Sexuelle Belästigung: Wo Ärztinnen und Ärzte besonders gefährdet sind
Melanie HurstEs gibt Hotspots, in denen es im Gesundheitswesen am häufigsten zu sexuellen Übergriffen kommt. Vor allem zwei Fachrichtungen sind davon betroffen.
Mit dem Hashtag #MeToo („ich auch“) teilen seit 2017 Frauen und Männer ihre Erlebnisse mit sexueller Belästigung, Missbrauch und Vergewaltigung auf den sozialen Netzwerken. Dadurch wurde das Thema verstärkt in die Öffentlichkeit gebracht und löste eine anhaltende gesellschaftliche Debatte aus. Auch ARZT & WIRTSCHAFT berichtete mit dem Beitrag: „Mit gutem Beispiel voran: Null Toleranz für sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz“ über dieses wichtige Thema.
Die große gesellschaftliche Debatte scheint mittlerweile positive Veränderungen anzustoßen, die sich auch im Gesundheitswesen widerspiegeln. So zeigt eine neue Umfrage der Onlineplattform Medscape, dass Ärztinnen und Ärzte weniger sexuelles Fehlverhalten am Arbeitsplatz erlebt oder beobachtet haben als noch vor fünf Jahren. Insgesamt nahmen an der Befragung im Zeitraum von April bis September letzten Jahres 773 Ärztinnen und Ärzte teil, die in Deutschland leben und arbeiten.
Die Studienergebnisse im Detail
Auf die Frage, ob sie sexuellen Missbrauch, sexuelle Belästigung oder sexuelles Fehlverhalten selbst erlebt haben, antworteten neun Prozent der Frauen und drei Prozent der Männer mit „ja“. 14 Prozent der Umfrageteilnehmer hatten solches Verhalten schon einmal beobachtet – vor allem im Klinikumfeld (20 %), weniger häufig in der Arztpraxis (8 %).
Damit liegt der Gesundheitsbereich leicht unter den durchschnittlichen Zahlen in Deutschland, die die Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADB) vor ein paar Jahren eruieren ließ. Demnach waren Frauen mit einem Anteil von 13 Prozent mehr als doppelt so häufig wie Männer (5 %) von sexueller Belästigung am Arbeitsplatz betroffen.
Besonders gefährliche Arbeitsorte
Als besonders brisant kristallisierten sich in der Medscape-Umfrage bestimmte Arbeitsorte heraus. Die meisten Übergriffe fanden in den Fluren (31 %) oder im Behandlungszimmer beziehungsweise im Büro des Täters (jeweils 29 %) statt. Die Täter kamen am häufigsten aus der Chirurgie (17 %), Gynäkologie (14 %) und Allgemeinmedizin (9 %). Die anderen Fachrichtungen bewegten sich auf dem Niveau von drei Prozent.
Und wer waren die Täter? Die Befragten nannten als Hauptgruppe Ärzte und Ärztinnen (57 %). Danach folgten die Pflegefachkräfte (14 %) und MFA beziehungsweise MTA (6 %). Die Zahlen passen auch zu den Täteranalysen der ADB: Personen, die übergriffig werden, haben in der Regel eine höhere berufliche Position. Oft geht es im Grunde auch nicht um sexuelle Begierde, sondern um die Ausübung von Macht und Kontrolle.
Aber nicht nur im Kollegenkreis kommt es zu sexueller Belästigung am Arbeitsplatz. Die Medscape-Umfrage beleuchtete auch das Fehlverhalten von Patienten. Die Frage nach einem Date wurde von den Befragten mit zehn Prozent am häufigsten genannt. Gefolgt von Patienten, die sich auf eine Weise genähert hatten, die offensichtlich sexuell war (8 %), oder die versucht hatten, den Arzt oder die Ärztin unangemessen zu berühren (7 %). Desweiteren wurde genannt: Der Patient hat mir anzügliche Texte, E-Mails oder Fotos zukommen lassen (4 %). Der Patient hat nach einem sexuellen Kontakt gefragt (2 %). Der Patient hat mich beschuldigt, ihn/sie zu sexuellen Handlungen aufgefordert zu haben (1 %).
Wann sexuelle Belästigung vorliegt
Wer sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz erlebt, ist danach manchmal unsicher, ob wirklich ein Übergriff passiert ist. Betroffene sollten sich aber nicht verunsichern lassen, wenn das sexuelle Fehlverhalten im Nachhinein als Kompliment oder gut gemeintes Verhalten beschönigt oder ihnen gar Überempfindlichkeit vorgeworfen wird. Wenn jemand das Gefühl hat, sexuelle Belästigung erlebt zu haben, kann er oder sie auf das Bauchgefühl hören. Denn Studien belegen, dass sowohl Männer als auch Frauen ein feines Gespür dafür haben, wann eine Grenzüberschreitung und Würdeverletzung vorliegt.
Nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) ist zum Beispiel Folgendes verboten
unerwünschte sexuelle Handlungen wie bedrängende körperliche Nähe, die ein Kollege oder Patient sucht
die Aufforderung zu unerwünschten sexuellen Handlungen wie „Setz dich auf meinen Schoß!“
sexuell bestimmte körperliche Berührungen, dazu zählen (scheinbar zufällige) Berührungen von Brust oder Po oder unerwünschte Nackenmassagen
Bemerkungen sexuellen Inhalts wie zum Beispiel obszöne Witze oder sexuelle Anspielungen
unerwünschtes Zeigen und sichtbares Anbringen von pornografischen Darstellungen wie pornografischen Magazinen auf dem Schreibtisch oder Nacktfotos an den Wänden
Was Opfer tun können
Empfehlenswert ist immer ein Gedächtnisprotokoll, um die Übergriffe eines Kollegen oder Patienten zu dokumentieren. Ein solches Protokoll dient dazu, Fakten zusammenzutragen. Professionelle Unterstützung bieten auch der Deutsche Ärztinnenbund e. V., die Landesärztekammern, das Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ (Tel.: 116 016) sowie die Antidiskriminierungsstelle des Bundes (Tel.: 030/185 551 855).