Warum ist Igeln so schwer? Der ständige Konflikt zwischen Ethik und Monethik
André BernertOhne Umsätze mit IGeL kommt heute kaum noch eine Praxis aus. Zugleich haben viele Ärzte Hemmungen, ihren Patienten etwas zu „verkaufen“. Da die Kassen aber nicht immer alle sinnvollen Leistungen übernehmen, wird es Zeit umzudenken. Der Arzt- und Zahnarztpraxis-Experte André Bernert erklärt in seiner aktuellen Kolumne, wie man Patientenzufriedenheit und wirtschaftlichen Erfolg steigert.
Als Berater von Arztpraxen wird man zwangsweise immer wieder mit der Frage konfrontiert, wie man die IGeL-Umsätze steigern könnte. Hin und wieder ist es auch so, dass wir gefragt werden, was man „kaufen“ könne, um den IGeL-Umsatz zu steigern. Da gab und gibt es ja zahlreiche Instrumente, vom IGeL-Spiegel angefangen über diverse Wartezimmerpräsentationen bis hin zum professionellen Verkaufs-Auftritt auf der Website. Doch trotz dieser Maßnahmen ist der wirtschaftliche Erfolg vieler Praxen zu gering. Wir haben uns gefragt, warum das so ist, um daraus die richtigen Schlüsse zu ziehen.
Ärzte wollen keine Verkäufer sein
Eins ist klar: Ärzte, Ärztinnen und MFA wollen keine Verkäufer sein …, aber wer will das schon. Auch ist uns allen bewusst, dass eine komplexe medizinische Leistung anders „verkauft“ werden muss als ein Liter Benzin oder ein Haarschnitt. Zudem ist es total ärgerlich, dass viele Dinge von den Krankenkassen nicht übernommen oder nur unter bestimmten Diagnosen übernommen werden. Das verleitet so manch einen Mediziner zum Abrechnungsbetrug. „Sagen Sie Herr Patient, da war doch ganz sicher Blut im Stuhl, oder? Dann können wir das nämlich über die Kasse abrechnen.“ Irgendwie erscheint das keine faire und gute Lösung.
Patienten bemängeln geringes Angebot
Zu allem Überfluss haben wir in unseren Patientenbefragungen (N = 1.489) festgestellt, dass Patienten eine hohe Bereitschaft haben, Geld für Leistungen auszugeben, die die Kasse nicht übernimmt. Allerdings bemängeln fast alle der Befragten, dass ihre Praxen ihnen kaum etwas anbieten, manche sogar gar nichts. Mein Vater geht sogar soweit, dass er als Barmer-Versicherter direkt beim Arzt oder schon am Tresen sagt: „Bieten Sie mir alles an was Sie haben, ich bin zwar nur kassenversichert, aber ich habe genug Geld für Gesundheit gespart.“ – Solche Patienten sind zunehmend häufiger, anzutreffen, da Gesundheit und Prävention in den letzten fünf Jahren stärker ins Bewusstsein der Menschen gekommen ist. Der stark anwachsende zweite Gesundheitsmarkt bestätigt diesen Trend.
Wo können sich denn nun diese beiden Individuen (Arzt / Patient), die ja eigentlich das Gleiche wollen, es aber nicht über die Lippen bekommen, treffen und zueinander finden?
Anbieten statt verkaufen
Der Schlüssel zum Glück ist anbieten und nicht verkaufen. Das setzt voraus, dass die Praxis ihre Patienten wertschätzend und als entscheidungsfähig behandelt. Und glücklicherweise gibt es dafür einige Instrumente, die auch sehr gut funktionieren (eigene Patienteninformationen, Flyer, Poster, Flipchart, Erklär-Videos, …). Die Instrumente braucht eine Praxis, da sonst sehr viel Zeit für die „Angebotsbesprechung“ verloren geht, die wiederum für die Patientenbehandlung benötigt wird. Patienten brauchen allerdings Zeit zum Verstehen und Abwägen. Wie geht das einher? Der Angebotsprozess ist einmal so zu gestalten, dass nur wenige Sekunden Arztzeit erforderlich ist, um die IGeL auch für Patienten erreichbar und glaubwürdig darzustellen. Die Hauptarbeit liegt in der Entwicklung der praxisindividuellen Instrumente und in der Schulung des Teams. Denn eins ist auch klar, ohne das Team der Praxis selbst von dem wichtigen Zusatzangebot überzeugt zu haben, wird das IGeL-Angebot nicht erfolgreich sein. Neulich habe ich eine MFA zum Patienten sagen hören:“…Ach das mit der Eigenbluttherapie ist nur so eine Spinnerei vom Chef, das machen wir gar nicht.“
Auswirkungen auf das Image der Praxis
Leitfrage an die Praxis: „Was Sie (MFA) Ihrer Familie nicht empfehlen würden, brauchen wir in der Praxis gar nicht anbieten.“ Und dann kümmern wir uns darum, wie man anbietet und sich dabei kompetent und eben nicht wie ein Verkäufer fühlt, der unethisch verkauft, egal ob der Kunde es braucht oder nicht.
Und – das beste zum Schluss. Sie werden 3 Dinge merken:
1. Die Investition in den praxisindividuellen Angebotsprozess lohnt bzw. amortisiert sich nachhaltig.
2. Patienten nehmen Praxen mit solch professionellen Angeboten als Praxen höherer Qualität wahr.
3. Wirtschaftlich erfolgreichere Praxen gelingt es besser, gute Mitarbeiter:innen zu halten und schnell neue zu finden.
Bleiben Sie patientenorientiert und igeln Sie ethisch korrekt und im Sinne Ihrer Patienten.