Ärztliche Fortbildung: Gefährliche Interessenkonflikte vermeiden
A&W RedaktionIn der Medizin ist lebenslanges Lernen im Beruf und die Pflicht zur berufsbegleitenden Fortbildung für jeden Arzt eine Conditio sine qua non. Die Fortbildungsveranstaltungen müssen Interessenkonflikte der Fortbilder lückenlos offenlegen und die Qualität der Veranstaltungen garantieren.
Lebenslanges Lernen ist für Ärzte eine Selbstverständlichkeit. Nichtzuletzt ist es auch in der Berufsordnung (BO) kodifiziert: Unter den Direktiven des internationalen Labels einer Continuing Medical Education (CME) ist es für die Ausübung des Arztberufs verpflichtend, sich lebenslang auf dem neusten Stand der medizinischen Wissenschaft und Praxis zu halten.
Damit Ärzte nicht auf dem Niveau des praktischen Wissens zum Zeitpunkt des Staatsexamens und des Erhalts der Approbation stehen bleiben, gibt es rechtliche Voraussetzungen, um die Fortbildung zu implementieren und ständig zu evaluieren. Was vom Gros der Ärzteschaft als selbstverständlich bezeichnet wird, wurde vor 15 Jahren expressis verbis in Paragraf 95 d Sozialgesetzbuch V (SGB V) geregelt. Seit Gültigkeit dieses Schlüsselparagrafen müssen alle praktisch tätigen Ärzte, egal in welchem Berufsfeld sie arbeiten, den Erwerb von 250 Fortbildungspunkten nachweisen – Vertragsärzte gegenüber der Kassenärztlichen Vereinigung (KV), Klinikärzte gegenüber dem ärztlichen Leiter des Klinikums. So müssen die Krankenhäuser jährlich einen Bericht erstatten, ob und in welchem Umfang ihre hauptberuflich tätigen Ärzte der Fortbildungspflicht nachgekommen sind.
Sanktionen im SGB V
Die Bundesärztekammer (BÄK) hat in aktualisierten Empfehlungen die Pflicht zur ärztlichen Fortbildung präzisiert. In der Präambel heißt es: „Fortbildung ist ein immanenter Bestandteil der ärztlichen Tätigkeit. Die kontinuierliche berufsbegleitende Aktualisierung und Erweiterung medizinischer Kenntnisse und praktischer Fertigkeiten sowie die Festigung und Weiterentwicklung beruflicher Kompetenz gehören zum ärztlichen Selbstverständnis und zu den ärztlichen Berufspflichten.“
Vertragsärzte, die diesen Verpflichtungen nicht nachkommen, müssen mit finanziellen Nachteilen rechnen. Sanktionen des Paragrafen 95 d Abs. 3 SGB V: „Erbringt ein Vertragsarzt den Fortbildungsnachweis nicht oder nicht vollständig, ist die Kassenärztliche Vereinigung verpflichtet, das an ihn zu zahlende Honorar aus der Vergütung vertragsärztlicher Tätigkeit die ersten vier Quartale, die auf den Fünfjahreszeitraum folgen, um zehn vom Hundert zu kürzen, ab dem darauffolgenden Quartal um 25 vom Hundert.“ Falls der Vertragsarzt den Fortbildungsnachweis nicht spätestens zwei Jahre nach Ablauf des Fünfjahreszeitraums erbringt, soll die KV unverzüglich gegenüber dem Zulassungsausschuss einen Antrag auf Entziehung der Zulassung stellen.
Mannigfaltige Angebote
Um die Fortbildungsobliegenheiten kann sich kein Arzt drücken. So ist die Vielfalt der Veranstaltungen und Angebote inzwischen auch kaum mehr überblickbar. Ärzte können aus jährlich 350.000 zumeist zertifizierten Fortbildungskursen wählen. Die meisten Ärztekammern haben mittlerweile auch Akademien für Fort- und Weiterbildung gegründet, die auch die Angebote prüfen und die Fortbildungspunkte ausloben. Oberstes Gebot: Die in den Kursen vermittelten Inhalte müssen frei von wirtschaftlichen Interessen sein, und die Fortbildungsreferenten müssen „koscher“ bleiben.
Evaluation der Fortbildung
Die Fortbilder und Veranstalter sind gehalten, ihre Fortbildungskurse von den Teilnehmern evaluieren zu lassen und deren Einschätzung offenzulegen. Die Veranstaltungen müssen stets auf die Bedürfnisse der teilnehmenden Ärzte ausgerichtet und der erwartende Nutzen bereits vor Beginn der Kurse offengelegt werden. Persönliche und wirtschaftliche Interessenkonflikte der Anbieter von Veranstaltungen und der Fortbilder müssen ausgeschlossen werden, wie auch die Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) postuliert. „Sekundäre Interessen“ der Fortbilder und Seminaranbieter dürfen und sollten nicht unangemessen das Hauptziel einer neutralen und sachlichen Fortbildung beeinflussen oder gar überlagern.
Als suspekt haben die Wächter über eine interessenfreie Fortbildung die verdeckte oder indirekte Einflussnahme der Industrie auf das Agenda-Setting bezeichnet. Ebenso ein selektives Publizieren und die Einflussnahme auf Studienprotokolle, das Verschweigen schwerwiegender unerwünschter Wirkungen oder das Ghostwriting von Fachpublikationen.
Gebote für Referenten
Zur neutralen, konfliktfreien Fortbildung gehört, dass es keine direkte oder indirekte finanzielle Unterstützung durch die Industrie gibt. Die Referenten müssen nachweisen, dass sie in den letzten zwei Jahren kein Geld von Firmen erhalten haben. Zudem sind sie verpflichtet, alternative Behandlungsoptionen vorzustellen und in vergleichender Weise zu behandeln. Die Inhalte der Veranstaltungen müssen unabhängig vom Sponsor entwickelt werden und innerhalb des Lernzielrahmens das volle klinische Bild zeichnen.
Vorsicht bei diesen Interessenkonflikten:
- Bezahlte Anstellung, d.h. ein Referent steht zum Beispiel im Sold eines Herstellers, dessen Produkte bei der Fortbildung erwähnt werden
- Erhalt von Honoraren, Geschenken und Kostenübernahme. Oder es sind Veranstaltungsorte mit hohem Freizeitwert
- Beraterverträge von Referenten, die nicht offengelegt werden.
- Besitz von Unternehmensanteilen, deren Produkte bei der Veranstaltung erwähnt werden
- nicht ausgewiesene oder unangemessene Ausstattung mit Forschungsmitteln und bezahlte Publikationen
- finanzielle Unterstützung der wissenschaftlichen oder klinischen Abteilungen des Referenten
Weitere problematische Verbundenheiten:
- Enge persönliche Bindungen
- Intellektuelles und wissenschaftliches Interesse an Firmen und deren Produkten
- Tätigkeit als Vorstand oder als Führungs- und Beratungskraft einer interessierten Firma oder Organisation, die Einfluss auf die Ausrichtung einer Fortbildung und deren Themen nimmt und auch davon profitiert
- Politische, religiöse und ideelle Einstellungen