Wirtschaftsnachrichten für Ärzte | ARZT & WIRTSCHAFT
Arbeitsrecht

Peter Keller arbeitet im Rahmen seiner Ausbildung zum Facharzt für Innere Medizin auf der Intensivstation eines hessischen Krankenhauses. Der junge Mediziner, der in Wirklichkeit anders heißt, ist sportlich und fit, als er sich im Frühjahr vergangenen Jahres mit SARS-CoV-2 infiziert. Ein PCR-Test bestätigt seine Vermutung. Insgesamt bleibt er fast vier Wochen zu Hause in Quarantäne. Die Krankheit macht ihm zu schaffen, es geht ihm schlechter, er hat Atemnot. Für diese Zeit bewilligt die Unfallkasse Hessen Leistungen, da er sich beruflich mit dem Corona-Virus infiziert hat. Dann geht es ihm gesundheitlich etwas besser. Anfang Juni versucht er eine Wiedereingliederung. Doch er merkt: Es geht noch nicht, Corona hat seine Spuren hinterlassen.

Long-COVID als Berufskrankheit

Keller fährt auf Kosten der Krankenkasse auf Reha, um sich von den Folgen zu erholen. Die Unfallkasse sieht in der Maßnahme keinen Sinn. Ende 2020 wird bei dem Arzt eine Herzmuskelentzündung als Folge der COVID-19-Erkrankung diagnostiziert. Anfang 2021 wird zudem ein weiterhin eingeschränkter Geruchs- und Geschmackssinn festgestellt. Arbeiten kann er noch immer nicht. Doch die Unfallkasse lehnt die Anerkennung der Langzeitfolgen von COVID-19, auch Long-COVID genannt, als Berufskrankheit ab. Der ärztliche Gutachter meint, Kellers Symptome kämen auch in der Allgemeinbevölkerung vor und könnten „… nicht als Erkrankungsfolge anerkannt werden, da sie zu unspezifisch sind und ihre Ursache vielfältig sein kann.“

Ablehnungen sind häufig

Der Fall, von dem der Sozialverband VdK Rheinland-Pfalz berichtet, ist kein Einzelfall. Miriam Battenstein ist Rechtsanwältin in Düsseldorf und auf Sozialrecht spezialisiert. Sie sagt: „Ich erlebe immer wieder, dass die Unfallversicherungsträger Versicherten bei der Anerkennung von Berufskrankheiten an allen möglichen Stellen Steine in den Weg legen.“

Wann die Infektion mit dem Coronavirus als Berufskrankheit gilt

Grundsätzlich gilt: Bei Ärztinnen und Ärzten sowie Medizinischen Fachangestellten (MFA) kann eine Erkrankung infolge einer Infektion mit dem Coronavirus eine Berufskrankheit darstellen, für deren Folgen die gesetzliche Unfallversicherung aufkommt. Allerdings gibt es eine Vielzahl gesetzlicher Unfallversicherungsträger. „Manche von ihnen gehen bei der Einstufung von Berufskrankheiten kulanter vor“, sagt Moritz Ehl vom Sozialverband VdK Rheinland-Pfalz e. V. „Bei anderen zieht sich das Verfahren in die Länge.“

Gesundheit wieder herstellen

Dem gesetzlichen Unfallversicherungsschutz der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW) unterfallen Arbeitnehmer in Arztpraxen oder privaten Klinken, also etwa MFA sowie angestellte Ärztinnen und Ärzte. Niedergelassene fallen eigentlich nicht darunter, sie können sich aber freiwillig bei der BGW versichern. „Das kann man jedem Arzt und jeder Ärztin nur raten“, betont Battenstein. „Die BGW bietet für wenig Geld einen wirklich guten und mitunter lebenswichtigen Schutz zusätzlich zu dem, was man privat abgesichert hat.“ (siehe auch Kasten unten). Zum 31. Dezember 2020 haben von dieser Möglichkeit 30.901 Niedergelassene Gebrauch gemacht.

Ist eine Erkrankung als Berufskrankheit anerkannt, ist es die Aufgabe der gesetzlichen Unfallversicherung, die Gesundheit der Versicherten mit allen geeigneten Mitteln möglichst vollständig wiederherzustellen. Anders ist dies etwa bei der gesetzlichen Krankenversicherung, bei der Leistungen ausreichend, wirtschaftlich und zweckmäßig sein müssen und das Maß des notwendigen nicht überschreiten dürfen. Die Berufsgenossenschaft übernimmt unter anderem die Kosten für die medizinische Erstversorgung, stationäre und ambulante ärztliche Behandlungen, häusliche Krankenpflege sowie Leistungen zur medizinischen Rehabilitation. Im Falle der Arbeitsunfähigkeit zahlt sie ein Verletztengeld. Das kann im Falle einer COVID-19-Erkrankung den Verdienstausfall kompensieren. Die Rückkehr an den bisherigen Arbeitsplatz versucht sie mit allen geeigneten Mitteln zu ermöglichen.

Was bei COVID-19 besonders wichtig ist: Sie zahlt eine Rente bei einer andauernden Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 20 Prozent infolge des Versicherungsfalls. Außerdem zahlt sie Pflegegeld sowie im Falle eines Todes Sterbegeld und eine Hinterbliebenenrente.

Freiwillige Unfallversicherung bei der BGW

Bei der Wahl der Versicherungssumme sollten sich Ärztinnen und Ärzte an ihrem Jahreseinkommen orientieren. Die Beiträge für die Versicherung sind steuerlich absetzbar. So setzen sich die Beiträge zusammen:

  • Die Versicherungssumme (Vs) legen Ärzte selbst fest und bestimmen so die Höhe etwaiger Entschädigungsleistungen mit. Sie ist zwischen 23.000 Euro und 96.000 Euro frei wählbar.
  • Die Gefahrklasse (Gk) spiegelt das Unfallrisiko der Branche wider und beträgt 1,97 (seit 2019)
  • Der Beitragsfuß (Bf) wird von der BGW abhängig vom jeweiligen Finanzbedarf eines Jahres berechnet. Für das Jahr 2019 errechnete sich ein Wert von 2,06 (2018: 2,05).

Der individuelle Beitrag berechnet sich nach der Formel: (Vs × Gk × Bf) : 1000

Bei der niedrigsten Versicherungssumme ergibt sich so ein jährlicher Beitrag von 96,92 Euro, bei der höchstmöglichen Versicherungssumme sind es 387,70 Euro jährlich.

Infektion anerkennen lassen

Doch bei der Anerkennung von Long-COVID als Berufskrankheit mauern viele Unfallversicherungsträger. COVID-19 ist nicht explizit in der Liste der Berufskrankheiten enthalten. Es handelt sich vielmehr um eine Erkrankung, die unter die Nr. 3101 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung (BKV) fällt. Dort heißt es: „Infektionskrankheiten, wenn der Versicherte im Gesundheitsdienst, in der Wohlfahrtspflege oder in einem Laboratorium tätig oder durch eine andere Tätigkeit der Infektionsgefahr in ähnlichem Maße besonders ausgesetzt war.“

„Der erste Schritt ist, dass man die Infektion als solche als Berufskrankheit anerkannt bekommt“, sagt Rechtsanwältin Battenstein. Die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung nennt dafür in einem Positionspapier drei Voraussetzungen:

  • Kontakt mit SARS-CoV-2-infizierten Personen im Rahmen der beruflichen Tätigkeit im Gesundheitswesen
  • relevante Krankheitserscheinungen, wie zum Beispiel Fieber oder Husten
  • positiver Nachweis des Virus durch einen PCR-Test

Auch als Akteur im Gesundheitswesen, der täglich mit einer Vielzahl von Patienten zu tun hat, sollen Arzt, Ärztin oder MFA also nachweisen, bei welcher konkreten sogenannten Indexperson sie sich angesteckt haben? Diese Anforderung hält Battenstein für überzogen. Ihrer Ansicht nach müsste hier ähnlich verfahren werden wie beispielsweise bei einer Ansteckung mit Hepatitis bei Mitarbeitern im Gesundheitswesen. Dort werde vermutet, dass sie sich im beruflichen Kontext infiziert haben. Eine konkrete Person benennen muss man nicht. Ob auch die Sozialgerichte das so sehen, ist derzeit offen. Battenstein: „Für alle Beteiligten ist COVID-19 und auch Long-COVID Neuland. Noch sind zu diesen Fragen keine Fälle an den Gerichten anhängig.“

Unter Federführung der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin wird in Kürze eine erste S1-Leitlinie zur Behandlung von Long Covid herausgegeben werden.

„Das ganz große Problem ist aber, nicht nur die Erkrankung, sondern auch die Langzeitfolgen als Berufskrankheit anerkannt zu bekommen“, weiß die Anwältin. Laut der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP) kämpfen schätzungsweise zehn Prozent aller COVID-19-Patienten mit Langzeitfolgen. Selbst nach leichteren Verläufen klagen manche Betroffene noch Monate später über Fatique, Kopfschmerzen, Konzentrationsschwierigkeiten, Atemnot, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und neurologische Symptome.

Studienlage zu Long-COVID-Symptomen noch dürftig

Wie der Fall des jungen Klinikarztes zeigt, versuchen manche Unfallversicherungsträger, die Symptome der Menschen als unspezifisch abzutun. Sie könnten auch von anderen Erkrankungen herrühren. „Solange die Studienlage zu den Symptomen von Long-COVID noch so wenig hergibt wie jetzt, versuchen die Unfallversicherungsträger, die Kausalität zwischen der Erkrankung und den Langzeitfolgen zu bestreiten“, sagt Ehl vom VdK. Er sieht jedoch gute Chancen für eine Anerkennung, wenn die Langzeitsymptomatik der eigentlichen Erkrankung ähnelt, also beispielsweise bei einer andauernden Lungenfunktionsstörung. Battenstein zieht eine Parallele zu anderen Erkrankungen: „Bei einer Grippe erkennt man eine Herzmuskelentzündung klassischerweise als Langzeitfolge an. Denn es ist allgemein anerkannt, dass die Viren das Herz schädigen können. Das muss auch bei COVID-19 gelten.“ Bei unspezifischen Symptomen wie beispielsweise Fatique dürfte es nach Ansicht beider Experten aber derzeit schwieriger werden.

Beweise sammeln, Befunde einholen, dokumentieren

Zu den zehn Berufen mit den höchsten Fehlzeiten wegen einer Corona-Infektion in der ersten Pandemiewelle 2020 zählen MFA, Krankenpfleger, Mitarbeiter im Rettungsdienst sowie Ärztinnen und Ärzte. Daher steigt unter ihnen auch die Anzahl derjenigen, die mit den Langzeitfolgen der Infektion, Long-COVID genannt, zu kämpfen haben.

Was ist betroffenen Ärztinnen und Ärzten oder medizinischem Praxispersonal also zu raten? VdK-Experte Ehl hält es für essentiell, bereits eine symptomlose Infektion bei den gesetzlichen Unfallversicherungsträgern zur Anzeige zu bringen. „Viele Ärzte waren gerade in der ersten Welle nicht beim Arzt, sondern haben sich zu Hause isoliert. So ist die Erkrankung nicht dokumentiert. Daraus wird den Betroffenen jetzt ein Strick gedreht.“ Darüber hinaus sollten Versicherte Beweise sammeln und alle Befunde einholen. Zwar sind die Unfallversicherungsträger verpflichtet, die genauen Umstände im Rahmen des Amtsermittlungsverfahrens zu klären. Dabei sind aber genaue Angaben der Betroffenen hilfreich. Battenstein rät, in eigener Sache nicht nachlässig zu sein. „Liegt eine Infektion ein halbes Jahr zurück und haben Versicherte dann gesundheitliche Probleme, neigen die Unfallversicherungsträger und Gerichte dazu, zu sagen: Wer weiß, wo das herkommt? Wo ist hier der zeitliche Zusammenhang?“

Sie empfiehlt daher, zeitnah zu einer scheinbaren Gesundung auch Symptome wie Müdigkeit, mangelnde Belastbarkeit oder neurologische Beschwerden von einem Arzt dokumentieren zu lassen, um hier eine Brücke zur eigentlichen Erkrankung zu schlagen. Nur so könnten Ärzte vermeiden, sich die Kausalität entziehen zu lassen. „Gegen einen ablehnenden Bescheid der BGW sollten Versicherte außerdem innerhalb eines Monats ab Zustellung schriftlich Widerspruch einreichen und sich zeitnah fachkundigen Rat einholen“, sagt Battenstein. Auch vor einer Klage vor dem Sozialgericht sollten Ärztinnen und Ärzte nicht zurückschrecken – und einen langen Atem mitbringen: Je nach Bundesland gibt es hier bereits jetzt Verfahrenslaufzeiten von zwei bis drei Jahren.

Auch Peter Keller hat inzwischen über den VdK Widerspruch gegen den Bescheid der Unfallkasse einlegen lassen. Der würde bei Ablehnung des Widerspruchs auch vor dem Sozialgericht für seine Mitglieder klagen. Aus Sicht des VdK scheint eine positive Entscheidung möglich.