft.“ Mit guter Kommunikation lässt sich die Zufriedenheit und Motivation gerade in Phasen mit großer Arbeitsbelastung aufrechterhalten. Dies ist sicherlich im anstrengenden Praxisalltag eine zusätzliche Zeitinvestition, die sich jedoch langfristig gesehen lohnt.

Wie läuft ein BEM eigentlich ab?

Nach den gesetzlichen Vorgaben in § 167 Abs. 2 SGB IX ist der Arbeitgeber verpflichtet, wenn Beschäftigte innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig sind, ein sogenanntes Betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) durchzuführen. Dies gilt unabhängig davon, ob er eine Kündigung beabsichtigt oder erwägt, ob Teil- oder Vollzeit gearbeitet wird oder wie viele Mitarbeiter in der Praxis beschäftigt sind.

In dem BEM geht es darum, dass Praxisinhaber und Betroffene nicht nur gemeinsam klären, wie die Arbeitsunfähigkeit überwunden werden kann, sondern auch, mit welchen Vorkehrungen erneuter Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt und der Arbeitsplatz erhalten werden kann. Ziel soll es also sein, das Arbeitsverhältnis dauerhaft abzusichern und krankheitsbedingte Kündigungen zu vermeiden. Das BEM ist für den Betroffenen freiwillig. Die Person entscheidet nach ordnungsgemäßer Einladung durch den Praxisinhaber, ob sie es annehmen möchte. Wenn ein Erkrankter dem BEM zustimmt, sollen die Beteiligten also feststellen, aufgrund welcher gesundheitlichen Einschränkungen es zu den Ausfallzeiten gekommen ist und welche Möglichkeiten bestehen, sie künftig zu verringern. Das Gesetz schreibt keine konkreten Maßnahmen vor. Vielmehr geht es um einen gemeinsamen verlaufs- und ergebnisoffenen „Suchprozess“, in den natürlich auch der Betroffene Vorschläge einbringen kann. Dazu ist es zunächst erforderlich, die aktuelle Situation zu analysieren, also die Arbeitsanforderungen mit den Fähigkeiten des Erkrankten abzugleichen. Anhand dieser Analyse kann festgestellt werden, in welchen Bereichen Auslöser, Defizite und/oder Potenziale zur Überwindung der Arbeitsunfähigkeit beziehungsweise Vorbeugung erneuter Arbeitsunfähigkeit zu finden sind. Diese können sich am Arbeitsplatz, in der Arbeitsorganisation, in der Arbeitskraft des Betroffenen, im betrieblich sozialen Umfeld oder auch im privaten Bereich befinden.

So können konkrete Maßnahmen, zum Beispiel von der Umgestaltung des Arbeitsplatzes, Änderung der Arbeits­organisation, Verkürzung der Arbeitszeit, Qualifizierung der betroffenen Person, stufenweise Wiedereingliederung bis hin zu Maßnahmen zur Förderung der Zusammenarbeit im Team, zur Verbesserung der Kommunikations- und Konfliktfähigkeit oder der gesundheitlichen Prävention festgelegt werden. Der Arbeitgeber ist dann verpflichtet, die besprochene Maßnahme vor Ausspruch einer krankheitsbedingten Kündigung als milderes Mittel umzusetzen, zum Beispiel die stufenweise Wiedereingliederung bei bestehender Arbeitsunfähigkeit (LAG Hamm, Urteil vom 4.7.2011 – Az. 8 Sa 726/11) oder den Abbruch eines Stellenbesetzungsverfahrens, um den Arbeitnehmer auf dem ausgeschriebenen Arbeitsplatz zu beschäftigen (OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 25.3.2019 – Az. 2 B 10139/19).

Welche Bedeutung hat das BEM in einem Kündigungsschutzprozess?

Der Gesetzgeber sieht die Gesundheitsprävention als wichtigsten Punkt des BEM an. Nach den Entwicklungen in der Rechtsprechung hat das BEM jedoch auch relevante Bedeutung für Kündigungsschutzprozesse vor dem Arbeitsgericht. Die Durchführung eines BEM ist dabei zwar keine formelle Wirksamkeitsvoraussetzung für den Ausspruch einer krankheitsbedingten Kündigung. Das BEM konkretisiert jedoch den arbeitsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Und das bedeutet konkret:

Das BEM findet auch in einem Kleinbetrieb, also einer Praxis mit bis zu zehn Mitarbeitenden Anwendung, spielt aber für die Wirksamkeit der Kündigung zumindest in der Regel keine Rolle.

Wenn eine Arztpraxis mehr als zehn Mitarbeitende im Sinne des Kündigungsschutzgesetzes beschäftigt und die Wartefrist von sechs Monaten erfüllt ist, findet das Kündigungsschutzgesetz Anwendung. Eine nicht angebotene BEM-Maßnahme macht eine krankheitsbedingte Kündigung dann zwar nicht per se unwirksam, schränkt aber die Verhältnismäßigkeit zulasten des Arbeitgebers ein und führt zu einer Erweiterung der Darlegungslast des Arbeitgebers (LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 13.4.2021 – Az. 8 Sa 240/20).

Will der Arbeitgeber sich hinsichtlich der Frage „Ist die Kündigung auch verhältnismäßig oder hätte es ein milderes Mittel als die Kündigung gegeben?“ darauf berufen, dass auch ein tatsächlich durchgeführtes BEM kein positives Ergebnis hätte bringen können, müsste er in einem arbeitsgerichtlichen Verfahren unter anderem konkret vortragen, dass der Mitarbeitende das BEM-Verfahren zum Beispiel nach ordnungsgemäßer Einladung eindeutig abgelehnt hat.

Oder er müsste begründen, warum weder der weitere Einsatz des Arbeitnehmers auf dem bisherigen Arbeitsplatz noch dessen leidensgerechte Anpassung oder Veränderung möglich gewesen sind und der Arbeitnehmer auch nicht auf einem anderen Arbeitsplatz bei geänderter Tätigkeit eingesetzt werden konnte. Das ist prozessual betrachtet nicht einfach.

Fazit: Eine wertschätzende Kommunikation mit Angeboten der Betrieblichen Gesundheitsförderung kann ein wichtiger Beitrag nicht nur für einen gelingenden Praxisalltag, sondern auch für die Gesundheit der Mitarbeitenden sein.

Ablauf BEM-Verfahren
  • Feststellung der Arbeitsunfähigkeit > 6 Wochen innerhalb der letzten 12 Monate
  • Anschreiben mit ordnungsgemäßer Einladung zum BEM
  • BEM-Gespräche
  • Maßnahmenumsetzung
  • Abschlussgespräch und Reflexion
  • Optional: Nachhaltigkeitsgespräche

Dr. Julia Friemel,
Fachanwältin für Arbeitsrecht,
Mediatorin, Systemischer Coach